Читать книгу Geballte Ladung Liebe - Katharina Wolf Sammelband - Katharina Wolf - Страница 38
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Wir hielten mit dem Auto auf einem Parkplatz, der an ein Feld angrenzt. Während mir Jan beim Aussteigen half, sah sich Hiro hektisch um. Kein Sebastian. Er seufzte und holte dann einen Karton mit Sektflaschen aus dem Kofferraum. Es war richtig kalt geworden und ich zog meinen schwarzen Mantel eng um die Schultern. Jan legte zudem noch einen Arm schützend um mich.
»Ich stütze dich«, flüsterte er mir ins Ohr und küsste mich auf die Wange. Ich hatte mir vorgenommen, solange es ging, ohne Krücke auszukommen. Folglich war ich wirklich auf seine Hilfe angewiesen.
Wir befanden uns nun mitten auf dem Land. Um uns herum gab es nur Felder und Wiesen. Alles war weiß und von einer hauchdünnen Schicht Eis und Schnee bedeckt. Raureif ließ die Landschaft glänzen. Schnee an Sebastians Traumhochzeit. Als hätte er es bestellt! Das Ende der Straße führte in ein Dorf hinein. Ich konnte den Kirchturm und einige Häuser erkennen. Aus den Schornsteinen stieg weißer Dunst auf. Der prachtvollste Bau erhob sich allerdings genau vor uns. Eine Art Turm in mediterranen Orangetönen und mit einer zierlichen weißen Außentreppe, die zu einem kleinen Balkon führte. Eine Lichterkette war angebracht worden und ließ das Ganze noch gemütlicher und vor allem festlicher erscheinen.
»Was genau ist das?«, fragte ich, da ich so einen Turm noch nie gesehen hatte.
»Das ist ein Schlosspavillon. Ein echtes Wahrzeichen von hier. Stammt, glaube, ich aus dem 18. Jahrhundert oder so. Heute wird es nur noch für Trauungen genutzt.«
»Echt schön«, hauchte ich sprachlos.
»Perfekt«, musste auch Jan zugeben und zog mich noch enger an sich heran.
»Das war Sebastians erste Wahl. Es war schon immer sein Traum, hier zu heiraten.«, sagte Hiroki und sah dabei unglaublich glücklich und stolz aus. Denn immerhin hatte er es geschafft. Er würde Sebastian diesen großen Wunsch erfüllen.
Auf einer Rasenfläche vor dem Pavillon standen bereits knapp 30 Leute. Ich erkannte Bianca, die auf uns zugestürmt kam, und einige Jungs, die ich bereits vom Junggesellenabschied kannte. Bianca umarmte erst Hiro, dann Jan und blieb dann vor mir stehen.
»Du siehst so unglaublich hübsch aus.«
»Danke«, antwortete ich verlegen. Nicht nur weil ich auf dem unebenen Boden Probleme hatte, mit meinem Bein das Gleichgewicht zu halten. Ich hielt mich an Jan fest, weil ich ihn brauchte. Als Bestätigung. Als Halt. Bianca musterte uns beide und zog eine Augenbraue verwundert hoch. Jan hatte ihr anscheinend nichts gesagt und sie war davon ausgegangen, dass er mit Fernanda erscheinen würde. Wie unangenehm. Sie sprach uns aber nicht darauf an. Vorerst zumindest. Ich war mir sicher, dass sie uns später noch löchern würde.
Wir gingen auf die Gäste zu und Hiro gab den Karton mit dem Sekt an jemanden weiter, der damit im Inneren des Pavillons verschwand. Hiro wurde von allen stürmisch begrüßt und wirkte nun auch deutlich aufgeregter als noch vor einigen Minuten zu Hause. Er hatte rote Wangen und einen hektischen Blick, der sich immer wieder suchend umsah.
»Ich glaube, er hat Angst, dass Sebastian es sich anders überlegt hat«, flüsterte ich Jan ins Ohr. Jan schnaubte abfällig und beugte sich dann zu mir herunter.
»Diesen Gedanken kann er sich abschminken. Sebastian wusste vom ersten Moment an, dass er Hiro einmal heiraten würde.« Dann schaute er mir tief in die Augen und lächelte. »Das wusste ich bei dir auch.« Mein Herz schlug so schnell, dass es nicht mehr gesund sein konnte. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und meine Hände waren trotz der Minusgrade schweißnass. Was machte dieser Mann mit mir? Ich war ihm so dermaßen verfallen, dass ein einziger Satz meinen Körper vollkommen zum Eskalieren brachte. Ich hyperventilierte ja schon fast, wenn er mir nur lange genug in die Augen sah. Da gab es nicht viel schönzureden: Ich war Wachs in seinen Händen und ich glaube, er wusste das genau. Zumindest würde das seinen sexy, selbstsicheren Blick erklären.
»Da kommt er!«, rief Christian. Wir wandten uns zur Straße hin und sahen einen schwarzen Oldtimer vorfahren.
»Er wollte wohl seinen Auftritt haben«, schnaubte Hiro und ging dann zu seinem Zukünftigen. Er öffnete die hintere Tür und reichte Sebastian wie ein waschechter Gentleman seine Hand. Sie küssten sich und schauten sich dann einige Sekunden voller Liebe einfach nur an. Für einen kurzen Moment waren die beiden in ihrer eigenen Welt. Ich kam mir vor wie ein Eindringling, sie dabei zu beobachten. Jan nutzte diesen Augenblick, trat vor mich und hauchte mir ebenfalls einen Kuss auf den Mund. Seine Lippen strichen zärtlich über meine und ich konnte einen zufriedenen Seufzer nicht unterdrücken.
Als ich die Augen öffnete, sah ich Bianca im Augenwinkel lächeln. Okay, viel erläutern müssten wir wohl nicht mehr.
Die Trauung an sich ging sehr schnell vorbei. Wir, also Hiro und Sebastian sowie Jan und ich, saßen direkt vor der Standesbeamtin, die die Zeremonie durchführte. Der Rest der Hochzeitsgesellschaft hatte sich auf die Stuhlreihen hinter uns verteilt. Die nette Dame erzählte ein paar rührende, persönliche Anekdoten, die den einen oder anderen zum Schniefen und ab und an sogar zum Lachen brachten. Sebastian verdrückte ein paar Tränchen, doch zum Glück hatte ich Taschentücher dabei. Meine erste Aufgabe als Trauzeugin hatte ich somit gemeistert. Dann ging es zum offiziellen Teil über.
Die Ringe wurden getauscht und beide sagten laut und deutlich »Ja, ich will« – auch wenn es bei Sebastian mit einem kräftigen Schluchzer einherging. Doch es war der abschließende Kuss, der die Ehe der beiden besiegelte und alle zum Jubeln brachte. Die Standesbeamtin schloss die Trauung mit einem Gedicht von Shakespeare, das auch mich sentimental werden ließ.
Magst du zweifeln, dass die Sterne glühen,
magst du zweifeln, dass die Sonne sich bewegt,
magst die Wahrheit du für Lüge halten,
zweifle aber niemals an der Liebe.
Ich pflückte mir mit dem Finger eine Träne aus dem Augenwinkel. Vorsichtig, um ja nicht Sebastians Make-Up-Werk zu zerstören. Während des Gedichts und auch jetzt spürte ich Jans Blick wie ein heißes Prickeln auf meiner Haut. Als ich mein Gesicht ihm zuwandte, lächelte er und zwinkerte mir zu. Auch meine Mundwinkel hoben sich und ich spürte eine angenehme Wärme, die sich in mir ausbreitete.
Auch die beiden Frischvermählten strahlten übers ganze Gesicht. Alles war perfekt. Sebastians Traumhochzeit, so wie er sie sich immer gewünscht hatte.
Im Foyer des Schlosspavillons waren in der Zwischenzeit Stehtische aufgebaut worden. Auf ihnen befand sich neben diversen Snacks wunderschöner Blumenschmuck in verschiedenen Rot- und Weißtönen. Jeder von uns bekam ein Glas Sekt gereicht und wir feierten das Ehepaar. Sebastian und Hiro ließen sich von allen abklatschen, umarmen und beglückwünschen. Ich war fast etwas neidisch. Die beiden waren so glücklich. Sie strahlten über das komplette Gesicht. Und sie hatten auch allen Grund dazu, denn sie hatten den Partner fürs Leben gefunden. Ich schielte zu Jan, der gerade sein Sektglas leerte und mir nicht von der Seite wich. Er hatte einen Arm um meine Taille gelegt und schenkte mir von Zeit zu Zeit ein kleines Lächeln, das mein Herz rasen ließ.
Würde das mit uns funktionieren?
Ohne mir Gedanken zu machen oder es zu hinterfragen, hatte ich Jans lieben Worten und seiner Bitte nach einer zweiten Chance nachgegeben. Er hatte mir weisgemacht, dass ich ihm noch immer viel bedeutete, dass er mich wollte. Und ich war unter seinen Berührungen einfach dahingeschmolzen. Hoffentlich war das alles kein Fehler.
Der laute Knall eines Sektkorkens, gefolgt von einer Sektfontäne riss mich aus meinen Gedanken. Alle lachten und ein verstört schauender junger Mann bemühte sich, die überschäumende Flasche über die leeren Sektgläser zu halten, um wenigstens nicht allzu viel der prickelnden Flüssigkeit zu verschwenden. Auch ich lächelte und rückte noch einen Schritt näher an Jan. Ich würde ihn nicht mehr hergeben.
Nachdem unsere Sektgläser geleert und alle Glückwünsche ausgesprochen waren, machten wir uns auf den Weg zur nächsten Location. Das wurde auch Zeit, denn der Schlosspavillon war nicht gerade gut geheizt und langsam fraß sich die Kälte unnachgiebig durch meinen Mantel. An den Autos, die am Straßenrand standen, waren mittlerweile weiße Bänder angebracht worden. Soweit ich mich an Sebastians Planung erinnern konnte, hatte das Paul übernommen. Jan und ich stiegen in das Auto, mit dem wir angekommen waren. Hiro ging mit Sebastian zu dem pompösen Oldtimer, der auf der Fronthaube mit Blumen in Weiß und Rot geschmückt war. Hupend folgte ein ganzer Tross Autos den beiden. Nach etwa zehn Minuten Fahrt erreichten wir einen Parkplatz vor einem großen, schicken Gebäude.
Wir durchschritten ein mächtiges Eingangstor und staunten nicht schlecht: Vor uns erstreckte sich ein riesiger Festsaal. Nachdem wir unsere Wintermäntel an einer Garderobe aufgehängt hatten, betraten wir mit vielen anderen Gästen den festlich geschmückten und beleuchteten Raum. Ich hatte mich kaum umgesehen und orientiert, da explodierte ein grelles Licht vor mir und sorgte für einen Moment dafür, dass vor meinen Augen schwarze Punkte tanzten.
»Bitte lächeln!«
Ich kam kaum dazu, meine Mundwinkel auch nur einen Millimeter in die Höhe zu schieben, als es schon wieder blitzte.
»Was zur Hölle?«, entfuhr es mir. Das war mit Abstand der aufdringlichste und rücksichtsloseste Fotograf, den ich je gesehen hatte.
»Das nächste Pärchen bitte!« Und schon wurden wir weitergeschoben, während der Fotograf des Teufels das Paar hinter uns quälte.
»Nur damit du vorgewarnt bist: Ich hatte eben auf jedem der Fotos die Augen geschlossen«, gab Jan leise zu.
»Damit hast du wohl deine Netzhaut gerettet. Ich bin leider erblindet«, erwiderte ich und versuchte einige Tränen wegzublinzeln.
»Kein Problem«, raunte er und küsste meinen Handrücken. »Ich führe dich.«
Und ich folge dir, egal wohin, dachte ich mir. Ich sagte es natürlich nicht laut, immerhin wollte ich mich ja nicht komplett lächerlich machen. Es war mir peinlich genug, welchen kitschigen Kram ich mittlerweile schon wieder dachte.
»Du traust dem Braten nicht, stimmt‘s?« Jan zog mich am Ellenbogen in eine Ecke, in der wir relativ ungestört waren. Immer noch wurden alle Gäste direkt am Eingang zu dieser Fotosession gezwungen. Das Blitzlicht lenkte mich kurz ab.
»Bitte was?«
»Uns.« Er zeigte mit dem Finger zwischen und beiden hin und her. »Dass das mit uns wieder etwas werden könnte. Du hast Zweifel.«
Ich zog die Augenbrauen eng zusammen und fuhr mir mit den Fingerspitzen durchs Haar. Verdammt, ich hatte die Haarnadeln vergessen. Vorsichtig versuchte ich, die Frisur, die Christian geschaffen hatte, nicht zu zerstören, und drückte mir die eine Haarnadel wieder zurück in mein Haarspray-Nest.
»Nora?«
»Es geht eben alles ziemlich schnell«, gab ich leise zu.
»Das stimmt.« Er lächelte und gab mir einen zarten Kuss auf die Lippen »Aber ab jetzt haben wir alle Zeit der Welt.«
Ich nickte. Verdammt, ich wollte ihm ja glauben. Und mein Herz tat es. Mein Herz war mit Feuereifer ganz bei ihm. Nur mein Hirn hinterfragte, zweifelte und machte sich unnötige Gedanken. Dumm und naiv müsste man sein. Das Leben wäre um einiges einfacher.
»Wo sind eigentlich Hiro und Sebastian? Haben wir die verloren?«
»Die werden gerade draußen fotografiert. Dort steht ein Weihnachtsbaum und einiges an Deko. Du weißt doch, wie Sebastian ist.« Oh ja, ich konnte mir die Fotos schon lebhaft vorstellen. Sebastian hatte Weihnachten schon immer geliebt und nun feierte er einen Tag vor Heiligabend seinen Hochzeitstag. Er würde in Zukunft aus dem Feiern gar nicht mehr rauskommen.
»Jan, kannst du bitte mal rauskommen? Jemand muss das Licht für den Fotografen halten.» Hiro schaute um die Ecke und wirkte gehetzt.
»Klar«, rief er Hiro entgegen und richtete sich dann wieder zu mir. »Ist es okay, wenn ich dich kurz alleine lasse?«
»Soll ich mit rauskommen?«
»Draußen ist es eisig. Bleib doch hier, such schon mal unseren Platz und ordere ein bisschen Wein für uns. Später werden wir eh noch mit den beiden fotografiert. Du musst also noch früh genug in die Kälte.« Es folgte ein Kuss auf die Stirn und schon sprintete er zur Garderobe, schnappte sich dort seinen Mantel und folgte seinem frischgebackenen Schwager nach draußen.
Ich schaute mich um und erblickte als erstes Christian, der seinen Platz wohl schon gefunden hatte. Er unterhielt sich mit einer jungen Frau, die ich nicht kannte. Ich ging zu ihm und beteiligte mich ein wenig am Smalltalk. Er stellte sie mir als Hina vor, eine Tante von Hiroki. Sie war nett, zierlich und bildschön. Gerade berichtete sie Christian von ihrer Tortur, ein passendes Kleid für heute zu finden. Anscheinend war sie erfolgreich gewesen. Sie trug ein leuchtend gelbes Cocktailkleid mit dünnen Spaghettiträgern. Zu ihren schwarzen, langen Haaren, die ihr glatt den Rücken hinunterfielen, sah es wunderschön aus. Trotzdem musste ich innerlich lachen, als ich an Sebastians Abneigung gegenüber allem Gelben dachte. Er würde bei Hiros Tante hoffentlich ein Auge zudrücken.
»Soll ich uns mal was zu trinken besorgen?«, rief Christian. Er musste sich bemühen, von uns gehört zu werden, da die Band, Chocolate Life, gerade begonnen hatte zu spielen. Der erste Song des Abends war All you need is love von den Beatles. Der Klassiker.
»Ein Glas Weißwein für mich bitte.«
»Für mich auch«, stimmte Hina mit ein.
»Dann schau ich mal, was ich organisieren kann.« Er zwinkerte uns zu, ging zu einer Bar am anderen Ende des Raumes und gab dort bei einem Kellner seine Bestellung auf.
»Und du, Nora, wo sitzt du?«
»Weiß ich noch gar nicht. Bei Sebastian und Hiroki am Tisch. Aber wo ist das? Irgendwie sieht das hier alles anders aus als auf dem Plan.«
»Das Ehepaar sitzt, glaube ich, da hinten. Da, der Tisch mit den weißen Rosen.« Sie zeigte mit dem Finger in eine Richtung und ich drehte mich um.
Doch als ich die festlich geschmückte Tafel erblickte, traf mich fast der Schlag. Wie konnte das sein?
Was machte sie hier? Und dann auch noch in diesem teuflischen Fetzen eines Kleides. Rote Stoffbahnen bedeckten gerade einmal so viel ihres Körpers, dass es nicht als sexuelle Belästigung durchging. Ich sah viel zu viel Dekolleté, schmale Schultern und extrem lange Beine, die aus einem obszönen Schlitz an der Seite des Kleides herauslugten. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt. Rote Rosen steckten darin. Sie sah verdammt noch mal viel zu gut aus. Alleine dafür hasste ich sie schon. Noch mehr hasste ich sie allerdings für die Tatsache, dass sie hier war. Hier, auf Sebastians Hochzeit. Sie stand an unserem Tisch, mit einem Sektglas in der Hand.
Fernanda.
Ich kochte vor Wut. War sie tatsächlich eingeladen? Oder hatte man einfach versäumt, sie rechtzeitig auszuladen? Egal! Sie war fehl am Platz.
Ich ging einige Schritte auf sie zu. Aber die Wut in meinem Magen wich schon nach den ersten Metern einem anderen Gefühl. Unsicherheit.
»Nora, du auch hier?« Ihre Stimme war arrogant wie eh und je und triefte nur so von Abscheu.
»Du weißt verdammt noch mal genau, dass ich hier bin. Ich bin Sebastians Trauzeugin.«
»Weiß ich das? Kann mich nicht erinnern«, gab sie zurück und betrachtete ihre langen, roten, manikürten Krallen.
»Was machst du hier? Du bist nicht erwünscht«, fauchte ich sie an. Diese Schnepfe brachte mich mit ihrer ekelhaften und überheblichen Art an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
»Ich bin eingeladen.« Sie hob ihr Platzkärtchen an und zeigte auf ihren Namen. In wunderbarer, kursiver Schrift stand dort Fernanda geschrieben. Verdammt, Sebastian. An alles hatte er gedacht, jedes Detail dreimal geprüft. Aber an die Platzkärtchen hatte er nicht gedacht.
»Das war ja auch vor ein paar Wochen noch so, aber jetzt nicht mehr. Jetzt bist du hier nicht mehr erwünscht«, sagte ich viel zu leise.
»Sogar Marmelade für mich. Quitten, wie lecker!«
Ignorierte mich das Miststück etwa? Wo war Sebastian, oder noch besser, Hiroki? Er würde für Ordnung sorgen! Sebastian würde sich nur unnötig aufregen und das wollte ich nicht. Das sollte der perfekte Tag für ihn werden. Ich schaute mich hilfesuchend um und konnte Christian erkennen. Er erwiderte meinen gehetzten Blick, wirkte verwirrt und hob eine Augenbraue. Nein, den musste ich nicht auch noch mit in dieses Chaos hineinziehen. Als ich mich wieder Fernanda zuwandte, bemerkte ich, wie sie mich musterte. Wie ihr kalter Blick langsam von unten nach oben wanderte.
»Dass du dich traust, hier zu erscheinen. Und dann besitzt du auch noch die Frechheit, bei seinem Bruder einzuziehen!«
Bitte was hatte sie gerade zu mir gesagt?
»Ich bin gar nicht bei Sebastian eingezogen, ich wohne nur vorübergehend ...«
»Reicht es nicht, dass du ihn verletzt hast? Musst du ihn jetzt mit deiner plötzlichen Rückkehr noch mehr verwirren? Der arme Kerl weiß ja gar nicht mehr, wo ihm der Kopf steht!«
Darauf würde ich nicht antworten. Ich würde mich von dieser Zicke nicht provozieren lassen. Für wie doof hielt sie mich denn? »Weißt du, Nora ...« Meinen Namen sprach sie aus, als ob er etwas Ekliges wäre, ein juckender Ausschlag oder ein haariges Insekt mit tausend Beinen. »Anfangs war er traurig, aber er war schneller über dich hinweg, als du denkst. Er hat verstanden, dass es ihm ohne dich besser geht und dass ich perfekt zu ihm passe. Viel besser als du.«
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und biss die Zähne fest zusammen. Nein. Das war einfach nicht wahr. Sie passte nicht zu Jan. Sie war gemein, hinterlistig und ein berechnendes Miststück, das alle Menschen um sich herum beeinflusste, kontrollierte und manipulierte. Sogar ihren eigenen Bruder hatte sie für ihr böses Spiel ausgenutzt. Jan war besser. Jan war gut und nett. Viel zu nett. Fleißig und treu. Sie hatte ihn nicht verdient. Ich vielleicht auch nicht, okay, aber wenn sie behauptete, dass Jan zu ihr passte, dann war das schlichtweg falsch. Doch trotz ihrer Anschuldigungen und Lügen blieb ich ruhig. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das ausgeschimpft wurde. Genauso eingeschüchtert.
»Weißt du, wir sind glücklich zusammen. Wir sind zusammengezogen, haben über Hochzeit gesprochen, über Kinder. Wir wollten eine Familie gründen. Und jetzt bist du da und versuchst, einen Keil zwischen uns zu treiben!«
Ich glaube, ich stand unter Schock. Zumindest war ich sprachlos. Das waren Dinge, über die ich noch gar nicht nachgedacht hatte. Kinder? Hochzeit? Familie? War ich es jetzt? War ich plötzlich das Miststück, das eine Familie auseinandergerissen hatte? Ihre Familie? Hatte ich ihr Jan ausgespannt? Was zum ...?
»Nora versucht garantiert nicht, einen Keil zwischen euch zu treiben!«
Hiroki. Ich war so erleichtert, endlich jemanden neben mir stehen zu haben, dass ich erst mal geräuschvoll ausatmete. Ich hatte wohl die Luft angehalten. War mir gar nicht aufgefallen. »Lass das, Fernanda, du kennst Nora nicht und solltest deine Probleme nicht mit ihr, sondern mit Jan bereden und am besten nicht hier und heute! Nicht auf unserer Hochzeit!« Fernanda machte einen Schmollmund, der sie leider nur noch viel anziehender wirken ließ, und krallte sich an ihr Platzkärtchen, als wäre es eine Eintrittskarte für die Veranstaltung hier.
»Was ...?«
Jan kam plötzlich zu uns gelaufen. Sein Job als Lampenhalter war wohl erledigt. Er hatte immer noch seinen Mantel an und starrte seine Ex mit schreckgeweiteten Augen an. Er wirkte wütend, aber auch irgendwie verunsichert und ängstlich.
»Fernanda, was machst du hier?«
»Schatz, ich bin doch auch eingeladen und das hübsche Kleid habe ich mir extra für diesen Anlass gekauft. Du hast doch gesagt, wie hübsch du mich darin findest und ...« Während Fernanda sprach, schmiegte sie sich an Jan und strich ihm einige nicht vorhandene Staubkörner von den Schultern. Mir stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Ich spürte, wie mir die Galle hochkam.
Ich hatte genug gehört. Ich hatte genug gesehen. Ich war zu schwach für diese Scheiße hier. Ich spürte die Tränen auf meinen Wangen und den Zorn, der sich langsam in mir hocharbeitete. Ich würde gerne schreien, ganz laut, und dieser arroganten, selbstverliebten Pute mitten ins Gesicht schlagen, um sie für all das, was sie Jan und mir angetan hat, büßen zu lassen. Ja, ich würde ihr so gerne eine verpassen und an ihren perfekt frisierten Haaren ziehen. Aber bevor ich mich selbst vergaß und mich noch lächerlicher machte als eh schon, ging ich.
Humpelnd verließ ich den Raum und ging in Richtung Tür. Ich wollte nur noch raus.
Dort würde ich mir ein Taxi nehmen und nach Hause fahren. Was heißt nach Hause? Ich musste auch von Sebastian weg. Ich wollte das nicht mehr. Ich würde meine Sachen packen und gehen. Ich hatte ja eh bald einen Job. Ich brauchte einen Neuanfang.
Weg und neu. Wie vor vier Jahren.
Da war ich auch abgehauen. Weg von dem Ärger, dem Stress, der Wohnung und den Menschen, die mich allesamt an Jan erinnerten.
Und genau wie früher spürte ich den unbändigen Drang, mich zuzudröhnen. Egal womit. Ich wollte diese Gedanken nicht mehr. Sie zerfraßen mein Hirn. Sie machten mich schwach und zu einer Person, die ich nicht sein wollte. Ich wollte nie so werden. Lieber nichts spüren, nichts denken.
Gar nichts!
Als ich den Ausgang erreichte, wurde es im Raum hinter mir schlagartig ruhig. Die Band hatte aufgehört zu spielen und ein Raunen ging durch den Saal. Den Gästen war das Drama wohl auch nicht entgangen. Das war alles so verdammt peinlich! Ich wischte mir eine Träne mit dem Handrücken von der Wange. Dann hörte ich ein Pfeifen. Die Rückkopplung eines Mikrofons.
»Nora? Nora, hörst du mich?« Wieder ein Knacken und Rauschen. »Bitte, warte und hör mir zu! Ich liebe dich!« Ich blieb stehen, eine Hand am Türknauf, die andere auf meinem wild klopfenden Herzen, und lauschte. War das gerade mein Name gewesen? War das Jan?
»Ich liebe dich so sehr, dass ich manchmal nicht weiß, wohin mit den ganzen Gefühlen. Das war schon immer so. Von Anfang an. Damals, als ich dich das erste Mal sah, habe ich mich gefragt, wie ein Mensch gleichzeitig so anziehend und zerbrechlich sein kann. Du hast mich fasziniert und so unglaublich neugierig gemacht. Einfach, weil du anders warst. Und als ich mich dann mit dir unterhalten habe, du dich sogar mit mir treffen wolltest, da habe ich sofort gespürt, dass da was zwischen uns ist. Ein Band. Irgendetwas, das uns verbindet. Und genau dieses Band hat uns zusammengehalten. Über all die Zeit. Was waren die letzten vier Jahre denn ohne dich? Nichts weiter als eine trostlose Leere. Weißt du, wie das war ohne dich? Es war die Hölle! Ich war nicht mehr ich. Wie auch, denn du warst nicht mehr bei mir. Alles, was ich ohne dich hatte, war nichts als ein kläglicher Ersatz. Du warst nicht da. Ich möchte dich nicht noch einmal verlieren. Bitte, geh nicht wieder. Bitte bleib bei mir. Für immer!«
Ich zitterte am ganzen Leib und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Zu allem Übel tropfte ich das schöne Kleid mit einer dunklen Mischung aus Tränen und Mascara voll. Auch das Schluchzen konnte ich nicht mehr zurückhalten.
War das wahr? War das wirklich die Wahrheit? Sollte ich das glauben? Ich wollte weg. Aber ich wollte auch zu Jan. Ich wollte, dass Fernanda verschwand. Ich wollte glücklich sein. Einfach nur endlich wieder glücklich sein. Aber dafür brauchte ich Jan. Ohne ihn war ich nichts. Nur ein Abbild meiner selbst. Ich durfte ihn nicht aufgeben. Nicht schon wieder. Ich musste um ihn kämpfen. Für uns!
Der Erste, der hinter mir stand und mich an sich zog, war Sebastian. Er strich mir tröstend über den Rücken und versuchte verzweifelt, mich zu beruhigen. So wie ich versuchte, seinen Anzug nicht vollzusauen. Es gelang uns beiden nicht so recht. Nach einigen Minuten schob ich ihn ein wenig von mir und fuhr mir mit zitternden Fingern unter den Augen entlang.
»Entschuldigung«, sagte ich mit bebender, leiser Stimme und schob gleich noch zwei atemlose Schluchzer hinterher. Ich war schon ziemlich erbärmlich. Sebastian lächelte und versuchte, mit seinem Daumen irgendwie mein Make-Up zu retten. Ich sah bestimmt schrecklich aus. Wie ein Pandabär.
»So schlimm ist es nicht, das ist wasserfester Mascara. Sollte man auf Hochzeiten immer verwenden. Nur der Kajal ist ein wenig verlaufen.« Er zwinkerte mir zu und ich lächelte zurück. Zwar nur ein wenig und mit bebendem Kinn, aber immerhin. Dann hörte ich langsame, ganz zaghafte Schritte und entdeckte Jan hinter Sebastian. Sebastian drehte sich um und winkte seinen Bruder heran.
»Jetzt bist du dran. Kümmere dich mal um deine Freundin.«
Ohne dass einer von uns auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, schob mich Sebastian rigoros zu Jan und ging wieder zurück zu seinen Gästen. Ich kam fast etwas ins Stolpern und krallte mich an Jans Mantel fest.
»Ich hoffe, ich habe ihm nicht die Hochzeit versaut.« Meine Stimme war noch immer unsicher und ich spürte, dass ich nur ein paar Worte von einem neuerlichen Heulkrampf entfernt war. Meine Wangen waren noch immer tränennass.
Jan nahm mein Gesicht in seine großen Hände und zwang mich dazu, ihn anzusehen.
»Hast du mich gehört?«
»Ja«, hauchte ich mehr, als dass ich es sagte. Er nickte und fixierte mich weiter.
»Und?« Auch seine Stimme war leise. Seine Augen allerdings schrien. Sie schrien mich an. Die Intensität seines Blickes fesselte mich und gab mir ein wenig Zuversicht.
»War das dein Ernst? Ist das wirklich wahr?«
»Aber ja doch. Bitte glaube mir. Ich will mit dir zusammen sein. Nur mit dir!«
»Okay.«
Ein »okay« war alles, was es brauchte. Er lächelte und ich meinte, sogar eine kleine Träne in seinen Augen glänzen zu sehen. Ich war mir aber nicht sicher, denn dann schlossen sich seine Lider und er küsste mich.
Und wie er mich küsste ... Der beste Kuss aller Zeiten.