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Frühjahr 2020

Ich arbeite an der PISA-Schule in Dünnthal, einem Stadtteil einer westdeutschen Stadt mit 200.000 Einwohnern. Ein riesiges Unternehmen für die Produktion von Autoteilen hat sich hier angesiedelt und beliefert von hier aus die Kunden weltweit.

Unsere Schule hat ca. 1800 SchülerInnen, 45% Migrationsanteil und wird auf Standortfaktor 3 eingestuft. Sie liegt am Anfang einer Wohnstraße, im rechten Winkel zwischen einer verkehrsreichen Straße, die den Stadtteil von Ost nach West durchquert, und einer ehemaligen Hauptverkehrsader, die aber mittlerweile verkehrsberuhigt ist. In unmittelbarer Nähe haben wir einen See, der nach unserer chinesischen Partnerstadt benannt ist, eingebettet von grünen Hügeln, die im Winter zum Schlitten fahren einladen, so denn Schnee liegt, einer Schrebergartenanlage, einem kleinen Wäldchen mit einem weiteren kleinen Weiher, der schon an das nächste Wohngebiet angrenzt.

An unserer Schule arbeiten 200 KollegInnen, ca. 11 Referendare und Referendarinnen, 1 Schulsozialarbeiterin und 1 Schulsozialarbeiter, 9 Sonderpädagogen und div. IntegrationshelferInnen. Hinzu kommen die Mitarbeiter der schuleigenen Mensa mit Angestellten in der Verwaltung, in der Küche und in der Essensausgabe und natürlich die Sekretärinnen des Schulsekretariats sowie diverse Hausmeister.

Wir kämpfen alle schon den ganzen Winter mit hartnäckigen Erkältungskrankheiten, SchülerInnen werden krank zur Schule geschickt, weil zu Hause keine Betreuung stattfinden kann, KollegInnen kommen krank zur Schule, teils wegen verpflichtender Berufsauffassung, teils auch auf der Flucht vor häuslichen Viren.

In der Schule herrscht ein Krankenstand von 33%, die letzten KollegInnen, die sich noch auf den Beinen halten können, werden dadurch auch noch zur Vertretung herangezogen.

In Wuhan/China ist erstmals im Dezember 2019 von einem grassierenden Virus die Rede, welches auf einem Markt mit lebendigen Tieren übertragen worden sein soll, worüber man heute immer noch mutmaßt und keine genauen Kenntnisse vorliegen und außerdem ist Wuhan gaaaaaanz weit weg!

Die ersten Fälle kommen näher, in China wird Wuhan weiträumig abgeriegelt, das öffentliche Leben heruntergefahren. In Österreich feiern angeblich sportbegeisterte Skifahrer beim Après-Ski und in Westdeutschland feiert man eine Kappensitzung, ca. 80-100km von meinem Wohnort entfernt. Zu diesem Zeitpunkt sind Landesregierung und Bundesregierung noch der Ansicht, dass das Virus uns nichts anhaben kann. Man beruft sich mit dieser Haltung auf das Robert-Koch-Institut.

Am 13. März 2020 begehe ich mit meiner Klasse den „Tropentag“. Wir wollen die Unterrichtsreihe „Leben in unterschiedlichen Landschaftszonen“ abschließen. Ich habe dazu meine Hängematte mitgebracht und viele Fotos mit Palmen. Die SchülerInnen malen auch selbst welche und essen dabei von mir mitgebrachte Physalis, Drachenfrüchte, Bananen und Passionsfrüchte, die viele von ihnen das erste Mal probieren. Trotz aller Lockerheit herrscht eine angespannte Stimmung, weil sich in den Medien seit Mitte der Woche hartnäckig das Gerücht hält, dass am kommenden Montag, den 16. März die Schulen im Land aufgrund der stetig steigenden Infektionszahlen schließen würden. KollegInnen schleichen in angestrengter Erwartung durch die Flure, die Schulleitung hält sich bedeckt, die SchülerInnen sind nervös und mir ist auch nicht wohl…. Irgendwie herrscht Endzeitstimmung!

Dann kommt die befürchtete Durchsage, auf die das Kollegium Tage vorher in einer seltsamen Dienstbeprechung, wobei sich die KollegInnen mit der Teilnahme abwechseln müssen, in unserer Aula vorbereitet worden war: KollegInnen aus Klassenräumen mit gerader Raumzahl sollten sich zuerst einfinden, dem/der Kollegen/Kollegin aus dem Nachbarraum mit der ungeraden Raumzahl Bescheid geben, damit er/sie die eigene Klasse beaufsichtige bis er/sie zurückkäme und den Kollegen/die Kollegin ablöste, die/ der sich dann ihrerseits/seinerseits auf den Weg in die Aula machte, um das verwirrende Prozedere der Vorbereitung zur Schulschließung zu erfahren, welches am Tag XY einsetzen sollte.

Ich weiß nicht, wie viele von uns dachten dieser Tag läge noch in weiter Ferne.

Die Durchsage „Liebe Schülerinnen und Schüler, liebes Kollegium, ich bitte um Entschuldigung für die Störung, aber ich habe eine wichtige Durchsage…“ ist der Schulgemeinde wohl vertraut. Sie kommt um 12.00h!

„Die Landesregierung NRW und allen voran das Schulministerium haben soeben beschlossen, dass aufgrund der steigenden Infektionszahlen in der Bevölkerung der Schulbetrieb im Land ab kommenden Montag bis auf weiteres eingestellt wird. Ich bitte die Klassenleitungen darauf zu achten, dass die SchülerInnen alle wichtigen Bücher, Arbeitsunterlagen und Ordner mit nach Hause nehmen und somit der Distanzunterricht ab Montag beginnen kann. Es wird eine Übergangsphase bis Mitte nächster Woche gewährt, da berufstätigen Eltern Vorlauf gegeben werden muss, um die Betreuung ihrer Kinder zu organisieren, sich auf das Homeschooling vorzubereiten und selbst am Arbeitsplatz Absprachen mit den KollegInnen und dem Chef zu treffen. Das heißt am kommenden Montag habt Ihr nochmals Gelegenheit, restliche Dinge abzuholen“.

Somit ist es raus! Die Klassen werden geräumt, KollegInnen packen am eigenen Arbeitsplatz ihre Sachen ein und verlassen mit den SchülerInnen gesenkten Blickes das Schulgebäude natürlich mit der Gewissheit, dass man sich zunächst am 16. März nochmals kurz wiedersehen würde. Fast jeder/jede glaubt auch in diesem Moment noch, dass, wenn die Schulen schnell geschlossen würden, man schnell wieder zur Normalität zurückfinden würde. Das will man uns jedenfalls glauben machen!

Wenn zu dieser Zeit schon sicher gewesen wäre, was uns im März 2021 erwartet, dann hätten manche Studienanfänger für das Lehramt ihre Pläne nochmals überdacht, mancher Kollege/ manche Kollegin – unter anderem auch ich – hätte sein/ihr Vorhaben für die letzten Berufsjahre vielleicht relativiert.

Pandemie und Pannenwirtschaft

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