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Party

»Und du willst echt mitgehen?«

»Warum nicht? Sieht man mir an, dass ich nicht so auf Muschis stehe?«, gab ich schnippisch zurück.

Sebastians Spiegelbild schaute mich aufgrund meiner Wortwahl etwas schockiert an. Er bemühte sich, meinen Kommentar zu ignorieren, und gelte sich die Haare weiter in Form.

»Wir gehen da mindestens einmal im Monat hin. Ist nun mal eine Homoparty. Darüber musst du dir im Klaren sein.«

»Sei mir armen Hetero-Mädchen gegenüber mal nicht so diskriminierend!«

Er tippte mir mit Zeige- und Mittelfinger fest gegen die Stirn und ging dann an mir vorbei in die Küche. Ich folgte ihm und lehnte mich mit der Schulter gegen den Türrahmen.

»Ich hab eh keinen Bock mehr auf Kerle. Ich möchte nur ein wenig mit euch feiern.«

»Dann komm eben mit, wird bestimmt lustig.«

Er reichte mir eine Flasche Bier und ging mit zwei weiteren an mir vorbei in Richtung Schlafzimmer.

»Schatz, Nora geht auch mit, bist du bald mal fertig? Och Mensch, wenn du schon zwanzig verschiedene T-Shirts durchprobieren musst, dann leg sie doch danach wieder zusammen ...«

Ich grinste. Die beiden waren ja jetzt schon wie ein altes Ehepaar. Irgendwie süß und beneidenswert.

Wenig später betraten wir die Diskothek und wurden sofort von drei riesigen Transen in Beschlag genommen, die Sebastian und Hiroki großzügig mit Küsschen begrüßten.

»Mädels, das ist Nora, meine Trauzeugin«, stellte mich Sebastian stolz vor und die drei Mädels bestaunten mich wie das achte Weltwunder. Dabei hatte ich weitaus mehr Grund zum Gaffen. Die waren alle um die drei Meter hoch. Ungelogen. Da oben musste der Sauerstoff schon ziemlich dünn sein.

»Ach Gottchen, Süße, du bist ja eine Schönheit.«

»Und das ist die Ex vom hübschen Jan? Die hätte er mal lieber behalten sollen!«

»Die bekommt doch was viel Besseres ab als diesen Miesepeter.«

»Da ist sie hier aber auf der falschen Party.«

Dann lachten sie alle laut und durcheinander und ich stand da wie ein begossener Pudel. Mit offenem Mund und mit vor Schock weit aufgerissenen Augen. Alle hier kannten Jan und wussten von uns.

»Lasst sie in Ruhe und verschreckt sie nicht gleich nach zehn Sekunden. Ihr seid echt schrecklich«, nahm mich Hiroki in Schutz und zog mich an den drei Mädels vorbei zur Garderobe. Dort gab ich meine Jacke und meine Tasche ab. Handy und Geld steckte ich in meine Jeans. Auch Sebastian und Hiroki ließen ihre Jacken dort und nahmen die Marken entgegen.

Dann betraten wir den Saal.

In der Mitte befand sich eine riesige Tanzfläche, auf der sich gefühlt tausend Körper aneinander rieben. Die bunten und blinkenden Strobolichter ließen das Ganze noch mehr wie ein Horrortrip aussehen. Zuerst fiel mir die Orientierung schwer. Ständig wurde ich geblendet. Aber als sich meine Augen langsam etwas an die Atmosphäre gewöhnt hatten, erblickte ich rechts von mir die Bar. Mein Ziel für heute Abend.

»Ich bin dann mal da hinten«, verabschiedete ich mich von den beiden und lief schnurstracks zu einem freien Barhocker, von dem aus ich eine gute Aussicht auf die Tanzfläche hatte.

Ich bestellte mir zwei Jacky Cola. Den einen kippte ich in einem Zug hinunter, den anderen trank ich etwas gemächlicher. Schneller als alle anderen um mich herum war ich trotzdem. Ich beobachtete Hiroki und Sebastian eine Zeit lang auf der Tanzfläche. Anscheinend waren die beiden hier recht bekannt. Zumindest wurden sie ständig von irgendjemandem begrüßt oder angetanzt. Sebastian war schon immer sehr kontaktfreudig gewesen. In einem Raum voller Fremder konnte man davon ausgehen, dass ihn am Ende nicht nur alle kannten, sondern auch mochten. So war er nun mal. Hiroki schien ähnlich aufgeschlossen zu sein. Gerade eben hatte er einem großen Muskelprotz im armfreien Shirt ein High-Five gegeben. Okay, die beiden amüsierten sich eindeutig. Ich ließ den Blick weiter durch den Raum wandern. Die Barhocker waren nun alle belegt. Ziemlich viele unterschiedliche Gestalten, die sich hier um mich tummelten. Die durstige Kundschaft stand am Tresen und winkte den spärlich bekleideten Barkeepern mit Geldscheinen zu, um ihrem Getränkewunsch noch mehr Dringlichkeit zu verleihen. Lächerlich. Als würden die sich von einigen fünf-Euro-Scheinen hetzen lassen ...

Am anderen Ende der Bar stand eine Frau mit tiefem Ausschnitt und lockigem Haar. Sie zwinkerte mir zu und ich konnte nicht anders als zu lachen und ihr mit meinem Getränk zuzuprosten.

Als Sebastian und Hiroki nach einiger Zeit zu mir kamen, um sich auch etwas zu bestellen, trank ich bereits meinen achten Longdrink und erreichte so langsam den Pegel, den ich gerne den Rest des Abends halten wollte. Mindestens. Ich fühlte mich gut. Etwas schwindelig, mit pelziger Zunge, aber gut gelaunt und bereit den Abend zu rocken.

»Alles okay bei dir?«, fragte mich Hiroki außer Atem und legte in einer fast schon brüderlichen Geste den Arm um meine Schulter. Sie mussten ziemlich ausgiebig getanzt haben. Ich konnte sogar etwas Schweiß auf seiner Stirn erkennen.

»Ja, Hiro, alles gut«, dann schnaubte ich und musste lachen »Hiro, so wie Superhero. Du bist mein Hero, Hiro.«

»Wie lange waren wir weg, dass du schon so betrunken bist?«

»Ich bin eben fix«, lachte ich und trank mein Glas aus.

Trotz meines Rausches wollte sich die gewünschte Entspannung nicht einstellen. Ich trank ja nicht, weil ich hier Party machen wollte und die Gesellschaft der Menschen so immens genoss. Garantiert nicht. Mir ging es darum, den Kopf endlich mal frei zu bekommen. Man könnte auch sagen, ich wollte mir damit einfach das Hirn wegpfeffern. Ich hatte es geschafft, über vieles nicht mehr nachzudenken, aber leider war es schier unmöglich, die Gedanken komplett auszuschalten. Und seit ich wieder zurück in meinem kleinen Heimatort war, arbeitete mein Hirn auf Hochtouren. Aber heute würde ich es wenigstens für ein paar Stunden zum Schweigen bringen.

Was aber, wenn der Magen schneller auf den Alkohol reagierte als das Hirn?

Langsam wurde mir übel. Ich ging auf die Damentoilette und ließ kaltes Wasser über meine Arme laufen. Danach legte ich mir meine angenehm gekühlten Hände in den Nacken. Mit geschlossenen Augen verweilte ich ein paar Sekunden in dieser Haltung und genoss das Gefühl auf meiner überhitzten Haut.

Das tat gut.

Nebenbei bekam ich mit, wie Frauen kamen und gingen. Pinkelten, Hände wuschen, knutschten und ein Mädel, das schon besonders lange in ihrer Kabine verschwunden war, schniefte sehr auffällig. Ich ahnte, was das zu bedeuten hatte.

Als die Blondine im weißen Minirock aus der Kabine geschwankt kam, rieb sie sich noch mal schwungvoll die Nase. Auffälliger ging‘s nicht, was?

Anfängerin!

Ohne lange zu fackeln warf ich der schniefenden Blondine einen Zwanzig-Euro-Schein entgegen, der im Waschbecken vor ihr landete. Sie starrte hinein und dann zu mir.

»Gib mir was ab.«

»Fick dich!«

»Hab dich nicht so!«

»Am Arsch. Warum sollte ich dir bitteschön was geben?« Die hatte aber echt eine bescheidene Laune. Vielleicht sollte sie sich lieber noch etwas mehr reinziehen.

»Weil ich weiß, was du da drin gemacht hast, und dich nur allzu gerne bei den Türstehern verpfeife. Gib also was her und mach keinen Terz.«

Sie schnaubte und kramte fahrig in ihrer Tasche. Sie warf mir ein kleines durchsichtiges Beutelchen entgegen, das ich gerade noch so auffing. Dann schnaubte sie noch mal voller Verachtung und verließ die Toilette, natürlich nicht, ohne mich noch mal ordentlich anzurempeln.

Ich grinste. Was soll‘s? Darauf hatte ich jetzt richtig Bock.

Ein Wink des Himmels!

Ich ging in eine der freien Kabinen, schloss die Tür hinter mir zu und kniete mich vor den geschlossenen Klodeckel. Dass der Boden unter meinen Knien klebte, ignorierte ich.

Ich öffnete den Beutel und kippte knapp die Hälfte des weißen Pulver auf den Deckel. Nicht gerade sehr hygienisch, aber es war ja auch nicht so, dass die Scheiße hier gesund war. Also machten die paar Bakterien wohl auch keinen großen Unterschied mehr. Ich tastete meine Hosentaschen ab und schaute mich um. Nichts Nützliches zur Hand. Ich fand lediglich Münzen, noch ein paar kleine Scheine und mein Handy. Keine Kreditkarte oder sonstiges. Na ja, es musste auch so irgendwie gehen.

Mit Hilfe der langen Kante meines iPhones versuchte ich, eine saubere Kokslinie zu formen und gleichzeitig ein paar Klümpchen zu verkleinern. Als ich mit meinem Werk zufrieden war, rollte ich einen Zehn-Euro-Schein zu einem Röhrchen, steckte es in mein rechtes Nasenloch und zog mir die Hälfte der Linie rein. Dann ein schneller Nasenloch-Wechsel, und der Rest war an der Reihe. Danach leckte ich noch über die Seite meines Handys, denn ich wollte ja nichts vergeuden.

So.

Gleich.

Nicht mehr lange und dann war alles gut.

Ich saß auf dem Klodeckel und wartete auf die Wirkung, die nach einigen Minuten einsetzte und mich grinsen ließ.

Ich wusste, wie unvernünftig es war und dass ich mir so eine Realität schuf, die eben keine war. Und trotzdem ... Das waren die Momente, für die ich lebte.

Ich war frei. Frei von allen Sorgen. Ich spürte die für Koks übliche Euphorie. Der ganze Kummer und Ballast war weg. Klar, in wenigen Stunden wäre er wieder da. Aber das war mir jetzt einfach scheißegal!

Ich verließ die Damentoilette und ging für schätzungsweise ein oder zwei Stunden auf die Tanzfläche. Ich musste mich einfach bewegen.

Diesen Zeitraum verbrachte ich damit, meine Hüften kreisen zu lassen und mich im Takt der Musik vollkommen zu verausgaben. Ich tanzte mit anderen Frauen und mit Männern. Mit Frauen, die wie Männer aussahen, und Männern, die wie Frauen aussahen. Ich glaube, ich tanzte sogar mal mit Hiro. Superhero. Ich lachte schon wieder über meine Gedanken und entschloss mich, den Rest Koks gleich auch noch wegzuziehen. Der Rausch ließ langsam nach und ich wollte nur ungern mit Drogen in der Hosentasche zu Sebastian nach Hause gehen. Wenn er etwas finden würde, wäre ein hysterischer Anfall vorprogrammiert. Er würde ausrasten, mir den Hals umdrehen und womöglich nie mehr ein Wort mit mir reden.

Ich wiederholte mein Ritual mit Handy und Geldschein auf dem Damenklo und fand mich wenige Minuten später mit einem Glas Wasser an der Bar wieder. Ich hatte zwar keinen Durst, aber den würde ich so auch nicht bekommen. Eine der Auswirkungen von Kokain. Daher trank ich lediglich aus Vernunft. Ich lachte über mich selbst. Vernunft war in dem Zusammenhang natürlich auch genau das richtige Wort. Weil es so vernünftig war, Drogen zu nehmen.

»Auf Wasser umgestiegen?« Hiroki und Sebastian standen plötzlich neben mir und wirkten beide euphorisch und verschwitzt. Ich nickte und lächelte die beiden an. Sebastian freute sich und umarmte mich. Der hatte wohl auch schon den einen oder anderen Cocktail zu viel intus. Dadurch wurde er immer so sentimental und kuschelbedürftig. Cute.

»Habe ich dir schon gesagt, wie froh ich bin, dass du wieder da bist?«, nuschelte er mir ins Ohr.

»Ich bin auch froh, wieder bei dir zu sein«, sagte ich und meinte es auch so. Ich liebte Sebastian einfach. Er umarmte mich noch fester und drohte, mich zu ersticken.

Über seinen Rücken hinweg sah ich Hiro stehen, der mich mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte. Er kam einen Schritt auf uns zu, beugte sich leicht vor und sah mir mit gerunzelter Stirn tief in die Augen. Dann richtete er sich mit einem wissenden Gesichtsausdruck wieder auf, tippte sich auf die Nasenspitze und gab mir so zu verstehen, dass er mich besser durchschaute als sein zukünftiger Gatte.

Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

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