Читать книгу Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband - Katharina Wolf - Страница 25
ОглавлениеMitternachtsgespräche
Sebastian konnte einem wirklich auf die Nerven gehen. Ich persönlich wusste ihn zu schätzen und liebte ihn sehr, aber die arme Dame von Catering würde wohl ab jetzt Alpträume von ihm bekommen. So viele Extrawünsche hatte ich in meinem Leben noch nie gehört. Neben dem feinsten Filet von Schwein und Rind würde es natürlich auch Fischspezialitäten und diverse Beilagen geben. Bis dahin okay. Alles nachvollziehbar. Aber dann forderte er auf einmal nicht nur eine vegetarische, nein, sogar zusätzlich auch noch eine vegane Alternative. Auch beim Dessert sollte an nichts gespart werden. Egal, ob Panna Cotta, Mousse au Chocolat, Tiramisu und diverse Kuchen und Kekse - es wurde an alles gedacht. Zusätzlich würde für all diejenigen, die als Magenschließer nicht so gerne Süßes mochten, noch eine monströse Käseplatte gereicht werden. Mit Sorten aus allen Herren Ländern, versteht sich.
Alles schön und gut, dachte sich wohl auch die Catering-Dame bis dahin. Der Kunde ist König. Als es dann aber ums Bezahlen ging, verstand wohl niemand mehr Spaß. Sebastian verhielt sich wie auf einem türkischen Basar. Er handelte und zockte mit einem ziemlich verwirrenden Pokerface. Zwischendurch war ich doch etwas peinlich berührt. Aber das Schlimmste war, dass er tatsächlich erfolgreich damit war. Er schaffte es, einen Rabatt von über 20 Prozent herauszuschlagen. Ich schüttelte nur noch fassungslos den Kopf. Manchmal zahlte sich Dreistigkeit einfach aus. Sollte ich mir vielleicht auch angewöhnen.
Nun, einige Stunden später, saß ich alleine auf dem Sofa im Wohnzimmer und schaute die gefühlt hundertste Folge Greys Anatomy hintereinander. Sebastian hatte alle Staffeln im DVD Regal stehen und da dachte ich mir: Why not? Ich hatte ja schon ziemlich viel von der Serie gehört und neben den Dramen dort wirkte mein Leben geradezu langweilig. Sebastian hatte sich mit einigen Kumpels in einer Kneipe verabredet. Und da Hiroki heute auch unterwegs war, hatte ich sturmfreie Bude. Mit Chips, Cola und nervenaufreibenden Arztserien machte ich es mir gemütlich und genoss die ruhigen Stunden eingekuschelt in einer Decke.
»Noraaaaaaaaa ...«
Ich schreckte auf. Was zur Hölle war das? Ich rieb mir die Augen und schaute mich in der dunklen Wohnung um. Der Fernseher zeigte das DVD-Menü und erhellte das Wohnzimmer in einem schwachen Licht. Ich hörte einen lauten Rülpser und ein darauf folgendes Kichern.
»Hallo?«, fragte ich von meinem Platz aus in den dämmrigen Flur. Dort kauerte eine Gestalt auf dem Boden.
»Nora?«
»Hiro?«
»Wo is Sebassian?« Er hörte sich quengelig an.
»Hiro, warum sitzt du auf dem Boden?«
»Meine Schuhe, ich kann meine Schuhe nich aussiehn. Sebassian hat gesacht, wenn ich mit Schuhen in de Wohnung komm, kastriert er mich. Ja, das hatter gesacht!«
Ich schob die Decke von meinen Beinen und lief zu ihm. Ich schaltete das Licht im Flur an und erntete ein Stöhnen aus Bodennähe.
»So hell.«
»Hat Licht so an sich.«
Ich kniete mich zu ihm hinunter und erkannte das Problem sofort. Er hatte es geschafft, den Knoten beider Schuhe so festzuziehen, dass ich da keine Chance sah, das jemals zu entwirren.
»Da hilft nur noch Amputation, Hiro.«
»Oh neeeeeeeeeeein«, jammerte er und strampelte mit den Füßen. Was Alkohol aus einem gestandenen Mann machen konnte ... Ich rollte mit den Augen.
»Miss Steele, ham Se gerade mit den Augen gerollt?«
»Hiro, zu zitierst nicht wirklich aus Fifty Shades of Grey?«
»Öhm, doch!« Ich rollte ein weiteres Mal mit den Augen und erntete ein Kichern. Wie viel Promille musste man haben, um sich selbst für Christian Grey zu halten? Ich schätze, Hiro befand sich im zweistelligen Bereich.
»Hiro, bleib hier sitzen, ich hole eine Schere.«
»Amuntation? Mussu meine Füße amuntieren?«
»Ähm, ja klar, Hiro ...«
Nachdem ich seine Schnürsenkel durchgeschnitten, ihn aus seinen Schuhen befreit und mit Müh und Not zur Couch geschleppt hatte, schenkte ich ihm ein Glas Wasser ein.
»Trink!«
»Jacky?«
»Klar, trink!«
Er gehorchte. Wenigstens etwas.
»Und, was hast du so getrieben, außer dich grundlos volllaufen zu lassen?«
»Woher wilssu wissen, dasses keinen Grund gab?«
»Gab es einen?«
»Immer«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.
»Nenne mir nur einen.«
»Lass uns doch mal über was Innersanteres sprechn, Nora.« Als er meinen Namen aussprach, stupste er mit dem Zeigefinger gegen meine Nasenspitze. Er wollte wohl noch mal bestärken, dass ich gemeint war, weil sich ja auch noch so viele andere Menschen im Raum befanden. Doch leider ging sein Plan nicht auf. Er rutschte ab und landete direkt in meinem rechten Auge. Ich fluchte leise vor mich hin und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen von der Wange, während Hiro kicherte und irgendetwas vor sich hin brabbelte.
»Okay, was denn? Was willst du mit mir besprechen?« Hiro setzte sich gerade hin und sah mir direkt in die Augen. Auch wenn ihm das nicht leicht zu fallen schien.
»Lass uns über Jans Arsch redn!«
Ich verschluckte mich an meiner eigenen Spucke und begann unkontrolliert zu husten.
»Über was bitte?«, fragte ich mit piepsiger Stimme.
»Sein Hiiiiintern, du wirs ihn doch mal betrachtet ham ...«
»Ähm, ja.«
»Nich schlecht, oder?« Das war er tatsächlich nicht. Und ich ging nicht davon aus, dass sich in den letzten Jahren etwas daran geändert hatte.
»Was willst du denn mit Jans Hintern?«
»Was unterstellstn du mir hier eigentlich, ich will gar nichts von ...«
»Jaja, Hiro«, unterbrach ich ihn. »Du hast mit dem Thema angefangen.«
»Ich?«
Ich seufzte und wünschte, ich wäre auch nur annähernd so voll wie er. Dann könnte ich diesem Gespräch vielleicht etwas Sinnvolles abgewinnen.
»Na ja, egal, Hiro, wie wär‘s, wenn du jetzt schlafen ge-«
»Er hat von dir gesprochn«, brach es plötzlich aus ihm heraus. Hatte ich mich gerade verhört?
»Wer hat von mir gesprochen?«
»Jan, vorhin. Wir warn einen trinkn, wie man unschwer erkennen kann.« Er lachte und zeigte mit beiden Daumen auf sich. Er schien auch noch stolz auf seinen aktuellen Zustand zu sein. »Hat ziemlich viel ausgegebn. Fast die komplette Rechnung ging auf ihn.« Er kicherte wenig männlich und lehnte sich dann wieder zurück. »Wollte wissn, wies dir geht und wassu so treibst.«
»Was hast du zu ihm gesagt?«
»Dassu ein frustrierter kleiner Emo bis undn ganzen Tag Zuhaus rumhockst.«
»Hiro!«, schrie ich ihn entsetzt an.
»Hätt ich lügn solln?«
Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir mit beiden Händen durchs Haar.
»Darf ich dich was fragn, Nora?« Jetzt klang seine Stimme leise. Fast so, als wolle er mir ein Geheimnis entlocken. Ich nickte nur. »Wie warn das vor vier Jahrn? Mitm Kuss un so. Jan hat da bissl was erzählt, aber isch habs nisch verstandn.«
Ich versteifte mich und schnappte überrascht nach Luft. Der Abend, den ich in meinem Kopf immer und immer wieder hatte Revue passieren lassen und seit meinem Umzug verzweifelt versuchte, aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Ich hasste die Erinnerungen an die Abi-Party.
»Das war nichts«, antwortete ich leise.
»Du hattest also nich schon Ewichkeiten ‚n Verhältnis mit ‚nem annern oder so?«
»Hiro, der Typ hat mich einfach geküsst. Ohne mein Einverständnis. Da war sonst nichts.«
»Also war‘s nich deine Schuld?«
»Doch.«
»Wieso? Es war ja eindeutich ‚n Missverstännis.«
»Aber ich hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen. Vielleicht habe ich ihm Hoffnungen gemacht oder hab die Zeichen falsch gedeutet, irgendwelche irreführenden Signale gesendet. Was weiß ich ... Ich hab ihn zu nah an mich rangelassen. Das war der Fehler.«
»Un dessalb läss du jezz niemanden mehr an dich ran.«
Ich schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue skeptisch an.
»Bin ich hier beim Therapeuten gelandet oder was?«
Hiro rülpste als Antwort und lachte anschließend. Ob über meinen angeekelten Gesichtsausdruck oder über sich selbst, wusste ich nicht.
»Ich glaube, ich bin zu betrunkn, um weiter logisch zu denkn. Aber vielleicht solltest du mal mit Jan über alles sprechn.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Lass gut sein, Hiro. Passt schon. Lass uns lieber ins Bett gehen, es ist schon nach Mitternacht.«
»Ich geh nich mit dir ins Bett«, gab er entsetzt zurück.
»Idiot, Sebastian kommt bestimmt bald heim. Wenn der dich so sieht, wird er die Drohung mit der Kastration vielleicht doch noch in die Tat umsetzen.«
»Ich hab keine Schuhe an«, brüllte Hiro prompt los und hob beide Füße in die Luft. Demonstrativ zeigte er auf seine grauen Socken. »Ich bin unschuldich.«
»Okay, Hiro, ich bin Zeuge und werde notfalls auch unter Eid für dich aussagen.«
»Danke, Nora.« Er schien ehrlich erleichtert zu sein, dieser besoffene Idiot.
»Und jetzt gehst du lieber mal ganz schnell ins Bett und schläfst deinen Rausch aus.«
»Wo is Sebassian?«
»Irgendwo. Keine Ahnung. Der kommt bestimmt auch bald nach Hause.«
Hiro stöhnte und wuschelte sich wild durch sein Haar, bis es ihm in alle Richtungen vom Kopf abstand.
»Nora? Bringsu mich ins Bett?«
Ich rollte mit den Augen, stand auf und streckte ihm eine helfende Hand entgegen.
»Miss Steele, es war mir eine Freude.«
»Du mich auch, Hiro.«