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Die Nacht

»Jan wird heute mit mir zum Floristen gehen, die Blumengestecke kontrollieren und notfalls ein paar Leute für mich zusammenschlagen. Wenn ich auch nur eine gelbe Blüte entdecke, flipp ich aus!« Jan blieb der Morgenkaffee im Halse stecken. Er hustete und stöhnte genervt auf.

»Alter, Sebastian! Kannst du das nicht mit deinem Mann machen? Ich möchte heute zumindest ein wenig Zeit mit Nora verbringen«, nörgelte er, schenkte sich Kaffee nach und schaute zu mir. Ich hielt abwehrend in die Höhe. Es wäre wohl besser, wenn ich keine Partei ergreifen würde. Mit einem schlechtgelaunten Sebastian war nicht zu spaßen. Vor allem wenn es um die Farbe Gelb ging, die er aus mir unerfindlichen Gründen nicht ausstehen konnte. Wobei ich Jan natürlich auch irgendwie Recht geben musste. Seit wir angeblich wieder ein Paar waren, hatten wir kaum eine Minute alleine zusammen verbracht. Auch heute Nacht war jeder für sich geblieben. Nach dem Trip in den Wellnesstempel hatte ich mich abends noch ausgiebig gewaschen. Durch die Massagen und Masken fühlte ich mich ölig und klebrig. Das wollte ich meiner Satin-Bettwäsche ersparen. Also rubbelte ich mich, so gut es ging, mit einem Waschlappen ab, was am Rücken eine komplizierte und schwierige Angelegenheit war. Aber irgendwie gelang es mir. Als ich einige Zeit später in Shorts und Shirt das Badezimmer verließ, wollte ich nur noch in meinem Zimmer verschwinden und mich in mein Bett kuscheln. Der Tag war anstrengend gewesen und hatte mich müde gemacht.

Doch Jan versperrte mir den Weg und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er lehnte an der Wand vor meinem Zimmer. Als sich unsere Blicke trafen, wurde sein Gesichtsausdruck weicher und seine Augen strahlten mir liebevoll entgehen. Ich hingegen musste wie ein verschrecktes Huhn ausgesehen haben. Zumindest fühlte ich mich so. Rasender Puls, beschleunigte Atmung, Ohrensausen ... Das volle Programm. Hoffentlich würde ich nicht gleich in Ohnmacht fallen.

Jan kam mir entgegen und umarmte mich. Er roch unglaublich gut und ich fühlte mich so wohl in seinen starken Armen. Jahrelang hatte ich mich nach seinen Berührungen gesehnt. Dass er nun tatsächlich hier war, mich im Arm hielt und mit zarten Fingern über meinen Rücken streichelte, war so surreal. Ich konnte es einfach nicht fassen. Er gab mir einen flüchtigen Kuss und wollte mich mit in mein Schlafzimmer ziehen, doch ich schüttelte den Kopf und schob ihn sanft von mir.

Noch nicht.

Heute nicht. Es war zu früh. Ich wusste nicht, woher diese Blockade kam. Aber ich wusste in diesem Moment, dass ich es nicht wollte, weil ich noch nicht angekommen war. Ich hatte diese Situation noch nicht mal ansatzweise realisiert. Er war hier und wollte mich. Das konnte einfach nicht wahr sein!

Jan verstand mich zum Glück auch ohne Worte. Ich musste nicht begründen, warum ich ihn von mir stieß. Es war okay für ihn. Er gab mir noch einen Kuss auf die Stirn, streichelte mir über die Wange und schaute mir mit seinem wärmsten Lächeln tief in die Augen.

»Gute Nacht«, hauchte er mir mit rauer Stimme verführerisch ins Ohr. Ich bekam eine Gänsehaut und schnappte nach Luft. Beinahe wäre ich schwach geworden. Dieser Typ war so heiß. So sexy. So unglaublich schön. Aber heute Nacht sollte ich alleine bleiben. Das war vernünftig. Das versuchte ich mir zumindest einzureden, während Jan in Richtung Wohnzimmer ging, um dort sein Nachtlager auf der Couch zu errichten.

Und ich?

Ich lag im Bett und dachte an ihn und daran, wie doof ich war, ihn nicht mit zu mir genommen zu haben. Jetzt trennten uns vielleicht fünf Meter und eine Tür. Und ich wollte ihn so gerne bei mir haben, mich an ihn schmiegen, ihn riechen, mich mit den Fingern in sein Haar krallen. Aaaaaaargh, es war zum Verrücktwerden! Herz und Hirn gingen komplett verschiedene Wege. Mein Herz wollte Jan, war ihm komplett erlegen, und mein Hirn wollte das Herz vor ihm schützen. Was für ein krankes, masochistisches Hirn!

»Andauernd scheuchst du uns herum. Wir haben ja kaum Zeit, mal durchzuatmen!« Ich schreckte aus meinen Erinnerungen an gestern Abend hoch. »Mensch Nora, sag doch auch mal was!«

»Sebastian hat hier das Sagen und ich werde mich hüten, zu widersprechen.« Jan machte daraufhin einen Schmollmund und ahnte wahrscheinlich nicht, was dieser Blick und seine Lippen in mir auslösten. Eine wage Erinnerung davon, wozu diese Lippen fähig waren, blitzte vor meinem inneren Auge auf. Ich schaute verlegen weg und hörte ihn leise seufzen.

»Außerdem hat Nora heute auch noch was zu tun. Sie begleitet nämlich Hiroki«, entgegnete Sebastian. Ich zog beide Augenbrauen fragend in die Höhe. Davon hatte ich bis eben auch noch nichts gewusst. Ich schaute mich nach Hiro um, der im Wohnzimmer im Schneidersitz auf dem Sofa saß.

»Jap, Nora, du kommst mit mir mit.«

»Und was, um Gottes Willen, machen wir?«, rief ich genervt ins Nebenzimmer.

»Wir holen die Ringe.« Hiro grinste und zwinkerte mir zu. Er wirkte glücklich und ich konnte bis hierher das Leuchten in seinen Augen erkennen. Und irgendwie musste auch ich bei diesem Anblick lächeln.

Eine Stunde später versuchte ich, mich mit Müh und Not aus dem Auto zu ziehen. Ich klammerte mich an die offene Tür und stieß mich mit der anderen Hand vom Sitz ab. Zum Glück kam in diesem Moment schon Hiro zur Hilfe, griff mir unter die Arme, zog mich hoch und reichte mir meine Krücke, die er zuvor im Kofferraum verstaut hatte. Ich versuchte mittlerweile, mit nur einer klar zu kommen. Mein Bein schmerzte kaum noch, daher konnte ich es etwas mehr belasten.

»Komm, hier drüben ist es schon.« Hiro zeigte auf einen versteckten Eingang einige Meter entfernt. Erst als wir dem Laden näher kamen, fielen mir das prunkvolle Schaufenster und vor allem der funkelnde und glänzende Inhalt dessen auf.

Wir betraten das Fachgeschäft und unsere Anwesenheit wurde von einer penetranten Klingel angekündigt. Sofort kam eine elegant gekleidete Frau mit übertrieben großen Ohrringen um die Ecke gebogen. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass es sich an ihren Ohren tatsächlich um Schwäne handelte. Riesige, glänzende Schwäne aus Diamanten oder so. Verrückt.

»Herr Kuhn, schön, dass Sie da sind.«

Wir gingen beide zum Tresen und Hiro gab der Dame die Hand.

»Das ist im Übrigen Frau Krüger, eine unserer Trauzeugen.«

»Was für eine hübsche Trauzeugin! Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen«, hieß mich die Verkäuferin übertrieben freundlich willkommen und schüttelte auch mir die Hand.

»Also, Herr Kuhn, Sie wollten noch eine kleine Änderung, die wir natürlich durchgeführt haben. Hoffentlich zu Ihrer Zufriedenheit.«

Sie klappte eine Schatulle auf, in der zwei matt-silberne Ringe lagen. Doch bei genauerer Betrachtung sah man, dass sie mit einem schmalen, goldenen Streifen verziert waren, der sich durch ihre Mitte zog.

»Wow«, entfuhr es mir. »Die sind wirklich schön. Schlicht und trotzdem nicht zu schlicht, verstehst du?«

»Ein Kompromiss zwischen Sebastian und mir«, er zwinkerte.

»Und hier sehen Sie die gewünschte Gravur«, sagte die Dame, nahm einen der beiden Ringe sachte zwischen Daumen und Zeigefinger und reichte ihn Hiro. In geschwungenen Buchstaben konnte ich Worte erkennen.

»Sebastian & Hiroki - Für immer«, las er leise vor und strich zärtlich mit Fingerspitzen über das Schmuckstück. Er lächelte.

»Wunderschön«, hauchte ich zur Bestätigung.

»Finde ich auch.«

»Für immer?«

»Jap«, bejahte Hiro nickend.

»Das ist eine lange Zeit«, stellte ich fest und musterte ihn neugierig.

Er zwinkerte mir zur Antwort zu, steckte den Ring zurück in die Schatulle und kramte seine Kreditkarte aus dem Geldbeutel. Er reichte sie der Dame und verschränkte wartend die Arme vor der Brust.

»Wenn du dir sicher bist, dann ist alle Zeit der Welt nicht genug. Deshalb beginnen wir mit für immer.«

»Ist das nicht ein Zitat aus Twilight?«

»Ja.«

Wir schauten uns schmunzelnd von der Seite an und brachen dann beide gleichzeitig in schallendes Gelächter aus.

Auf dem Rückweg besorgten wir Pizza für alle und zwei Flaschen Glühwein. Hiro und ich waren in Feierlaune. Schon im Auto sangen wir die Lieder, die im Radio gespielt wurden, laut und vor allem besonders schief mit. George Michael hätte sich bei unserer Interpretation von Last Christmas im Grabe umgedreht. Wobei ... Der lebte doch noch, oder?

Auch Sebastian und Jan zu Hause schienen bester Laune zu sein. Sie begrüßten uns stürmisch und erzählten uns vom Blumenschmuck, der uns auf der Trauung erwarten würde. Es würde wohl ein Meer aus Rot und Weiß werden. Keine einzige gelbe Blume. Was für ein Glück für alle Beteiligten.

Als Hiroki dann Sebastian ganz stolz die Ringe präsentierte, fing der vor Freude fast an zu weinen. Er wischte sich ein paar Tränen aus dem Augenwinkel und fiel Hiroki theatralisch in die Arme. Ich konnte es verstehen. Auch ich war gerührt von so viel Gefühlen und echter Liebe.

Den Abend verbrachten wir zu viert im Wohnzimmer. Jeder gemütlich im Pyjama oder zumindest in bequemer Wohlfühlkleidung. Sebastian und Hiro lagen eng aneinander gekuschelt auf dem Sofa, Jan saß daneben und ich auf dem Boden. Ich hatte mein eingegipstes Bein auf einem weichen Kissen drapiert und lehnte mich zwischen Jans Beinen an die Couch. Er massierte mir die Schultern und das tat verdammt gut. Ich seufzte genießerisch und schmiegte meinen Kopf gegen seinen Oberschenkel.

Wir schauten zuerst einen brutalen Anime mit seltsamen Wesen aus dem All, die Menschen fraßen. Aus irgendwelchen Gründen standen alle drei auf diese Serie und mussten nun gemeinsam die neueste Episode schauen. Ich gab mich geschlagen. Danach kramte Hiro Fight Club aus dem DVD-Regal. Das war schon eher nach meinem Geschmack.

Wir aßen die mittlerweile kalte Pizza, tranken Glühwein, erzählten, lachten, schauten TV. Es war perfekt. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so glücklich gewesen war.

Als der Film zu Ende war und Edward Norton mit Helena Bonham Carter – Gott, ich liebte diese Schauspielerin - die Skyline von Bradford beim Explodieren beobachtete, während der Song Where is my mind das Spektakel passend untermalte, streckte ich mich zufrieden und schaute mich um. Sebastian und Hiroki schliefen eng aneinander gekuschelt. Sebastians Kopf ruhte an Hiros Schulter. Sein ganzer restlicher Körper lag so dicht an Hiros Seite geschmiegt, dass es fast so wirkte, als wären sie zu einer Person verschmolzen. Hiro schnarchte leise und hatte beide Arme um seinen Mann geschlungen. Ich musste lächeln, drehte mich um und blickte zu Jan hinauf. Er musterte mich und strich mir einige Haarsträhnen, die mir aus meinem Pferdeschwanz gerutscht waren, hinter die Ohren. Seine Fingerspitzen verweilten noch etwas länger an der empfindlichen Stelle unter meinem Ohrläppchen und fuhren dann langsam hinab Richtung Hals. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde und seine Berührung mir eine Gänsehaut bereitete. Der süße Wein und das Gefühl von Jans Fingern ließen mein Herz wild flattern, als würde es wie ein kleiner, aufgeregter Vogel gleich aus meiner Brust fliegen wollen.

Mein kleines Kolibri-Herz.

Wir schauten uns an und mit jeder Sekunde, in der wir schwiegen und einfach nur unsere Blicke sprechen ließen, stieg meine Erregung. Und dieser Moment ließ auch Jan nicht kalt. Das spürte ich und konnte es anhand der stattlichen Beule in seiner Jeans auch sehen.

Jan streckte seine Arme nach mir aus und zog mich auf seinen Schoß. Ohne darüber nachzudenken, küssten wir uns. Immer stürmischer rieben wir uns aneinander und ließen unsere Zungen wild miteinander ringen. Ich liebte seine Küsse. Nichts war vergleichbar. Niemand war wie er. Bei keinem anderen Mann habe ich mich je so gefühlt. Nur er konnte mich mit seinen zarten Berührungen und seinen weichen Lippen so um den Verstand bringen.

Ich stöhnte in seinen Mund und zog ihn atemlos an seinen Haaren zurück.

Wir hätten beinahe Sebastian und Hiro vergessen. Hiro schnarchte einmal laut und rieb seine Nase am Haarschopf von Sebastian.

Ich verkniff mir ein Kichern und erhob mich. Jan sah mich von unten mit gierigen Augen an. Er lauerte und wartete auf das, was ich als nächstes tun würde. Dieser erwartungsvolle, kaum zu bändigende Blick gefiel mir. Ich nahm ihn an der Hand und er verstand. Heute Nacht würde er bei mir schlafen. Heute würde ich ihn nicht von mir stoßen. Vielleicht war es genau das, was ich brauchte. Vielleicht musste ich mich erst nackt an ihn schmiegen und ihn in mir spüren, um zu realisieren, dass das hier echt war und nicht nur eines meiner Hirngespinste. Hätte ich danach Sicherheit und keine Zweifel mehr?

Jan trug mich zu meinem Schlafzimmer und dort fielen wir übereinander her. Es war wie ein plötzlich aufkommender Sturm. Mein T-Shirt flog schneller in eine Ecke des Zimmers, als ich reagieren konnte, und Jans Shirt folgte meinem prompt. Mit Jans Hose, die ihm in den Kniekehlen hing, und meinem eh malträtierten Bein, stolperten und humpelten wir zu meiner Schlafcouch. Jan kniete zwischen meinen Beinen und küsste mich auf den Mund, als gäbe es kein Morgen. Er zog mir meine kurze Schlafhose und meine Unterwäsche aus und betrachtete mich. Hier im Zimmer war es zwar dunkel, aber die Straßenlaterne draußen spendete durch die Spalten der Jalousien ein wenig Licht. Langsam gewöhnten sich unsere Augen an die Dämmerung und ich konnte ihn sehen. Er war mittlerweile ebenfalls vollkommen nackt und das, was ich erkennen konnte, machte mich sprachlos. Das Einzige, was sich an Jan in den letzten vier Jahren verändert hatte, war, dass er männlicher aussah. Muskulöser. Heißer. Mein Körper glühte unter seinem. Ich war kurz davor, wie ein Phönix in Flammen aufzugehen. Und doch zitterte ich. Nicht vor Kälte, sondern vor Erwartung und Lust. Jan war so zärtlich. Immer wieder streichelte er mir über die Wange und küsste meine Schläfe. Hauchzarte Berührungen die mir die Tränen in die Augen trieben.

Der Sex war eine unbeholfene Mischung aus verhungernden, wilden Stößen, sanften Umarmungen und zärtlichen Worten. Immer und immer wieder sagte er meinen Namen.

»Nora, Nora, Nora.« Er hauchte meinen Namen so oft, als wolle er sich selbst in Erinnerung rufen, dass es wirklich ich war, mit der er gerade schlief.

Ich lag danach noch lange wach. Er hatte seinen Kopf an meine Brüste geschmiegt und beide Arme um meine Mitte geschlungen. Ich betrachtete ihn und ja, es stimmte. Ganz langsam wurde mir klar, dass das hier Wirklichkeit war. Dass er hier bei mir lag und mich wollte. Dass es eine Chance für uns geben könnte.

Durfte ich tatsächlich an so viel Glück glauben?

Ich streichelte über sein stoppliges Kinn und über seine Lippen, die geschwollen und leicht geöffnet waren.

Das war tatsächlich mein Jan. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag und ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten.

Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

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