Читать книгу Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband - Katharina Wolf - Страница 24

Оглавление

Aussprache

»Kannst du mich nicht mal in Ruhe lassen?«

Sebastian nervte. Ich sank noch tiefer mit meinem Kopf Richtung Tasse und genoss den Dampf des Kaffees in meinem Gesicht.

»Heute versuchst also du, dich zu ertränken?« Hiroki flüsterte mir ins Ohr und lachte dabei fies.

Sebastian rückte in einer unverschämten Lautstärke quietschend seinen Stuhl zurecht und setzte sich neben mich.

»Ich habe dich bereits gestern in Ruhe gelassen und das ist daraus geworden.« Er zeigte mit beiden Händen auf mich und schüttelte den Kopf. »Wo bist du gestern überhaupt versackt?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Warst du in einer Kneipe, in einem Club oder sonst wo?«

»Was weiß ich. Irgendwann habe ich mich in ein Taxi gesetzt und bin nach Hause gefahren. Das ist doch, was zählt.«

»Ach Mensch, Nora ...«

Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und schloss die Augen. Ich war gestern ziemlich außer Kontrolle geraten. Und ganz ehrlich war ich gerade eben auch nicht zu Sebastian gewesen. Ich konnte mich schon noch an ein paar Kleinigkeiten erinnern. An viel Alkohol zum Beispiel und an ein paar verbotene Substanzen.

»Hiro geht heute zu unserem Fotografen, um noch ein paar Dinge zu besprechen. Ich bleibe hier. Willst du mit Hiro gehen oder bei mir bleiben?«

Mich von Sebastian weiter nerven lassen oder mich aufraffen und das Haus verlassen? Das hörte sich beides schrecklich an.

»Ich bleib hier. Ich bin müde.«

»Dann machen wir uns einen schönen Tag. Ganz gemütlich. Ich mach uns eine Kanne Tee, wir kuscheln uns in eine Decke ein und schauen irgendeine Schnulze im Fernsehen. Was hältst du davon?«

Das hörte sich verdammt gut an.

Sebastian hatte sich tatsächlich für Twilight entschieden und ich ihn daraufhin erst mal lauthals ausgelacht.

»Das ist so schwul, Sebastian. Das ist selbst für deine Verhältnisse erschreckend schwul.«

Er hatte daraufhin nur mit einem stoischen »Team Edward« geantwortet und sich zu mir aufs Sofa begeben. Wie versprochen gab es eine große Kanne süßen Kamillentee und Spekulatius.

Wir hatten beide eine warme, kuschelige Decke um unseren Körper gewickelt und lauschten der monotonen Stimme von Bella Swan. Diesem depressiven Scheidungskind. Ich war geneigt, einen hysterischen Lachkrampf zu kriegen.

Bella und Edward umkreisten sich jetzt schon seit gefühlten fünf Stunden. Er war ein blasser, weinerlicher Schönling und sie eine anhängliche Ziege. Das Romantik-Gen war mir in den letzten Jahren wohl auch abhandengekommen. Während Sebastian regelmäßig schluchzte und seufzte, konnte ich irgendwann meine Augen nicht mehr offen halten. Der Schlafmangel der vergangenen Nacht, der ganze Stress der letzten Tage, gepaart mit diesem stinklangweiligen Film ... wer konnte es mir verübeln, als mein Kopf müde auf Sebastians Schulter sank.

»Hey, du verpasst das Beste vom Film, Süße.«

»Das bezweifle ich«, nuschelte ich und bemerkte, dass ich auf Sebastians Shirt gesabbert hatte. Ich wischte mir den Mund mit dem Handrücken ab und öffnete ein Auge. Sebastian schaute mich besorgt an und schaltete den Film stumm.

Er legte den Arm um mich und seufzte.

»Hattest du schlimme Depressionen nach der Trennung?« Ich zuckte etwas zusammen. »Ich meine, du hast dich ja nicht mehr gemeldet, und wenn ich dich angerufen habe, hat man auch nicht wirklich viel aus dir herausbekommen. Also ... War es sehr schlimm?« Ich atmete geräuschvoll aus und schmiegte meinen Kopf noch etwas mehr gegen Sebastians Schulter.

»Ich bin kein Psychologe, Sebastian. Ich weiß nicht, was schlimme oder weniger schlimme Depressionen sind. Ich hab da auch keine Vergleichsmöglichkeiten. Sagen wir es einfach so: Mir ging es nicht all zu gut.«

Schweigen.

Auf dem Bildschirm kam jetzt noch dieser langhaarige Typ dazu. Jacob oder wie der hieß. Im zweiten Teil hatte er kurze Haare und Bauchmuskeln. Daran konnte ich mich seltsamerweise noch erinnern.

»Ich habe noch eine Frage. Und bitte sei ehrlich zu mir, ich muss es einfach wissen.«

Ich seufzte ein weiteres Mal. Das war anstrengend und alles andere als leicht. Ich sprach nicht gerne über mich und vor allem hasste ich es, über die schlimmste Zeit meines Lebens zu sprechen. Aber hatte ich eine Wahl? War ich ihm nicht ein paar Antworten schuldig? Nachdem ich ihn über Monate und Jahre aus meinem Leben ferngehalten hatte, sollte ich ihn nicht wieder von mir stoßen.

»Hast du irgendwann in den letzten Jahren daran gedacht, dir das Leben zu nehmen?«

Ich setzte mich auf und schaute ihn direkt an.

»Nein, ich ...« In seinen Augen erkannte ich solch eine Verzweiflung, dass ich mir in diesem Moment nicht sicher war, mit wem ich mehr Mitleid haben sollte. Mit ihm oder mit mir?

»Ach ...« Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare und presste dann die Fäuste auf meine Augen. »Das ist nicht so einfach zu erklären.« Sebastian hatte Tränen in den Augen. Oh Mann. »Okay, hör mir kurz zu. Ich hatte überlegt, wie es wäre, nicht mehr da zu sein. Nicht mehr so weiterleben zu müssen. Aber ans Sterben habe ich nie gedacht. Das ist ein großer Unterschied. Kannst du das verstehen?«

Er schüttelte den Kopf. Wie sollte er auch, verdammt? So kranke, abartige Gedanken konnte er ja schlecht nachvollziehen. Dafür war er viel zu glücklich. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich andere Methoden gefunden hatte, um aus dem Leben zu fliehen. Meinem trostloses Dasein ein wenig Sinn einzuhauchen. Mir eine eigene, wenn auch kurze und falsche Realität zu schaffen.

Wir redeten nicht weiter darüber. Was sollte man auch noch mehr dazu sagen? Sebastian hatte bestimmt noch tausend Fragen, die ihm auf der Zunge lagen. Aber ich glaube, er hatte Angst vor den Antworten. Verständlich. Also schwiegen wir.

Nach einer Weile zog er mich näher an sich, bis ich wieder auf seiner Brust lag. Er schlang beide Arme um mich und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. Schön, warm, kuschelig. Ich hörte sein Herz laut und regelmäßig in seiner Brust schlagen. Wenn er nur nicht er wäre, sondern der Richtige. Es könnte alles so perfekt sein.

»Ach Sebastian, warum musst du schwul sein?«

»Ich wusste es. Du stehst auf mich.« Er lachte und seine Brust bebte unter meinem Ohr.

»In hundert Jahren nicht.« Ich zwickte ihm in die Seite und mir wurde etwas leichter ums Herz. Das beklemmende Gefühl in der Brust ließ nach, wenn er da war. Zumindest ein wenig. Sebastian tat mir gut. Diese Wirkung hatte er schon immer auf mich gehabt.

Ich hätte ihn nicht aus meinem Leben ausschließen dürfen. Das war ein großer Fehler gewesen.

Jedoch nicht der größte.

Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband

Подняться наверх