Читать книгу Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband - Katharina Wolf - Страница 21
ОглавлениеWiedersehen
»Könntest du mir einen Gefallen tun und dich heute Abend nicht komplett abschießen?« Sebastian schaute mich flehend an. Wir saßen am Frühstückstisch und ich beschmierte gerade eine Scheibe Toastbrot dick mit Nutella.
»Kann ich nicht einfach zu Hause bleiben? Ich habe sowas von keine Lust.«
»Nora!« Sebastian baute sich bedrohlich vor mir auf. »Seit Tagen sitzt du in deinem Zimmer und tust nichts.« So ganz stimmte das nun auch wieder nicht. Er übertrieb maßlos.
»Ich lese.«
»Du tust nichts! Das geht nicht!«
»Ich hab nun mal keine Lust auf Party.«
»Das ist ein Club, in dem wir gemütlich was trinken und uns eine Band anhören. Fertig. Es wird auch nicht spät werden.«
Ich verdrehte die Augen.
»Und du wirst keinen Alkohol trinken!« Ja, das würde mich bestimmt überzeugen ...
Als sich Sebastian an der Küchentheke wieder dem Toaster zuwandte, beugte sich Hiroki zu mir rüber. Ich schaute ihn skeptisch an.
»Und lass auch die Finger von dem anderen Zeug«, flüsterte er mir verschwörerisch zu und starrte mich mit strengen Augen an.
»Jaja«, gab ich leise und resignierend zurück. Was blieb mir anderes übrig. Erstens hatte ich nichts und zweitens würde es zu einer Katastrophe kommen, wenn Hiro mich bei Sebastian verpfeifen würde. Der würde mit Sicherheit einen Tobsuchtsanfall bekommen.
»Nora, jetzt im Ernst, ich brauche heute Abend deinen Verstand, und zwar komplett und klar. Im Velvet spielt diese eine Band. Chocolate Life heißen die.«
»Sehr sympathisch, der Name«, konterte ich und biss ein weiteres Mal in mein Nutellabrot.
»Finde ich auch, und die sollen richtig gut sein. Aber bevor ich die engagiere, möchte ich sie erst mal live hören, und ich brauche deine Meinung.«
»Jaja, ich werde da sein und konzentriert lauschen. Dabei werde ich höchstens eine Coke trinken.«
»Gut so!« Er nickte mir zufrieden zu und tätschelte mir wie einem Hund den Kopf. Ich brummte leicht angesäuert. Wer war ich denn? »Außerdem machst du dich für heute mal so richtig schick.«
»Och Sebastian, warum das denn?«
»Weil, ganz einfach! Du siehst aus wie eine von den Flodders!«
Ich schaute an mir herab. Graue Jogginghose, T-Shirt mit Loch am Saum und irgendeinem weißen Fleck auf der Brust, von dem ich stark hoffte, dass es sich um Zahnpasta handelte.
Ich brummte noch mal, nahm den letzten Bissen und spülte mit Kaffee nach. Der Abend würde bestimmt grandios werden. Nicht.
Ich war jetzt schon genervt.
Sebastian hatte mir tatsächlich Klamotten ausgesucht, auf mein Bett gelegt, mit dem Finger darauf gezeigt und mit einem »Das ziehst du an und keine Widerworte!« das Zimmer verlassen. Ich hatte nicht lange genug eine Mutter gehabt, um es beurteilen zu können, aber ich war mir ziemlich sicher, dass selbst die größte Glucke nicht nerviger sein konnte als er.
»DAS?«, schrie ich ihm durch die geschlossene Tür hinterher, bekam aber keine Antwort mehr. Was sollte das denn? Warum musste ich mich denn so aufbrezeln? Ich wusste nicht mal, dass ich einen so kurzen Rock besaß. Wie konnte Sebastian diesen dann gezielt aus meinem Schrank holen?
Einige Minuten später kam er ohne zu klopfen wieder ins Zimmer gestürmt. Ich schaffte es gerade noch, das T-Shirt über meinen Kopf zu ziehen und meine Brüste zu bedecken. Gehetzt schaute ich ihn an.
»Keine Panik, bin doch nur ich.«
»Nur weil du schwul bist, heißt das nicht, dass ich nackt vor dir rumturne!«
»Ich schau dir schon nichts ab. Setz dich!«
Ich setzte mich wie befohlen auf das Bett. Sebastian zog einen Hocker vor mich, ließ sich darauf nieder und breitete diverse Schminkutensilien auf meinem kleinen Nachttisch aus.
»Sag bloß, du wirst mich ...«
»Ja, Ruhe und Augen zu!«
»Aber woher hast du ... ?«
»Augen zu!«
Ich gehorchte. Es war ja nicht so, als hätte ich eine Wahl. Er pinselte, bürstete, zog und zupfte. Keine Ahnung, was er genau tat. Aber nach einigen Minuten klatsche er in die Hände und reichte mir die Wimperntusche.
»Die machst du mal lieber selbst drauf. Das kannst du doch, oder?« Ich streckte ihm die Zunge raus und ging ohne ein weiteres Wort ins Bad. Dort betrachtete ich mich im Spiegel und seufzte. Okay, Sebastian hatte es definitiv drauf. Er war anscheinend einen Ticken mehr Frau als ich. Deprimierend.
Nachdem nun auch meine Wimpern bearbeitet und gefühlt einen halben Meter lang waren, passten sie perfekt zu den leicht geröteten Wangen, den schimmernden Lippen und den Smokey-Eyes samt langem Lidstrich. Ich sah ziemlich geil aus. Ich verließ das Badezimmer und erntete einen anerkennenden Blick von Hiroki.
»Du Luder«, sagte er nur knapp und erntete von Sebastian einen Klaps auf den Hinterkopf.
Wir betraten den Club, nachdem ein Türsteher meine Tasche mehr als gründlich durchsucht hatte. Hiros Blick entging mir dabei nicht. Ich schaute ihn an und zog eine Augenbraue hoch. Mensch, ich hatte nichts dabei. Was dachte er denn von mir?
Der Raum war ziemlich düster. Sebastian lenkte uns gezielt zu einer Sitzecke und schob mich nach hinten auf die Bank. Ich hasste so etwas. Wenn ich aufs Klo müsste, würden wegen mir alle aufstehen müssen. Viel lieber saß ich am Rand. Immer fluchtbereit. Aber ich wurde ja nicht gefragt, sondern nur mitgezerrt.
Hiro bestellte sich einen Kaffee, Sebastian eine Apfelschorle und ich eine Cola. Der Abend versprach, der langweiligste aller Zeiten zu werden. Das war schlimmer als jeder Kindergeburtstag. Wenn es wenigstens Torte geben würde. Ich bat die Bedienung um einen Strohhalm, um wenigstens das Schlürfen der Coke etwas unterhaltsamer zu gestalten.
Dabei schaute ich mich im Raum um und betrachtete die Menschen, die sich hier so rumtrieben. Das Publikum war sehr gemischt. Zwischen 18 und 60 Jahren war so ziemlich alles vertreten. Alle wirkten lässig und ich war, um ehrlich zu sein, etwas overdressed. Aber das war mir nun auch egal. Immerhin wäre ich in meiner Jogginghose ziemlich negativ aufgefallen. Also lieber so.
Eigentlich wirkte die Location ziemlich cool, musste ich zugeben. Wenn die Band jetzt nicht allzu schlecht war, käme eventuell doch noch gute Stimmung auf. Auch ohne Alkohol. Es war ja nicht so, dass ich den Alkohol brauchte, um Spaß zu haben. Er erleichterte nur vieles und half mir, einen Augenblick zu vergessen.
Plötzlich spürte ich, wie sich Sebastian neben mir anspannte. Er griff nach meiner Hand. Ich erinnerte mich daran, dass er das früher schon oft getan hatte. Aber nun verstand ich nicht, was das sollte, und schaute ihn genervt an.
»Was?«
»Pssst!« Jetzt sollte ich auch noch meinen Mund halten? Was zur Hölle fiel ihm eigentlich ein? Ich war verdammt noch mal hier, weil er es wollte, und nicht um ...
»Da seid ihr ja.«
Jan.
Mir fiel die Kinnlade runter und vollkommen unbewusst drückte ich Sebastians Hand so fest, dass er kurz zischend Luft zwischen den Zähnen einzog. Doch dann drückte er, ohne mit der Wimper zu zucken oder sich zu beschweren, zurück. Ich bekam kaum Luft und hoffte inständig, dass ich auch nur ein klitzekleines bisschen souveräner aussah, als ich mich fühlte. Auch Jan starrte mich mit großen Augen schockiert an. Anscheinend war auch er nicht vorgewarnt worden.
Tolle Freunde!
»Nora?« Jans Stimme war laut, überrascht und doch so vertraut. Nach all den Jahren hörte ich ihn zum ersten Mal. Alle Augen waren auf mich gerichtet.
»Ja, hey.« Meine Stimme zitterte. Souveränität? Fehlanzeige!
»Du bist wieder da?«
»Sieht ganz danach aus.« Oh yeah, schlagkräftig und etwas arrogant. Das war schon besser. So konnte es weitergehen. Ich musste nur mein Herz irgendwie beruhigen. Es würde mir nämlich gleich aus der Brust springen und wie eine eklige, matschige Kröte vor mir auf dem Tisch landen. So viel Action war das vertrocknete Ding nicht mehr gewohnt!
»Schon lange nicht mehr gesehen«, drang nun auch die Stimme hinter Jan zu mir durch. Fernanda. Das Miststück. Ich kannte die Frau ja wirklich kaum, aber alleine ein Blick auf diesen herablassenden Gesichtsausdruck machte mich aggressiv. Zum Glück hielt mich Sebastian fest. Ich hatte nämlich gehörig Lust, die Schlampe an ihrem gesträhnten Haar aus dem Club zu zerren und ihre geschminkte Visage draußen so lange in eine Pfütze zu drücken, bis ...
»Nicht lange genug, wie mir scheint«, gab ich kühl zurück, nahm meine Cola und trank einen Schluck. Ich dankte Gott, allen Heiligen, den Engeln, Buddha, Allah, dem Spaghettimonster, der Zahnfee und wer da noch so anbetungswürdig im Raum herumschwebte dafür, dass die Band endlich anfing zu spielen. Ich hörte ein Schlagzeug und schon stimmten Gitarre, Bass und Gesang mit ein. Erst jetzt bemerkte ich auch, dass Sebastian immer noch meine Hand hielt und mich vorsichtig von der Seite musterte. Mein Blick war auf die Bühne gerichtet, ansonsten beachtete ich nichts und niemanden. Ich wollte die beiden nicht sehen. Meinen Ex mit dieser rassigen Traumfrau. Der Anblick von eben würde mich bis in meine Träume verfolgen, sollte ich überhaupt jemals wieder schlafen können. Ich bezweifelte es.
Nach einigen Minuten, als mein Puls nicht mehr lebensbedrohlich raste, drehte ich mich zu Sebastian um.
»Das hattest du geplant, richtig?«, zischte ich ihm ins Ohr.
»Irgendwann musste es dazu kommen, und ich wollte, dass du dann top gestylt bist.« Ich schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an und schüttelte leicht den Kopf.
»Du kleiner Irrer, was hast du vor? Für welches kranke Spiel werde ich hier gerade als Spielfigur missbraucht?«
»Ich hasse diese Schnepfe, okay?«, zischte Sebastian von der Seite und biss dann die Zähne zornig zusammen. »Jan, dieser Idiot, soll verdammt noch mal sehen, was er verpasst.«
Ich schnaubte und lauschte weiter der Musik. Leider vollkommen unkonzentriert. Alle meine Antennen waren auf die Person drei Plätze weiter links gerichtet.
Jan.
Ich hibbelte nervös mit dem Bein und fühlte mich in meiner Haut so dermaßen unwohl, dass ich am liebsten abgehauen wäre. Wahrscheinlich war auch das eines der Gründe, warum Sebastian schon seit einer halben Stunde meine Hand hielt und gar nicht daran dachte, damit aufzuhören.
Einige Songs und drei Cokes später musste ich pinkeln. Es ließ sich nicht weiter aufschieben.
»Sebastian, meine Blase platzt gleich.«
»Leute, alle mal aufstehen, Nora muss sich die Nase pudern.«
Ja sicher. Das kaufte mir mit Sicherheit auch jeder hier ab.
Alle standen auf und ich ging mit gesenktem Blick an ihnen vorbei. Die Toilette fand ich schnell und ich beschloss, einfach noch etwas länger sitzen zu bleiben. Ich hätte einiges dafür gegeben, wieder auf jemanden mit etwas Koks zu treffen. Aber so viel Glück hatte ich heute leider nicht.
Ich saß auf dem geschlossenen Klodeckel und überlegte, was ich nun tun sollte. Ich konnte nicht wieder zurück. Ich wollte nicht wieder zurück. Ich wollte die beiden nicht zusammen sehen. Was wäre, wenn sie sich an der Hand hielten, wenn sie sich küssten? Ich weiß nicht, ob ich das verkraftet würde. Wahrscheinlich würde ich auch noch das bisschen Verstand verlieren, was mir noch geblieben war.
»Entschuldigung, ist alles okay da drin?«
Ich erschrak und erhob mich reflexartig.
»Ja, alles okay.«
Ich trat aus der Kabine und schaute in die besorgten Augen einer jungen Frau.
»Ist dir nicht gut?«, fragte sie mich und zog die Augenbrauen eng zusammen. Ich musste ziemlich mitgenommen aussehen.
»Danke, es ist wirklich alles okay.«
»Dann ist ja gut ... Darf ich?« Sie lächelte verlegen und ging dann an mir vorbei in die Kabine, nachdem ich zur Seite gegangen war. Von wegen nicht schlechtgehen. Gut ging es mir mit Sicherheit nicht.
Und das schon seit Jahren.
Ich trat langsam aus der Damentoilette hinaus und trottete unentschlossen hin und her. Am Ende setzte ich mich einfach an die Bar. Ich bestellte einen Kaffee. Immerhin hatte ich Sebastian versprechen müssen, nüchtern zu bleiben. Ich lauschte der Band und stellte fest, dass die gar nicht mal schlecht waren. Wie hießen sie noch gleich? Ach ja, Chocolate Life. Sie spielten Popsongs, die ich aus dem Radio kannte. Von Coldplay bis hin zu Adele. Also eindeutig Mainstream. Aber für eine Hochzeit war das, glaube ich, genau das Richtige. Da wäre Punk ja auch eher unangebracht, oder? Welche Musik würde ich auf meiner Hochzeit hören wollen? Auf jeden Fall keinen Schlager und auch keine Mallorca-Ballermann-Mucke. Ich lachte über mich selbst. Das war momentan so unglaublich weit weg. Wahrscheinlicher war da noch, dass ich hier und jetzt als Topmodel entdeckt werde oder Opfer eines Terroranschlags wurde. Ich schnaubte.
Was würde ich nun für eine Line Koks geben, oder meinetwegen etwas Acid oder einen kleinen Joint. Klitzeklein nur. Ich schloss die Augen und kniff mir mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken. Ich bekam Kopfschmerzen.
»Hey, du bist nicht mehr zurückgekommen.«
Jan.
Jan. Jan. JanJanJanJanJanJan. Ich konnte nicht aufhören, seinen Namen zu denken.
Ich öffnete die Augen und lächelte ihn gequält an. Nur nicht anmerken lassen, was für ein Wrack hier vor ihm saß. Alles okay, Nora, dir geht‘s gut. Reiß dich verdammt noch mal zusammen!
Jan setzte sich auf den freien Barhocker neben mir und schaute mich an.
»Wie geht es dir?« Es klang ehrlich interessiert.
»Gut.« Schlecht!
»Schön.« Er schwieg kurz und bestellte etwas beim Barkeeper. »Erzähl mal, was hast du die letzten Jahre so getrieben?«
»Hauptsächlich studiert. Ich habe jetzt einen Bachelor in Grafikdesign.« Ich habe mich mit einer Menge verbotener Substanzen betäubt und versucht, dich zu vergessen, und dir fällt nichts Besseres ein, als dich einfach so neben mich zu setzen und mich anzuquatschen? Du gefühlloser Idiot.
»Beeindruckend. Dann hat ja alles gut geklappt.« Wir schauten uns lange in die Augen und ich versuchte, in ihnen irgendetwas zu finden. Ein Gefühl. Bereuen? Sehnsucht? Liebe? Ich fand nichts.
»Ja, alles gut gelaufen«, sagte ich leise und schaute wieder zur Bühne vor uns. Sebastian, wo bist du nur? Rette mich! Wie konnte er mich nur mit ihm hier alleine lassen? Ich würde ihm später wohl oder übel den Hals umdrehen müssen.
»Und sonst so?« Jan riss mich aus meinen Mordplänen und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Wieder schauten wir uns an. Wo war eigentlich seine Freundin? Und wo war Sebastian, verdammt noch mal? Ich wollte weg. Das hier tat mir ganz und gar nicht gut. Mein Herz raste auf ungesunde Art und Weise. Ich hatte den Drang zu weinen und biss mir auf die Innenseite meiner Wange, um mich vom Schmerz in meiner Brust abzulenken. Was sollte das hier? Warum hatte er sich nicht verändert? Er sah noch genauso aus wie vor vier Jahren. Er lächelte noch genauso. Nichts hatte sich verändert. Das war Jan. Mein Jan. Verdammt!
»Hast du einen Freund?«
Bin ich tot? Die Frage hatte mir nämlich gerade einen schmerzhaften Stich mitten ins Herz versetzt. Ein Messer in der Brust musste sich in etwa so anfühlen. Ich schaute auf meine Füße und schaffte es wahrlich nicht mehr, ein Lächeln vorzutäuschen. Mein Gesicht fühlte sich verkrampft an, genau wie meine Hände, die sich verzweifelt ineinander krallten. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handrücken und hinterließen tiefe Halbmonde. Ich schaute nicht auf, als ich mit dem Kopf schüttelte.
»Da seid ihr ja.«
Danke, Sebastian. DANKE.
Und beim nächsten Mal bitte fünf Minuten eher!