Читать книгу Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband - Katharina Wolf - Страница 28
ОглавлениеErwachen
Ich schlug die Augen auf und bereute es sofort. Warum musste ich nur immer wieder aufwachen? Mit Schmerzen und Übelkeit in einem fremden Bett mit einem fremden Kerl.
Verdammt.
Ich schaute mich mit müden Augen um.
»Oh«, entwich es mir. Das war hier gar nicht mal so fremd. Langsam nahm mein Hirn wieder seine Arbeit auf und ich verstand. Ich wohnte ja bei Sebastian und Hiroki und das hier war ihr Büro. Kleine Erinnerungsfetzen drängten sich in mein verkatertes Hirn. Gestern war Sebastians Junggesellenabschied gewesen. Und ich hatte gesoffen. Okay. Das erklärte einiges. Ich drehte meinen Kopf langsam nach rechts und mir entfuhr ein entsetzter Laut.
Was zur Hölle machte Jan hier? Bei mir auf meiner Schlafcouch?
Ich strampelte meine Bettdecke hektisch von mir, sprang hinaus, stolperte und knallte ziemlich laut gegen den Kleiderschrank.
»Fuck«, entfuhr es mir. Ich hatte mir den eh schon schmerzenden Kopf gestoßen. Wie ich soeben feststellen musste, hatte ich noch recht viel Restalkohol im Blut. Ich wankte zur Zimmertür, verfing mich in der Decke, die auf dem Boden lag, und knallte mit den Knien unsanft auf Laminat.
»Verdammter Mist!« Ich hörte Jan stöhnen und hielt mir die Hände vor den Mund. Bevor er komplett aufwachen konnte, verließ ich das Zimmer fluchtartig, betrat das Badezimmer und schloss hinter mir ab.
Ich hatte keine Ahnung, was hier los war. Ich schaute an mir hinunter und registrierte Kleidung. Ich war angezogen. Wir hatten also höchstwahrscheinlich heute Nacht nicht miteinander gevögelt. Ich trug immerhin Unterwäsche und das gleiche Shirt wie gestern Abend.
Ich schlurfte in die Küche und setzte eine Kanne Kaffee auf. Am liebsten würde ich sofort die Wohnung verlassen und erst wieder betreten, wenn sie Jan-frei war. Dafür müsste ich allerdings Hose und Schuhe anziehen und die befanden sich wiederum in meinem Zimmer. Genau wie Jan.
Mist!
Ich war zittrig, voller Adrenalin und Restalkohol. Erst fiel mir eine Tasse um und dann stieß ich gegen einen Stuhl, der krachend umfiel. Außerdem fluchte ich ziemlich viel und laut. Aber dazu hatte ich auch allen Grund, denn immerhin war mein Leben ganz einfach scheiße! Und Besserung war nicht in Sicht.
Irgendwann kam Hiroki aus dem Schlafzimmer und schaute gequält in die Küche. Bei dem Lärm, den ich verursachte, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand aufwachte und nach dem Rechten sah.
»Ich dachte, der unglaubliche Hulk wütet hier.«
»Leg dich einfach wieder hin, Hiro. Okay?«, pflaumte ich ihn an. Für Nettigkeiten hatte ich gerade keinen Nerv und für dumme Sprüche keine Geduld.
»Was ist denn los?«
»Wo ist Sebastian?«
»Im Bett, wie jeder andere normale Mensch um diese Uhrzeit.«
»Dann geh da auch wieder hin, verdammt.« Jetzt hatte ich mich auch noch am Papier der Kaffeeverpackung geschnitten. Konnte ein Mensch noch mehr Pech haben? Wahrscheinlich lag ein Fluch auf mir. Ja, das war die einzig logische Erklärung. Ich war verflucht!
Ich hörte Schritte hinter mir und als ich mich umdrehte, stand Hiro nur noch wenige Millimeter hinter mir und stierte mich an. Er sagte nichts. Für einen kurzen Augenblick hatte ich den Eindruck, als wollte er mich umarmen. Dann war dieser Moment auch schon verflogen und ich schaute an ihm vorbei. Hinter ihm erblickte ich Sebastian, der uns skeptisch musterte.
»Was geht‘n mit euch?«
»Nichts, geht alle wieder ins Bett!«, fauchte ich sie beide an.
»Nora?« Sebastian nährte sich mir und schaute mich skeptisch an. Lag es daran, dass ich hier frühmorgens ohne Hose versuchte, Kaffee zu kochen, oder an meinem Finger, der langsam die komplette Küchentheke vollblutete?
»Lasst mich doch einfach mal in Ruhe.« Ich sank erschöpft am Tresen herab und versteckte mein Gesicht in meinen Händen. Ich zitterte am ganzen Leib und war kurz vor einem Zusammenbruch. Das war zu viel. Ich musste hier weg. Raus aus dieser Wohnung, aus dieser verdammten Stadt, die mich wieder zu ihm geführt hatte. Ich würde hier zugrunde gehen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass es gehen würde. Dass ich vielleicht sogar ein Stück weit über ihn hinweg war. Aber alles wurde nur noch schlimmer. Es gab keinen Ausweg. Ich wusste nicht mehr weiter.
Ich spürte Sebastian mehr, als dass ich ihn sah. Er kniete neben mir auf dem Küchenboden und zog mich an sich heran auf seinen Schoß. Ich wehrte mich nicht. Hatte keine Kraft mehr. Ich schmiegte mein Gesicht an seine Schulter und er streichelte mir beruhigend über den Rücken. Aber ich wurde nicht ruhiger. Ich war ein Nervenbündel, das kaum mehr Luft bekam und am ganzen Körper zitterte ...
»Was ...?« Es war nicht mehr als ein fassungsloser Ausruf.
Wir schauten alle gleichzeitig auf und sahen Jan im Türrahmen stehen.
»Was machst du denn hier?«, kam es nun von Hiro. Jan antwortete nicht, sondern schaute mich an. Besorgt, entsetzt und geschockt.
Langsam, immer noch zitternd und schluchzend, erhob ich mich und stampfte an ihm vorbei in mein Zimmer. Ich nahm die erstbeste Hose, die auf dem Boden lag, und schlüpfte hinein. Socken und Sneaker zog ich hektisch und vor allem stolpernd während des Laufens an. Im Flur griff ich nach meiner Jacke und einem Schal. Dann verließ ich die Wohnung, ohne mich noch mal umzuschauen oder mich zu verabschieden.
Ich rannte los, bog um die Ecke und sprintete immer weiter, keinem bestimmten Ziel entgegen. Die Kälte fiel mir kaum auf. Nur am Rande bemerkte ich die hauchzarte Eisschicht, die die Autos am Straßenrand umhüllte. Aber das war mir alles egal. Ich wollte einfach nur weg. Ich hielt erst an, als ich mich vor lauter Anstrengung und Schwindel fast übergeben musste.
Nach vorne gebeugt stand ich da, rang um Atem und stützte mich auf den Knien ab. Ich atmete schwer und konnte noch immer nicht das Zittern aus meinen Gliedern verbannen.
»Nora, warte!«
Nein!
Ich schaute mich panisch um und sah Jan.
»Lass mich verdammt noch mal in Ruhe. Es reicht!«, rief ich ihm entgegen. Doch er wollte einfach nicht auf mich hören.
»Dir geht es nicht gut. Lass dir doch helfen!«
»Ich brauche deine Hilfe nicht mehr.«
»Verdammt, Nora, warum hasst du mich denn so? Was hab ich dir denn getan?«
»Du hast mich alleine gelassen!«, schrie ich ihm mitten ins Gesicht und konnte die Tränen nicht zurückhalten, die nun in Strömen heiß meine kalten Wangen hinunterliefen. Plötzlich wurde mein Körper unkontrolliert von Schluchzern geschüttelt. Ich zittere, das Atmen fiel mir schwer und ich konnte mich kaum mehr auf meinen Beinen halten.
»Alleine«, flüstere ich ein weiteres Mal, mehr für mich selbst. Zum ersten Mal gab ich es zu. Zum ersten Mal ließ ich das Gefühl zu, betrogen und alleine gelassen worden zu sein. Ich hatte einen Fehler begangen, einen gewaltigen sogar, den ich mir niemals verzeihen würde. Aber er war es, der mir hoch und heilig versprochen hatte, immer für mich da zu sein. Er hatte geschworen, dass ich mich nie wieder einsam fühlen müsste. Ich war mein ganzes Leben lang alleine gewesen und hatte erst durch ihn und seine Familie zum ersten Mal so etwas wie Geborgenheit erfahren. Weihnachten zusammen verbringen, sogar mit Geschenken. Gemeinsame Abendessen mit ihm, Bianca und Sebastian. Ich war immer dabei gewesen, bei allen familiären Feiern. Und mit ein paar wenigen Worten hatte er mir auf einen Schlag alles genommen. Liebe, Familie, ein Zuhause. Nichts war geblieben, außer einer Leere, die das ausfüllte, was einst mein Leben gewesen war.
Ich war alleine!
Wieder alleine.
Immer alleine.
Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Vor seiner Reaktion hatte ich zu viel Angst. Auf einen mitleidigen Gesichtsausdruck oder ein paar tröstende Worte konnte ich gut und gerne verzichten. Dafür war es zu spät. Es würde nichts ändern. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Ich war schon am Ende. Mehr konnte ich nicht ertragen.