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Woche vom 27.04. – 8.05.2020

Diese beiden Wochen unterscheiden sich nur geringfügig von den ersten Wochen des Distanzunterrichts. Die Infektionszahlen gehen zurück, aus meiner eigenen Klasse ist nur ein Schüler von einer Quarantäne betroffen, weil die ältere Schwester, die nicht Schülerin unserer Schule ist, an Corona erkrankt ist.

Die KollegInnen, die die Jahrgänge 9 und 10 unterrichten, sind in ihren Klassen deutlich häufiger von der Pandemie betroffen.

Die Abiturienten haben ihre Prüfungen mit 10 tägiger Verspätung absolviert, aber nicht weniger erfolgreich!

Auch im Jahrgang 10 kocht man auf kleiner Flamme: die Zentralen Prüfungen werden von den Fach- und Klassenlehrern persönlich vorbereitet und NICHT zentral gestellt.

Am Ende jeder der beiden Wochen fragt man sich, wann denn die nächste Mail aus dem Schulministerium, die immer freitags mittags Neues für die kommende Woche ankündigt, nun verkündet, dass wegen weiter sinkenden Infektionszahlen der Schulbetrieb im Wechselunterricht nun aufgenommen wird.

In den ersten Tagen des Wonnemonats kommt die erlösende Nachricht: am 11. Mai soll es losgehen… immer ein Doppeljahrgang im Wechselunterricht.

Das bedeutet, dass die Jahrgänge 5 und 7 montags mit ihrer B-Gruppe starten (meist ist das die zweite Hälfte der Klasse im Alphabet damit gemeint) und die Jahrgänge 6 und 8 dienstags mit der A-Gruppe ihrer Klassen. Man muss kein Studium absolviert haben, um diese Regelung zu verstehen, wohl aber einige Jahre an einer weiterführenden Schule zugebracht haben.

Die Jahrgänge 9 und 10 sind bereits eine Woche zuvor wieder in den Schulbetrieb zurückgekehrt.

In dieser Woche bringe ich noch schnell die Reihenfolge der Tische in meinem Klassenraum in die vorgeschriebene Ordnung, desinfiziere alle Möbel, entferne noch Deko aus dem zurückliegenden Winter, wische die Tafel, an der noch das Datum vom 13. März steht und kümmere mich um unsere im Herbst bepflanzten Blumenkästen vor unseren Klassenfenstern. Die wunderschönen Krokusse, Narzissen und Papageientulpen kann keiner der SchülerInnen bewundern. Sie sind in aller Stille vor sich hin vertrocknet!

Eine Vorgabe des Schulministeriums für die Wiederöffnung der Schulen bringt mich leicht aus der Fassung: es müssen in allen Klassen und für alle SchülerInnen ausreichend Papiertücher, Seife und Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen.

Dass ich nicht lache: seit meinem Eintritt ins Schulleben bringe ich Frottierhandtücher (die ich regelmäßig wasche) , Seife und anderes Reinigungsmaterial von zu Hause mit und bestücke damit meinen Klassenraum. Ich repariere, reinige und gieße die Blumen, ersetze, wo Dinge kaputt gehen…., weil nirgendwo in der Institution Schule Dinge ausreichend vorhanden sind und es auch nie waren: in meiner Schulzeit nicht, in der meiner Kinder nicht und auch jetzt nicht!

Als Mutter habe ich Gardinen genäht und gewaschen, Schubladenschränke repariert und natürlich Kuchen für Schulfeste gebacken. Als Lehrerin tue ich dies wieder. Und jetzt macht man es für die Öffnung der Schulen zur Bedingung, dass diese Dinge vorhanden sind bzw. funktionieren.

Ich bin gespannt auf den 11. Mai und frage mich: „Wenn das alles vorhanden ist, wer hat dann die letzten Jahrzehnte auf dem Material gesessen oder es mit nach Hause genommen?“

Der 11. Mai kommt und… Für jeden Klassenraum ist die Erstausstattung an Desinfektions- und Reinigungsmaterial vorhanden, KlassensprecherInnen werden alsbald zum Hausmeisterbüro geschickt, um die Sachen in Empfang zu nehmen.

Nachdem in der ersten Woche ein Überschuss an Vorräten vorhanden ist, wird dieser Berg aber in den folgenden Wochen sukzessiv abgetragen und … wir sind wieder im alten Muster!

Des weiteren macht mir und meinen KollegInnen ein Vorwurf unseres amtierenden Familienministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten in NRW zu schaffen:

„In den zurückliegenden Wochen haben etliche LehrerInnen ihren Vorgarten in Ordnung gebracht und andere Dinge getan, anstatt sich um ihren Unterricht zu kümmern!“

„Schau an!“, denke ich „woher er das wohl hat?“

Wie kann ein Mitglied der Landesregierung, das in den letzten Wochen und Monaten jede Gelegenheit genutzt hat, sein Gesicht in die Kameras der bekannten Fernsehsender zu halten und sich in keiner Bildungseinrichtung blicken ließ und die LehrerInnen nicht dazu befragt hat, wie sie ihren Unterricht oder Arbeitstag gestalten, sich zu solch einer unqualifizierten Äußerung bemüßigt fühlen???? Mich jedenfalls hat niemand befragt!

Dass unsere Bildungsministerin nur Fernurteile abgibt, daran hat man sich gewöhnt, dass daraus aber jetzt ein Wettstreit unter Politikern entstehen soll nach dem Motto „Wer trifft das Fettnäpfchen zuerst?“, das ist eine neue Dimension.

Unsere Bundes- und Landespolitiker haben keine Kurzarbeit aufgebrummt bekommen, keine Kürzung ihrer Diäten aufgrund der wirtschaftlichen Lage, haben stattdessen höchst selbst ihre Tätigkeit für systemrelevant erklärt und sich nur nach eigener Entscheidung über sich selbst ins Homeoffice begeben.

Noch haben sie uns LehrerInnen den Unterschied zwischen Präsenz- , Distanz- und Hybridunterricht erklärt, die Beschaffung unserer Dienstlaptops beschleunigt, noch sich ernsthaft Gedanken für die Bestimmungen gemacht, zu denen die Schulen wieder geöffnet werden sollen!

Am 8. Mai finden noch zwei Jahrgangskonferenzen statt, bei denen alles den nahenden Schulbeginn betreffend besprochen werden soll. Es werden immer zwei Jahrgänge zusammengelegt , die Jahrgangsstufen der Oberstufe laden zu Einzelveranstaltungen ein und jeder Kollege/jede Kollegin wird gebeten, diejenige Veranstaltung zu besuchen, in der er/sie für sich den höchsten Informationsgehalt sieht. Ich denke, im Jahrgang 7 und 8 sind genügend Lehrkräfte vertreten, die du hinterher fragen kannst. Also besuchst du 9 und 10 und hinterher die EF.

In diesen Gedanken platzt ein Telefonanruf meines Sohnes, der soeben einen Verkehrsunfall auf dem Heimweg beim Linksabbiegen erlitten hat, als er sich beim örtlichen Fahrradhändler nach einem preisgünstigen Fahrrad erkundigen wollte.

Wagen ist Totalschaden, er selbst unversehrt. Ich sage ihm, dass ich mich auf den Weg mache. Als ich ankomme, hat sich bereits ein zweiter Unfall ereignet und wir warten auf die Polizei und den Abschleppwagen. An Schule denke ich heute nicht mehr…

Erst am Montagmorgen empfängt mich meine Kollegin mit vorwurfsvollem Blick.

Sie hätte mich bei der Jahrgangsstufenkonferenz vermisst, die Abteilungsleiterin hätte auch nicht gewusst, warum ich nicht dort gewesen sei. Ich sage ihr, dass die Anweisung von oben ausgesagt hätte, dass jeder/jede die von ihm/ihr favorisierte Konferenz besucht. Ich hätte geplant, sie am Vorabend von meinem Plan zu unterrichten, mir wäre aber der Autounfall meines Sohnes dazwischengekommen.

„Das wusste ich nicht“, entgegnet sie und fährt fort: „Und überhaupt“, wie sieht es mit dem Irland-Projekt aus?“

„Aha,“ denke ich, „Beamtin nimmt angestellte Lehrerin ins Verhör!“ „Zu Hause“, entgegne ich. „Bringe es morgen mit!“ „Ich möchte es aber wirklich sehen!“ , insistiert sie. Sie leitet den Englischunterricht in unserer Klasse, den ich ihr freundlicherweise überlassen habe. „Kein Problem“, sage ich. „Morgen.“ Daraufhin verlässt sie den Raum. Ich merke, wie mir allmählich die Tränen in die Augen steigen.

Am Abend habe ich einen Termin bei meinem Arzt. Ich befinde mich seit 3 Jahren in Psychotherapie, wozu mich verschiedene Vorkommnisse bewogen haben, mit deren Verarbeitung ich nicht mehr klar komme, eines davon betrifft auf jeden Fall die Schule! Als weitere Konsequenz hieraus entsteht irgendwann im Winter 20/21 die Idee, dieses Buch zu schreiben.

Ich erzähle von dem zurückliegenden Tag (die anderen Ereignisse weiß er bereits).

Er klärt mich darüber auf, dass Depressionen ein Grund seien, sich vom aktiven Dienst befreien zu lassen. Diverse andere Krankheiten habe ich leider auch und so bitte ich ihn erstmal um Krankschreibung für 14 Tage – solange bis das anfängliche Chaos in der Schule sich geklärt, die KollegInnen sich beruhigt und die SchülerInnen wieder sicher Fuß gefasst haben im Schulalltag. Ich möchte auf keinen Fall dauerhaft krankgeschrieben werden, schließlich habe ich die letzten Wochen schadlos überstanden, aber mein Arzt klärt mich darüber auf, dass ich ja noch meine betagte Mutti zu Hause hätte und auch nicht riskieren könne, sie anzustecken, sollten die Infektionszahlen weiter nach oben gehen und Corona weiter um sich greifen. Das könne nun bei geöffneten Schulen jederzeit passieren.

Mit diesen Worten gibt er mir meine Krankmeldung.

Am Morgen des Folgetages rufe ich meine Kollegin an und bitte sie um ein Gespräch. Hierin teile ich ihr mit, dass ich gesundheitlich angeschlagen bin und in den nächsten beiden Wochen keinen Präsenzunterricht in der Schule erteilen werde.

Pandemie und Pannenwirtschaft

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