Читать книгу Turned on - Kate Devlin - Страница 7
Einführung
ОглавлениеEs mag unterschiedliche Gründe geben, weswegen Sie zu diesem Buch gegriffen haben. Vielleicht haben Sie sich vom Umschlag des Buches leiten lassen? Er ist schön geworden. Oder vielleicht haben Sie das Buch als Geschenk für jemanden gekauft, um sie oder ihn so richtig in Verlegenheit zu bringen. Hallo, Empfänger. Vielleicht wollten Sie aber auch wissen, wie es möglich sein kann, das Thema auf wissenschaftlich ansprechende Weise zu behandeln. Dagegen gäbe es nichts einzuwenden, und ich hoffe, dass Sie die kommenden zehn Kapitel dabeibleiben und mir gestatten, Sie mit den wunderbaren Geschichten und Ideen, wissenschaftlichen Leistungen und neuesten Technologien auf dem Gebiet vertraut zu machen. Dabei werden Sie sehen, dass an der Thematik, die zunächst so trivial erscheint, viel, viel mehr dran ist.
In den letzten Jahren gab es jede Menge Schlagzeilen zu Sexrobotern. Die meisten habe ich gelesen. De facto stehen hinter diesen Meldungen häufig Arbeiten von mir und anderen Robosexologen (das Wort habe ich mir gerade ausgedacht). Dabei hatte ich bis vor ein paar Jahren sicher nicht vor, eine Expertin und Sprecherin für ein solches Nischenthema und diese etwas gewagte Technologieform zu werden. Doch wie sich herausstellt – und niemanden wirklich überraschen dürfte –, kommen Menschen ziemlich schnell sehr stark in Wallung, wenn man die Worte „Sex“ und „Roboter“ kombiniert miteinander in massenmedialen Umlauf bringt (was nicht heißt, dass ich hier, mit diesem Buch, vorhabe, Sie in Wallung zu versetzen. Wenn Sie nach deftigen Anzüglichkeiten suchen, werden Sie wenig Glück haben).
Dies ist kein Buch, in dem es nur um Sex geht. Oder um Roboter in diesem Zusammenhang. Es geht darin um Intimität und Technologie, um Computer und Psychologie. Es dreht sich um Geschichte und Archäologie, um Liebe und Biologie. Es behandelt die Zukunft, die nahe sowohl wie die ferne: Sciencefiction-Utopien und -Dystopien, Einsamkeit und Gesellschaft, Recht und Ethik, Privatsphäre und Gemeinschaft. Und vor allem geht es darin um das Leben als Mensch in einer Welt voller Maschinen.
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Mein Leben unter den Sexrobotern begann dort, wo viele gute Ideen beginnen: in der Kneipe. Es war eine europäische Konferenz über Kognition und Robotik, und alles war voll mit Forscherinnen und Forschern, die zu Künstlicher Intelligenz arbeiteten. Trinkrunden nach Konferenzen sind immer großartige Gelegenheiten, um die menschliche Existenz gründlich auseinanderzunehmen, zumal wenn Philosophen anwesend sind. Und wenn es ein Gutes hat, mit Philosophen befreundet zu sein, so ist es, dass sie ihre Gedanken über das menschliche Dasein mit anderen teilen. Und wenn Konferenzen über Kognition ein Gutes haben, dann dies, dass dort jede Menge Philosophinnen sind.
Der genaue Inhalt unseres Gesprächs ist verschwommen, wie durch einen glücklichen Alkoholschleier verdeckt, doch glaube ich mich zu erinnern, dass wir über die Eigenschaften diskutiert haben, die uns zu Menschen machen, die uns das Gefühl der Lebendigkeit geben. Auf der Konferenz ging es um die Frage, wie wir Systeme zum Denken bringen könnten. Oder anders gesagt, wie sich Denken künstlich hervorbringen ließe. Dieses Ziel – Maschinen herzustellen, die auf ihre Umwelt und auf Situationen reagieren können, auf die sie nie zuvor gestoßen sind – setzt das Wissen voraus, wie wir Menschen diese Dinge tun. Das heißt nicht, dass wir bei unseren Maschinen menschliche Wahrnehmungs- und Reaktionsweisen nachbilden wollen. Das wäre eine Möglichkeit, es gibt aber vielleicht andere, effektivere Wege, die sich für ein computergesteuertes System besser eignen. Bevor wir uns jedoch auf eine Methode festlegen, müssen wir herausarbeiten, wie wir solche Dinge tun. Selbst nach Jahrmillionen der Evolution gibt es noch eine Menge, was wir über die Funktionsweise des Menschen nicht wissen.
Trotz unserer Bemühungen, zu kultivierten Menschen zu werden – indem wir uns etwa hübsche Häuser bauen, sie geschmackvoll einrichten, aufeinander abgestimmte Kleidung tragen und uns Gedanken über den Sitz unserer Frisur machen –, können wir unserer tierischen Natur doch nicht ganz entkommen. Wir können uns noch so intellektuell und erhaben vorkommen, wenn wir zu einer Verabredung ins Theater oder in ein Weinlokal gehen, im Wesentlichen vollführen wir dabei doch nur ein Balzritual, das von dem Bedürfnis nach menschlicher Vereinigung angetrieben wird. Sex gehört ganz wesentlich zu dem, wie Menschen funktionieren. Er ist der Grund, dass wir den Planeten seit Millionen von Jahren bevölkern. Die im Hirn Blasen schlagende wohlige Erregung sorgt dafür, dass wir alle Vernunft in den Wind schlagen. Es gehört viel dazu, sich über etwas hinwegzusetzen, das körperlich so tief in unserer Existenz verankert ist. Es wirkt in unser Denken und Handeln hinein. Es beeinflusst unser Wahrnehmen und Erkennen. Und es macht Spaß.
Und so floss das Gespräch mit den Getränken dahin und wir fingen an, Fragen zu stellen, auf die es keine Antworten gab; Fragen, die wir lösen wollten. Inwiefern etwa der Sex Einfluss darauf hat, wie wir unsere Welt denken und verstehen. Können – und sollten – wir dies in einem künstlichen kognitiven System nachbilden? Wenn ein Roboter so konstruiert wird, dass er auf menschenähnliche Weise handelt, sollte man ihn dann auch mit Sexualität ausstatten? Ließe sich Begehren konstruieren? Welche Rolle könnte es für sexuell aktive Roboter im Gesundheitswesen geben? Würde ihr Einsatz von der Gesellschaft akzeptiert?
Den Inhalt der meisten Vorträge, die auf dieser Konferenz gehalten wurden, habe ich wieder vergessen. Geblieben aber sind die Fragen aus den gut begossenen Gesprächen danach. Sie arbeiteten auch bei nüchternem Tageslicht weiter. Zwei kurz darauf folgende Ereignisse sorgten dann dafür, dass daraus eine Forschungsarbeit wurde, der ich unbedingt nachgehen wollte. Das erste hatte mit einer Studentin zu tun, die ihre Masterarbeit über ein Thema schrieb, bei dem ich sie sehr gern betreuen wollte; es ging um künstliche Sexualität. Das zweite Ereignis bildete ein Medienhype, der eben eingesetzt hatte und in dem erste Rufe nach einem Verbot von Sexrobotern laut wurden. Das war’s. Ich hatte angebissen.
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Roboter sind schon lange unter uns. Die Idee von Robotern gibt es jedoch schon viel, viel länger – seit Tausenden von Jahren genau genommen. Autonome Roboter aber – Maschinen, die sich zur eigenständigen Ausführung von Aufgaben programmieren ließen – kamen erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts auf. Dies waren Industrieroboter, die zur Automatisierung von Produktionsstraßen konstruiert wurden. Ganz ähnlich wie die dampfgetriebene industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts standen auch diese Roboter am Beginn eines neuen und zukunftsweisenden Produktionsprozesses.
Die westliche Moderne erlebte drei industrielle Revolutionen. Die erste wurde durch das Aufkommen dampfgetriebener Mühlen ausgelöst; die zweite durch den Einsatz von Stahl, Öl und elektrischer Energie. Die jüngste, die dritte, bildet die sogenannte digitale Revolution. Sie ist ein Produkt des Internets und der Personal Computer. Jetzt, so heißt es, befinden wir uns an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution. In diesem revolutionären Umbruchsprozess sind es Robotik und Künstliche Intelligenz, die unsere bestehenden Produktionsmittel sprengen und ersetzen.
Roboter und Künstliche Intelligenz sind zwei unterschiedliche Dinge, die sich jedoch gewinnbringend verbinden lassen. Die Roboter bilden die mechanischen Körper. Sie existieren in physischer Form – nicht zwingend in humanoider, wenngleich das eine Form ist –, und sie können angewiesen werden, sich in Bewegung zu setzen und programmierte Befehle auszuführen. Die Künstliche Intelligenz, bekannt unter ihrer Abkürzung KI, bildet den nichtphysischen Teil. Sie entspricht dem Gehirn, wenngleich „Gehirn“ ein belasteter Ausdruck ist, weil die KI derzeit nicht wie ein Mensch denkt. Dafür lernt sie aus Daten, analysiert den eingegebenen Input, spürt Muster auf und bringt so neue Einsichten hervor. Gegenwärtig ist sie ziemlich beschränkt: Es gibt noch keine allgemeine Künstliche Intelligenz, sondern nur Technologie, die bestimmte konkrete Aufgaben auf eine Weise ausführen kann, die sich als intelligent bezeichnen ließe. Die KI kann uns im Schach und beim Go-Spiel überlisten, wir aber haben immer noch die Oberhand beim eher reaktiven, schlussfolgernden Denken.
Roboter und KI werden immer mehr zu einem integralen Bestandteil unseres Alltagslebens. Die KI umgibt uns überall. Wir bemerken sie kaum, da sie sich in den meisten Fällen nahtlos in die Abläufe einfügt. Die Hilfefunktion auf der kommerziellen Internetseite, die Sie vorhin genutzt haben? Das war mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Chatbot: automatisierte KI. Es ist gar nicht so leicht, den Unterschied auszumachen zwischen einem Menschen, der seinen Kundendienst nach Vorschrift verrichtet, und irgendeiner Software, die immer genauer werdende Rückmeldungen gibt. Wir mögen noch keine empfindungsfähige KI haben – und tatsächlich werden wir vielleicht nie über eine solche verfügen –, doch wir können es sicherlich erreichen, dass sie menschlich erscheint. Man stecke irgendeine KI in einen Roboter, und dieser Roboter kann etwas über seine Umgebung erfahren, diese Daten verarbeiten und auf neue Weise danach handeln. Man gebe diesem Roboter eine menschliche Gestalt, und voilà! Wir sind dabei, einen künstlichen Menschen zu erschaffen. Wenn man so will.
Ein neues Phänomen ist die wachsende Beliebtheit künstlicher Assistenten, das heißt von Software, die Sprachbefehle erkennen und darauf reagieren kann. Die vier Assistenten, die heute den Markt beherrschen, sind Amazons Alexa, Apples Siri, Googles Assistant und Microsofts Cortana. Es heißt, Facebook wird bald eine eigene Version herausbringen. Sprechen Sie einen solchen Assistenten an, und Sie können sich alle möglichen Auskünfte geben lassen: den Wetterbericht, den Lieblings-Radiosender, Rezepte und Sportergebnisse. Sie können ihn auffordern, sich Ihre Einkaufsliste zu merken oder den Wecker zu stellen. Sie können über ihn Ihre Beleuchtung kontrollieren, wenn Sie über smarte Glühlampen verfügen. Sie können ihn auffordern, Ihre Heizung anzustellen, sofern Ihre Anlage mit dem Internet verbunden ist. Sie können ihn sogar auffordern, mit Ihrem elektrischen Wasserkocher Wasser zum Kochen zu bringen. Bis Sie jedoch überprüft haben, ob sich Wasser im Gerät befindet, das Gerät gegebenenfalls wieder aufgefüllt und angeschlossen haben, könnten Sie den Schalter auch selbst betätigen.
Und seien Sie sicher, dass auf jeden Befehl wie „Cortana, stell’ die Musik leiser“ eine viel anzüglichere Aufforderung kommt, die irgendjemand an irgendeinem Ort erteilt. Hatten Sie je Dirty Talk mit Siri? Haben Sie Alexa gegenüber je sexuelle Annäherungsversuche unternommen? Sollten Sie es getan haben – wenn auch nur, um zu sehen, was passiert –, so sind Sie sicher nicht allein. Denn sobald etwas in der Welt ist, werden Menschen versuchen, es zu verderben. Allerdings werden die virtuellen Persönlichkeiten hinter den beliebten künstlichen Assistenten auch zum Anbaggern benutzt. Konzerne wie Microsoft, Google, Apple und Amazon treffen hinter den Kulissen tatsächlich sehr aufwendige Vorkehrungen, um die Annäherungsversuche von Chatbotnutzern und -nutzerinnen abzuwehren. Probieren Sie es aus. Aber vielleicht nicht auf der Arbeit.
Doch wie menschlich ist ein solcher Assistent eigentlich? Menschlich genug, um ihm zu vertrauen? Um sich mit ihm anzufreunden? Sich in ihn zu verlieben? In Her, einem Film von Spike Jonze aus dem Jahr 2013, wird ein Szenario in naher Zukunft geschildert, in dem ein einsamer Mann, der in Scheidung lebt, seinem Betriebssystem verfällt. Leider fließt der Strom der wahren Liebe nie sanft dahin, und bald ist der Protagonist über das Fehlen eines Körpers frustriert. Glücklicherweise haben wir im echten Leben jetzt eine Lösung dafür, und die heißt: der Sexroboter.
Bevor Sie sich jedoch allzu große Hoffnungen auf lebensechte Exemplare machen: So weit ist es noch nicht ganz. Zwar haben Sexroboter schon lange einen festen Platz in der Sciencefiction, sie sind jedoch erst noch dabei, Wirklichkeit zu werden. Ein Vorreiter auf dem Weg zu einer gewerblichen Mainstreamproduktion ist das in Kalifornien ansässige Unternehmen Abyss Creations. Es stellt RealDolls her, Silikonpuppen, die es auch in einer Ausführung mit animatronischem Kopf und KI-Persönlichkeit gibt. Dieser Roboter (der kein ganz richtiger Roboter ist, da vom Hals abwärts unbeweglich) trägt den Namen Harmony, und über die KI-App kann man Feineinstellungen an Harmonys Persönlichkeit vornehmen und die Charaktereigenschaften bei ihr hervorheben, die man selbst am meisten schätzt. In Europa hat der Ingenieur Sergi Santos einen Roboter konstruiert, der zunächst in Erregung versetzt werden muss. Ihr Auftrag – sollten Sie sich entschließen, ihn anzunehmen – besteht also darin, den Roboter zum Orgasmus zu bringen. Fällt Ihnen an diesen Beispielen irgendetwas auf? Richtig, die heute hergestellten Modelle haben überwiegend Frauengestalt.
In ihren derzeitigen Ausführungen kann man Sexroboter unmöglich mit Menschen verwechseln. Sie sind etwas anderes, nämlich comicartige, überbetonte und übersexualisierte Frauenfiguren. Doch warum? Wenn wir mit den erstaunlichen Technologien, die wir beherrschen, alles machen können, was wir wollen, warum versuchen wir dann – und scheitern zwangsläufig damit –, etwas Realistisches herzustellen? Wir könnten doch konstruieren, was immer wir wollen: fünf Brüste, drei Penisse, zwanzig Arme. Warum tun wir das dann nicht? Gibt es etwas an der Gestalt des Menschen, das diese Art von Robotern so unwiderstehlich macht?
Nicht alle freuen sich über eine Zukunft mit technisierten Freuden. Es gibt juristische und ethische Fragen, die geklärt werden müssen: Erfüllt der Geschlechtsverkehr mit einem Roboter den Tatbestand des Betrügens? Wird er zu Gewalt und Vergewaltigungen führen? Was ist, wenn jemand einen Roboter mit Kinderkörper konstruiert? Werden Sexroboter die menschlichen Beziehungen kaputtmachen? Werden sie, wie eine Schlagzeile von 2016 suggerierte, „uns alle zu Tode ficken“?
Vielleicht trifft aber auch das Gegenteil zu und der sexuelle Begleitroboter bietet uns eine Chance, unser Leben zu bereichern und weiterzuentwickeln: der Einsamkeit entgegenzuwirken, uns Lust zu verschaffen, sexuelle Ausbeutungsarbeit zu beseitigen oder Triebtäter zu behandeln und wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Möglicherweise ist das die Zukunft, und statt Angst vor dem Aufstieg der Maschinen zu haben, könnten wir sie buchstäblich in die Arme schließen.
Gehen wir die Sache also an. Es ist Zeit, die faszinierende und manchmal auch düstere Welt der Sexroboter zu erkunden. Und dazu müssen wir zu Anfang mindestens 30.000 Jahre zurückreisen und unterwegs ein paar Mal Halt machen. Auf geht’s. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.