Читать книгу Turned on - Kate Devlin - Страница 9
Alles, was Sie über den Vibrator zu wissen glauben, ist ein schwanzgesteuerter Trugschluss
ОглавлениеDer Ursprung des Vibrators bleibt umstritten. Kleopatra haben wir als Urheberin bereits ausgeschlossen, wer also war es dann? Einer weit verbreiteten Ansicht nach wurde der Vibrator zur Behandlung der Hysterie bei Frauen erfunden. Diese These mag einige Berechtigung haben, eine definitive Erkenntnis aber ist sie nicht. In seiner heutigen Bedeutung steht der Ausdruck „Hysterie“ für eine nervliche Überreizung, die sich in heftigem Lachen, großer Erregung oder Panikgefühlen äußert. Vor dem 20. Jahrhundert jedoch war die Hysterie (von griechisch hysterikos, „von der Gebärmutter herrührend“) eine relativ häufige medizinische Diagnose, die Frauen gestellt wurde. Es herrschte die Vorstellung, der lästige Uterus einer Frau sei die Ursache aller möglichen Leiden, wie nervöser Beschwerden, Kopfschmerzen, Magenproblemen etc., und führe auch zum Tode. Jahrhundertelang dachte man, die Gebärmutter würde durch den Körper einer Frau wandern, und das im wörtlichen Sinne. Nach der Beschreibung des Aretäus von Kappadokien aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. gleicht der Uterus einem Lebendigen in einem anderen Lebendigen. Die Vorstellung von der „wandernden Gebärmutter“ hielt sich bis ins 17. Jahrhundert und wurde erst aufgegeben, als es im Zuge der Aufklärung zu enormen Erkenntnisfortschritten bei der Erforschung der Anatomie kam.
Behauptet wurde, die Symptome der Hysterie ließen sich etwa dadurch lindern, dass man der Betreffenden, nun ja, Erleichterung verschaffe. Durch Beckenmassagen, um genau zu sein. In ihrem Buch The Technology of Orgasm: ‚Hysteria‘, the Vibrator and women’s sexual satisfaction behauptet Rachel Maines, seit den Tagen von Hippokrates habe es als Heilmittel gegolten, eine Frau zum Orgasmus zu bringen. Kritiker dieser Theorie sehen darin eine Missdeutung der Quellen, und Helen King erörtert dies ausführlich in ihrer Gegenschrift Galen and the widow: Towards a history of therapeutic masturbation in ancient gynaecology. King macht ihren Dissens sehr deutlich. Zwar wäre es schön, wenn wir für Hysterie und Selbstbefriedigung ein durchgehendes Narrativ hätten, dabei aber könnte es sich durchaus um einen weiteren Fall der von Jenners besagten ficts handeln.
Hallie Lieberman, Autorin des Buches Buzz: The stimulating history of the sex toy, hat einen Doktor in Sexpielzeuggeschichte. Ihre Untersuchungen der historischen gynäkologischen Texte führten ins Leere, was mögliche Hinweise darauf betraf, dass Vibratoren zur Behandlung der Hysterie eingesetzt wurden. Dennoch fanden Industriestaaten im 19. Jahrhundert Gefallen an industriellen Lösungen für gleich welche ihrer Plagen. Was man sicher weiß, ist, dass der elektromechanische Vibrator im späten 19. Jahrhundert auftauchte und nicht als Lustwerkzeug, sondern als Gerät zur Ausführung der Vibrotherapie vertrieben wurde – einer Massage zur Schmerzlinderung in allen Bereichen mit Ausnahme der Genitalien, und zwar für Männer wie für Frauen. Im Jahre 1883 veröffentlichte der britische Arzt Joseph Mortimer Granville ein Buch mit dem Titel Nerve-vibration and exitation as agents in the treatment of functional disorder and organic disease. Sie können sich selbst überzeugen, es ist online zugänglich.2 Doch bei allem Respekt gegenüber Dr. Granville, das Buch ist wirklich ziemlich fade. Seine (langatmigen) Schilderungen lesen sich eher wie die eines Reizstromgeräts zur Schmerzlinderung, das einem angeblich Erleichterung bei Neuralgien verschafft. Und bei Verstopfung.
Granville erwähnt die Hysterie zwar, behauptet aber, dass sie nicht in seine Zuständigkeit falle und dass er sie (beziehungsweise eine Person, die daran leidet) nicht mit der Kneifzange anfassen würde, auch nicht mit einer elektrischen:
Bei der Auswahl der verschiedenen Klassen von Fällen, bezüglich derer ich mich nun imstande sehe, den Einsatz der Nervenvibration zu empfehlen, bin ich allein durch meine Erfahrung mit diesem Heilmittel beeinflusst worden. Bei einer beträchtlichen Zahl nervöser Beeinträchtigungen, mit denen ich noch keine große Behandlungserfahrung habe, werde und kann ich nicht dringend zu dieser Methode raten. Hierzu zählen etwa die Hysterie und die Nachahmungskrankheiten sowie Beeinträchtigungen der Geschlechtsorgane, insbesondere Impotenz und die, meiner Meinung nach fälschlich, als Spermatorrhoe3 bezeichnete Affektion. Ich hatte etliche Fälle der beiden letztgenannten Erkrankungen, von denen einige sehr von der Behandlung profitiert haben und es noch tun. Ein oder zwei davon sind allem Anschein nach auch geheilt. Doch eine viel größere Zahl von Beobachtungen, als ich bisher habe anstellen können, wäre erforderlich, um einen jeden Arzt in der von ihm verbreiteten Hoffnung zu bestätigen, er hätte tatsächlich ein neues Heilmittel entdeckt.
Dr. Fern Riddell ist Spezialistin für die Sexualität im viktorianischen England. Ihr Buch The victorian guide to sex ist eine gründliche und zuverlässige Darstellung all der Dinge, die das Sexleben in den 1800er Jahren umfasste. Berichtet werden sie von fiktiven Figuren, die das Geschehen lebendig werden lassen. Die angeblich so prüden Viktorianer entpuppen sich hier als Menschen, die so einiges darüber wussten, wie man es miteinander treibt. Innerhalb der ehelichen Grenzen, so der Befund, legten sie großen Wert auf die Lust. Der weibliche Orgasmus beispielsweise war ihrer Auffassung nach entscheidend für Fruchtbarkeit und Zeugung.
Onanie hingegen war ein heikles Thema. Sie wurde als unannehmbar und regelrecht gefährlich erachtet. Der geistige Vater der Frühstückszerealien J. H. Kellogg war ein bekannter Antimasturbationsaktivist, der die entsprechenden Betätigungen auf alle möglichen körperlichen wie geistigen Mängel zurückführte. Die Cornflakes erfand er als Schonkost zur Verringerung eines solchen Verlangens. Als jemand, der schon einmal eine Cornflakesfabrik besichtigt hat, kann ich bezeugen, dass es sich dabei um einen der am wenigsten prickelnden Orte handelte, an denen zumindest ich je gewesen bin. Die weißen Jacken und blauen Haarnetze mögen vielleicht Fließbandfetischisten ansprechen, die dicken Gummihandschuhe aber würden dem Vollzug diesbezüglicher Handlungen im Wege stehen.
Wie also kam es zur Entstehung des Vibrators als Sexspielzeug? Das ist nicht ganz klar. Sein regloses Pendant, der Dildo, war jedenfalls noch im Umlauf, wie aus den Texten und Abbildungen unmissverständlich hervorgeht. Die ersten Vibratoren sind jedoch keineswegs offen als Lustgeräte angepriesen worden. Wenn sie nicht zur Behandlung von Muskelkater benutzt wurden, verkauften sie sich als entspannende Schönheitsapparate. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber sind sie auch anderen Verwendungen zugeführt wurden; es ist nur so, dass es tatsächlich keine konkreten Aufzeichnungen darüber gibt. Die Reklame des frühen 20. Jahrhunderts machte gewisse Anspielungen auf das in den Geräten schlummernde Potenzial, deutlicher zu werden aber traute man sich in den Werbeabteilungen nicht. Zeitschriften enthielten Inserate wie „die kontinuierliche Anwendung über verschiedene Nervenzentren hinweg wird ein Kribbeln verursachen, wie Sie es schon lange nicht mehr gespürt haben“. Gesetz und Anstand verboten sexuelle Bezüge, und so wurde das Explizite implizit und stillschweigend gemacht. Für den weiblichen Körper, bei dem der Orgasmus vorwiegend (wenn nicht ausschließlich) von der klitoralen Stimulierung abhängt, war dies ein wunderbarer Durchbruch.
1953 hieß es in einer Veröffentlichung des amerikanischen Sexualforschers Alfred Charles Kinsey über die sexuellen Praktiken von mehr als 6.000 Frauen, der Vibrator werde „selten benutzt“ – von weniger als einem Prozent der Befragten. Noch bis in die 1970er Jahre schreckten Unternehmen davor zurück, Vibratoren als irgendetwas anderes zu bewerben denn als typische Medizingeräte. Immerhin aber wurde Werbung für sie gemacht; Dildos dagegen waren eindeutig für sexuelle Zwecke bestimmt und so wurden sie dem Blick der Öffentlichkeit weitestgehend entzogen. 1968 begann das japanische Technologieunternehmen Hitachi damit, sein elektrisches Haushaltsmassagegerät, den Hitachi Magic Wand, in den Vereinigten Staaten zu verkaufen. Er war ein riesiger Erfolg, und ganz offensichtlich ein sexueller.
Zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, ist Betty Dodson 88 Jahre alt. Wenn es danach geht, was uns von allen Seiten suggeriert wird, so gehört der Sex den Jungen und Leidenschaftlichen. Da mag es überraschen, dass Dodson für einige der grundlegendsten Veränderungen verantwortlich ist, die sich in der Einstellung gegenüber der weiblichen sexuellen Lust vollzogen haben. Und sie ist immer noch dran am Geschehen – sowohl, was die Weitergabe ihrer Erfahrung angeht, als auch, was den Sex selbst betrifft. Sie spricht ganz offen über alles, angefangen damit, wie man den besten Orgasmus bekommt, bis hin zu den Freuden des Sex, die sie mit ihrem viel jüngeren Geliebten teilt (er war 22, als sie fast 70 war). Dodson ist meiner Meinung nach eine echte Legende.
Sie selbst bezeichnet sich als „Pro-Sex-Feministin“, und sie gilt als eine der Schlüsselfiguren in der US-amerikanischen Frauenbewegung. In den 1970er und 1980er Jahren nutzte Dodson den Magic Wand, den Zauberstab, als Lehrinstrument und hielt in ihrer Wohnung in New York Masturbationskurse ab. Wie sie feststellte, waren die meisten Frauen, auf die sie traf, davon abgehalten worden, ihre Sexualität zu erforschen, und viele von ihnen hatten noch nie einen Orgasmus erlebt. Dagegen wollte sie etwas unternehmen. Sie richtete Kurse für zehn bis fünfzehn Frauen ein, in denen sie ihnen half, ihren Körper zu erfahren und seine sexuellen Reaktionen kennenzulernen. 1973 entschied sie sich für den Magic Wand und machte ihn zu ihrem Arbeitsgerät, nachdem sie zwei Jahre mit verschiedenen Vibratoren experimentiert hatte. Sie ist nie dafür bezahlt worden, dass sie ihn befürwortete, dank ihr aber wurde er zum beliebtesten Vibrator aller Zeiten.
Obwohl er sich bereits einen Ruf als Sexspielzeug erworben hatte, ließ Hitachi 1999 noch immer verlauten, dass sein beliebtes Produkt nicht für Masturbationszwecke gedacht sei. 2013 dann wurde entschieden, es nicht weiter herzustellen, weil man aufgrund der Verbindung des Firmennamens mit dem Thema Sex Bedenken hatte. Warum sie bei Hitachi so lange brauchten, um dies festzustellen, ist unklar, zumal das Gerät schon seit Längerem in pornografischen Videos gezeigt worden war. Glücklicherweise hat man in einer Markenumstellung die Lösung gefunden. Der Vibrator wurde in den Original Magic Wand umbenannt, um den Namen Hitachi auszusparen, auch wenn das Unternehmen das Produkt nach wie vor herstellte.
Mit der Eröffnung von Sex-Shops in den 1970ern konnten Sexspielzeuge mit unverhohlen sexuellem Zweck verkauft werden (obwohl ihr Verkauf an manchen Orten gesetzlich verboten war, und mitunter noch ist. Pech gehabt, Alabama). An der breiten Masse aber gingen sie weiterhin vorbei. Wer ein Sexspielzeug erwerben wollte, musste den Gang in einen Nischenladen auf sich nehmen oder war auf den Versandhandel angewiesen. In den 1980er Jahren wurden Privatpartys modern, wie etwa die Ann-Summers-Partys im Vereinigten Königreich, auf denen Frauen in betont ausgelassener Atmosphäre Sexspielzeuge anschauen und kaufen konnten. Und gekauft wurden sie, alles andere aber spielte sich noch genauso hinter verschlossenen Türen ab.
1998 wollten die Autoren der Fernsehserie Sex and the City die Verwendung eines Dildos in die Handlung mit aufnehmen (siehe die Folge „Wunder der Technik“ aus der ersten Staffel). Ihre Wahl fiel auf das Modell eines Kaninchenvibrators: ein Doppelaktionsgerät mit rotierendem Rumpf und zwei kleinen außenliegenden „Ohren“, die gegen die Klitoris schwingen. Das Kaninchendesign stammte aus Japan, wo die Phallusausführungen aufgrund von Obszönitätsgesetzen umgestaltet werden mussten und eine heiter-niedliche Gestalt mit farbenfrohem Anstrich bekommen hatten. Als die Folge ausgestrahlt wurde, stiegen die Verkaufszahlen rasant an. Schließlich ging es hier um sexuelle Lust mit einem Spielzeug, das die Form optimiert hatte. Und weil es das Onlineshopping schon gab, konnte man flugs eine Bestellung aufgeben und bekam das Gewünschte dann auch noch diskret an die Haustür geliefert. Die Sache war in aller Munde. Die Medien berichteten. Der Sexshop Ann Summers verkaufte eine Million Kaninchen in einem Jahr.
Was allerdings die Haltungen anbelangt, die in der Folge von Sex and the City zum Ausdruck kommen, so äußerst Hallie Lieberman zu Recht Kritik. Obwohl die Behandlung von Sexspielzeugen und Masturbation fortschrittlich wirken könnte, sei die Story selbst doch voreingenommen und wertend. Charlotte wird von ihrem Vibrator abhängig und vereinsamt immer mehr. Sie verschreckt ihre Freunde, die dann einschreiten, um sie vor sich selbst zu „retten“. Lieberman zufolge ist dies nicht die einzige Folge, in der ein Vibrator als notdürftiger Ersatz für einen Mann dargestellt und in der das Masturbieren als niedere Form sexueller Lust gezeigt wird.
Nichtsdestotrotz begannen die Menschen offener über den Besitz von Sexspielzeugen zu sprechen, auch wenn weiterhin eher die Belustigung im Vordergrund stand. Zwanzig Jahre später ist die Situation eine andere. Heutzutage fährt die Sextechnologiebranche enorme Gewinne ein, die sich Schätzungen zufolge in den nächsten Jahren weltweit auf etwa 25 Milliarden Euro belaufen werden. Das Angebot reicht von Hardware (wie Sexspielzeug) bis zu Software (wie etwa angeschlossenen Apps, die es einem ermöglichen, mit einem einfachen Wisch über den Telefonbildschirm Intimpartner zu finden) und neuen Formen der Contentlieferung, bei der Technologien wie etwa Virtual Reality eingesetzt werden um den Betreffenden eine maßgeschneiderte sexuelle Erfahrung zu verschaffen. In dieser Zahl von 25 Milliarden Euro ist die Internetpornografie noch nicht enthalten, die allein so viel einbringt wie die Filmindustrie in Hollywood.
Und wie steht es mit dem Sexspielzeug, in das man eindringen kann, dem cunnus succedaneus oder Vulvaersatz? Vibratoren wurden – und werden – auch von Männern benutzt. Gleichfalls beliebt sind penetrative Spielzeuge wie Analplugs oder Analketten, mit denen sich die Prostata lustvoll stimulieren lässt. Darstellungen von Vulva und Vagina sind über die Zeiten hinweg vergleichsweise üblich. Aber als ein Sexspielzug, in das man eindringen kann? An materiellen Hinweisen gibt es dazu nicht allzu viel. Oder zumindest nicht in Form archäologischer Aufzeichnungen, die überdauert hätten. In gewisser Weise ließe sich das auf den nichtvorhandenen Bedarf an Sexspielzeug bei Männern zurückführen. Für ihr sexuelles Verlangen sorgte schließlich oft eine andere Person. Wo ein ausgeprägter Mangel an verfügbaren Partnern bestand, war das Problem leicht mit einer Hand aus der Welt zu schaffen. Ja, es gibt die Behauptung, es seien Substitute in Form von Stoff oder Leder hergestellt worden, die Öffnungen nachbildeten. Leider sind diese Materialien nicht allzu langlebig. Das Gleiche gilt für deren Pendants aus Gummi.
Es gibt modernere Beispiele und sie werden auch thematisiert. Sie sind etwa Gegenstand von Cynthia Ann Moyas faszinierender Doktorarbeit von 2006, die sie am Institut für weiterführende Studien zur menschlichen Sexualität (Institute for Advanced Study of Human Sexuality) verfasste. Moya berichtet von einer Werbung in einem französischen Katalog von 1902, die von dem Schriftsteller Henry N. Cary übersetzt wurde. Sie schwärmt in den höchsten Tönen von den Reizen eines aufblasbaren weiblichen Unterleibs samt Becken, „den man genauso leicht zusammenfalten und einstecken kann wie ein Taschentuch“.
In einem Buch von 1927 ist ein Foto einer gefüllten künstlichen Vagina abgebildet, ganz so wie ein Kissen mit einer Höhlung in der Mitte und falschem Schamhaar darum herum. Moya zufolge war Schamhaar auch ein Merkmal vieler früher Dildos, hingegen fehlt es heute im Allgemeinen bei Sexspielzeugen. Zeiten und Geschmäcker ändern sich.
In Kinseys 1948 erschienenem Bericht über die männliche Sexualität, Sexual Behavior in the Human Male, heißt es, dass „Apparate zur Stimulation der weiblichen Genitalien manchmal vielleicht auch zum Masturbieren benutzt werden, allerdings kommen sie selten zum Einsatz“. Männer, so teilt uns Kinsey mit, sind überwiegend Handarbeiter, wenngleich bei der Befragung herauskam, dass manche Männer „seltenen bis gelegentlichen Gebrauch von Flaschen, Röhren und Löchern in Gegenständen machen“.
In einem japanischen Sexkatalog aus den 1940er Jahren ist eine aufblasbare Tasche aus Gummi abgebildet, die sich mit Wasser erwärmen lässt und aus der man die Luft wieder ablassen kann, um sie leicht transportieren zu können. Solche künstlichen Vaginen sind in der älteren japanischen Folklore anerkannt. Bekannt als azumagata, finden sie sich in der shunga (einer japanischen Erotikkunst des 19. Jahrhunderts) und werden auch in Texten dieser Zeit abgebildet.
Die tragbare künstliche Vagina wurde jedoch erst Mitte der 1990er Jahre kommerzielle Wirklichkeit in der westlichen Welt. Der Amerikaner Steve Shubin sah sich mit der Aussicht konfrontiert, auf Monate hinaus ohne Sex zu bleiben, nachdem seiner Frau nahegelegt worden war, wegen ihrer Risikoschwangerschaft auf Geschlechtsverkehr zu verzichten. Shubins (von seiner Frau abgesegneter) Ausflug in diverse Sexshops war ein einziger Reinfall, und so beschloss er, sich selbst um die Sache zu kümmern. Er erfand den Fleshlight®, ein Masturbationsgerät, das wie eine ausgehöhlte Taschenlampe geformt ist, wobei der Name jetzt irrtümlicherweise zur Bezeichnung ganz ähnlicher Gerätetypen benutzt wird. Der Apparat hat ziemlich eingeschlagen.
Japan ist heute einer der führenden Hersteller und größten Märkte von Sexspielzeug für Männer. Das japanische Unternehmen Tenga, eine selbsternannte „Life-stylemarke für Lustartikel mit Wohlfühlfaktor“, hat in den letzten 13 Jahren weltweit über 57 Millionen penetrierbare Sexspielzeuge verkauft. Man wirbt ganz offen damit, dass die eigenen Produkte dafür konstruiert sind, das Intensitätsgefühl beim Masturbieren zu steigern, und eher weniger als Nachahmung der menschlichen Anatomie. Die Angebotspalette reicht von Hüllen mit strukturierter Oberfläche für den Einmalgebrauch bis hin zu elektronischen Masturbationsgeräten. Keines der Produkte ähnelt einem Körperteil. Stattdessen sind es moderne, meist vollständig weiße Weichskulpturen mit geradezu futuristischer Anmutung.
Da ich eine Menge Sexspielzeug für meine Arbeit zugeschickt bekomme, entschloss ich mich zu einem kleinen Versuch und verteilte einige dieser Spielsachen unter meinen männlichen Freunden. Also schickte ich ein paar von ihnen jeweils eins der von Tenga produzierten „Eggs“. Das „Egg“ ist eine dehnbare thermoplastische Elastomeren(TPE)-Hülle, die in einem hohlen, handtellerkleinen Plastik-Ei geliefert wird. Jedes Ei enthält zudem ein Päckchen mit Gleitmittel. Die Buchse selbst hat Prägungen an der Innenseite: Rippen, Spiralen, so was in der Art. Sie passt über den Peniskopf und behält ihre Position bei, wenn der Mann masturbiert.
Die Reaktion meiner Freunde fiel gemischt aus. Freund eins, der von der Idee entsetzt war, verkündete unmissverständlich, er werde seinen „Schwanz nicht da reinstecken!“ Freund zwei fand es mittelprächtig. Das Ding sei ganz ok, er „würde aber nicht extra Geld dafür ausgeben. Im Grunde ist es bloß Edelwichsen.“ Freund drei erklärte, dass er es mit der Hand besser hinbekäme. Freund vier wollte sich ebenfalls äußern, allerdings war mir ziemlich unwohl bei dem Gedanken, Einzelheiten von ihm zu erfahren, da ich ihn seit seiner Geburt kenne; er bestätigte es sei „ok“ gewesen. Freund fünf meinte bloß: „Es geht so“. Meine Freunde scheinen Kinsey Recht zu geben, dass „die meisten Männer sich auf eine Reihe von speziellen Techniken beschränken, auf die sie in erotischer Hinsicht konditioniert wurden“.
Eine europaweite Umfrage 2013 von YouGov, einer auf internetbasierte Marktforschung und Datenanalyse spezialisierten Firma, ergab, dass ein Drittel der 2.168 Befragten in Großbritannien schon einmal ein Sexspielzeug benutzt hatte. Das britische Unternehmen Lovehoney verkauft alle 16 Sekunden eines seiner Erzeugnisse. Das weltweit beliebteste Sexspielzeug ist der Dildo, knapp gefolgt von Penisringen und Vibratoren in ihren verschiedenen Formen. Penetrierbare Sexspielzeuge tauchen auf den vorderen Plätzen überhaupt nicht auf.
In den letzten Jahren sind einige neue Akteure auf den Plan getreten, die von den Fortschritten bei der Material- und Technologieentwicklung ebenso profitierten wie von dem großen Verlangen nach Lust. Der Kaninchenvibrator bedeutete einen Wandel im Design, das sich bis dahin in der Nachbildung menschlicher Körperteile erschöpft hatte. Er war der Beleg, dass die Form von Sexspielzeug Veränderung vertrug, abstrakter werden konnte und sich optimieren ließ. Heute sind Hunderte verschiedener Vibratoren, Dildos und Fleshlights erhältlich, von denen manche nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem menschlichen Körperteil haben. Einige stellen ungewöhnlich gewundene Gebilde dar, die sehr schön und dekorativ wirken. Es gibt gekrümmte und gebogene Vibratoren und solche, die elastisch sind und sich anpassen können. Es gibt künstliche Öffnungen, die in ihrer Form fremdartig anmuten. Ihr Pulsieren lässt sich programmieren, so dass der Nutzer aus verschiedenen Abfolgen auswählen kann. Diese neuen Produkte bieten noch einen weiteren Vorteil. Sie sind smart.