Читать книгу Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband - Katharina Wolf - Страница 23
ОглавлениеPablo
Heute war ich Sebastian, so gut es ging, aus dem Weg gegangen. Nach dem gestrigen lautstarken Ausrutscher hatte er noch zweimal bei mir an der Tür geklopft, aber ich reagierte einfach nicht darauf. Ich wollte meine Ruhe. Es war mir peinlich, dass ich laut geworden war. Als könnte Sebastian etwas dafür. Ich hätte nicht so überreagieren dürfen. Aber ihm gegenübertreten wollte ich jetzt auch nicht. Also hatte ich mich feige im Bett verkrochen.
Alles war scheiße und ich fühlte mich schlecht!
Es klopfte. Schon wieder. Ganz leise und zaghaft. Man konnte daran schon erkennen, wie traurig Sebastian sein musste, weil ich ihn ignorierte.
»Nora? Sei nicht böse auf mich«, hörte ich es bittend und etwas weinerlich von draußen.
Ich stand auf und ging zur Tür. Das war ja kaum zu ertragen. Jetzt würde er sich am Ende noch bei mir entschuldigen. Dabei hatte ich überreagiert. Dabei war er doch vollkommen im Recht.
Ich riss die Tür auf und Sebastian erschrak. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich nun doch auf sein Klopfen reagieren würde. Ich schaute in traurige, leicht gerötete Augen. Hatte er etwa geweint? Bitte nicht.
»Sebastian, ich bin doch nicht böse auf dich ...«
»Nicht?«
»Quatsch.« Ich nahm ihn in den Arm und er drückte mich ganz fest an sich. Als wollte er sicherstellen, dass ich auch ja nicht erneut in meinem Zimmer verschwinden oder direkt die Stadt verlassen würde.
»Ich hätte einfach ruhig sein sollen. Ich war unsensibel. Hiro hatte mich gewarnt.«
»Du warst weder aufdringlich noch unsensibel. Ich habe überreagiert. Punkt. Ich bin nicht sauer und du bist nicht mehr traurig, okay?«
Er nickte und wischte sich mit dem Handrücken verstohlen über die Augen. Verdammt. Ich hatte ihn tatsächlich zum Heulen gebracht. Jetzt schämte ich mich noch mehr. Ich war echt böse.
»Hast du Lust, heute etwas Besonderes zu unternehmen? Einen Wunsch? Kino oder so?« Sebastian schaute mich hoffnungsvoll an. Oh Mann, was für eine treue Seele. Er wollte es wieder gut machen, dabei war das doch gar nicht nötig.
»Muss nicht sein. Echt, Sebastian, mach dir keinen Stress. Heute ist doch die Lesung in der Stadtbibliothek. Ich mach mich jetzt mal ausgehfertig und geh dann da hin. Kümmere du dich weiter um die Marmeladengläser. Die müssen doch bestimmt noch verziert werden, oder?« Er nickte und ich streichelte ihm beruhigend über die glattrasierte Wange und lächelte ihn an.
»Ist das wirklich okay?«
»Klaro! Mehr als okay.«
Er sollte sich wegen mir keine Sorgen machen.
Das hatte er nicht verdient.
Das hatte ich nicht verdient.
Zwei Stunden später betrat ich die Stadtbibliothek das erste Mal seit über vier Jahren. Sie hatte sich kein bisschen verändert. Wahrscheinlich lagen sogar immer noch die gleichen Flyer aus, die schon damals nicht mehr aktuell gewesen waren.
Ich folgte den Pfeilen, auf denen »Lesung Kerstin Gier« stand, und fand mich wenig später in einem großen Raum wieder, der von vorne bis hinten bestuhlt war. Ich setzte mich irgendwo mittig neben ein stämmiges Mädchen, das tatsächlich sieben Bücher von Kerstin Gier auf ihren Schoß gestapelt hatte. Als sie meinen Blick bemerkte, tätschelte sie den Stapel liebevoll.
»Die lasse ich mir alle signieren.«
Oh Gott, wenn jeder hier den kompletten Inhalt seines Bücherregals dabei hatte, würde ich niemals zu dem Vergnügen kommen, mir auch eine Unterschrift zu besorgen. Ich lächelte etwas gezwungen und schaute wieder nach vorne.
Knapp 15 Minuten später begann die Lesung. Kerstin Gier betrat den Raum unter tosendem Applaus und eine Angestellte der Bibliothek stellte sie kurz vor. Sie las drei Stellen aus ihrem neuesten Buch vor und ich musste dabei so lachen, dass mir die Tränen das Gesicht hinunterliefen. Das liebte ich so an ihren Büchern. Kerstin Gier und ich hatten haargenau den gleichen Humor. Schon oft dachte ich mir, dass ich mich mit der Frau richtig gut verstehen würde. Wir hätten garantiert viel zu lachen.
Nach der Lesung durften Fragen an die Autorin gestellt werden. Das Mädchen neben mir machte sich schon mal startbereit und richtete ihre Bücher. Sie wollte bestimmt, sobald die letzte Frage beantwortet worden war, nach vorne stürmen, um die Erste in der Reihe zu sein.
»Wie kommen Sie nur immer auf solche Ideen?«, fragte ein junges Mädchen mit lispelnder und leiser Stimme. Die Autorin antwortete sehr geduldig und nett und nahm sich auch für andere schüchterne Fans sehr viel Zeit.
»Im Frühjahr soll doch Ihr zuletzt erschienenes Buch verfilmt werden, planen Sie einen Cameo-Auftritt in dem Film?«
Diese Stimme.
Meine Augen wurden groß und ich streckte mich automatisch ein bisschen, um den Fragesteller weiter vorne sehen zu können. Da, in der ersten Reihe, saß doch tatsächlich Jan.
Jan.
Mein Jan.
Und neben ihm saß natürlich sie. Verdammt! Es war nicht mein Jan. Es war ihr Jan. Ich musste hier raus. Ich konnte diesen Anblick nicht ertragen. Sie beide an diesen Ort. An dem Ort, wo wir uns kennengelernt hatten. Das machte mich wahnsinnig!
Plötzlich beugte sich Jan nach links zu einem Typen neben ihm. Sie waren also nicht zu zweit hier. Das beruhigte mich ein wenig. Es war kein Pärchen-Ding. Der Kerl, der von Jan angesprochen wurde, drehte sein Gesicht zu ihm und antwortete. Dieses Profil. Ich kannte diesen Kerl. Doch woher?
Und dann traf es mich wie ein Schlag. Er war es. Selbst nach dieser langen Zeit erkannte ich diesen Mistkerl.
Ich sprang, wie viele andere gleichzeitig mit mir, von meinem Platz auf. Doch im Gegensatz zu ihnen wollte ich nicht zur Autorin nach vorne, um ein Autogramm zu bekommen. Nein. Ich wollte zu ihm.
Ich drängte mich an einigen Mädchen vorbei, die mich wegstießen und nicht vorbeilassen wollten. Aber meine Wut trieb mich an. Als könnten die mich aufhalten! In der ersten Reihe angekommen, baute ich mich vor ihm auf.
Alle Blicke trafen mich gleichzeitig.
»Nora?«, fragte Jan als Erster.
»Was zur Hölle machst du hier?« Meine Frage war nicht an Jan gerichtet.
»Woher kennst du denn Pablo?«, fragte Jan verwirrt, dem ich noch immer keine Aufmerksamkeit schenkte.
Pablo schien im ersten Moment gar nicht zu realisieren, wer gerade vor ihm stand und ihn böse anfunkelte. Erst langsam sah ich die Erkenntnis in seinen Augen aufblitzen.
»Nora, bist du es? Mensch, du hast dich ja verändert. Deine Haare, und du bist so unglaublich schlank ...« Er stand auf und ging einen Schritt auf mich zu.
»Fass mich nicht an!« Er wollte mich tatsächlich in den Arm nehmen, als wären wir Freunde. Als müsste man unser Wiedersehen unbedingt zelebrieren. Was zur ...? Ich war fassungslos. Verdammt noch mal, dieser Typ war doch der Grund für die Trennung gewesen! Der Grund für all das Leid, die Wut, die Depressionen, den Schafmangel, die Drogen, die verdammte Einsamkeit. Das war alles seine Schuld! Pablo, dieser ...
Ich blickte zu Jan herüber, der mich erschrocken und sprachlos anstarrte.
Plötzlich wurde mir einiges klar: Er wusste es nicht. Pablo hatte ihm nichts erzählt. Jan hatte ihn nicht erkannt. Er war auf den Fotos nicht deutlich genug zu sehen gewesen. Auf diesen war nur ein gigantischer Hinterkopf zu sehen, der mich küsste. Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir mit den Händen durch die Haare. Was war das hier? Ein Scherz? Hatte sich die verdammte Welt gegen mich verschworen? Mein Puls raste und ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Wenn das so weiterging, würde ich hier noch einen Herzinfarkt bekommen. Hier vor allen Leuten. Sie starrten mich eh schon an und hielten mich für eine Irre. Aber vielleicht war ich das auch. Einfach irre! Vollkommen verrückt!
»Verdammt, ich muss hier weg ...«
»Nora, warte!« Wer mir nachrief? Keine Ahnung.
Ich lief davon.
So wie ich es immer tat.