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2 - Die Yden

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Eotan war eine vielfältig ausgestattete, klimatisch und geologisch ausgewogene Welt, die sich inmitten eines Haufens anderer, noch nicht gestalteter Planeten um einen riesigen Feuerball drehte. Dieses Sonnensystem und der darin befindliche ‚Rote Garten‘ gehörten Gebun Rye, einem Wesen mit vielen positiven aber auch einigen negativen Eigenschaften.

Eingedenk der Tatsache, dass das Wohlwollen seiner Erwecker allein davon abhing, wie die gestellte Aufgabe bewältigt wurde, hegte und pflegte Rye das ihm anvertraute Gebiet mit aufopferungsvoller Aufmerksamkeit. Doch hin und wieder wurde er von einem selbstgerechten Zorn heimgesucht, angesichts der vermeintlichen Ungerechtigkeit seitens seiner Erwecker, sodass er in Raserei geriet und vieles wieder zunichtemachte. Als ihm jedoch aufging, dass er damit nicht nur die Grundschöpfungen der Höchsten Macht, sondern auch seine eigene Rückkehr zu Seinesgleichen ernsthaft gefährdete, erkannte er endlich, was genau ihm fehlte. Er und die anderen Gebun waren sehr gesellige Geschöpfe, die das Alleinsein nicht lange ertragen konnten. Da er nun aber zwangsweise zum Einsiedler gemacht worden war, gab es nur eine Möglichkeit für Abhilfe zu sorgen. Er musste sich einen intelligenten Ersatz schaffen, bevor ihn der Wahnsinn vollends übermannte!

Rye selbst war weder richtig greifbar noch wirklich sichtbar. Da er aber seine Ersatzgefährten nicht nur spüren oder bloß deren Gedanken hören wollte, formte er aus Wasser und dem Staub seines Roten Gartens zwei Geschöpfe, die er sowohl mit hoher Intelligenz als auch mit Kräften ausstatten wollte, die den seinen ähnlich waren. Sie sollten verschiedene Wahrnehmungssinne haben, damit sie ihre Umwelt auf ganz unterschiedliche Weise erkunden konnten, um durch Erfahrungen zu lernen. Zudem sollte ihre Dualität sicherstellen, dass keines von ihnen an Einsamkeit leiden musste, wenn er selbst mal anderweitig beschäftigt war. Das erste Geschöpf sollte groß und stark sein. Das Zweite hingegen sollte etwas feingliedriger wirken, weil er einen sichtbaren Unterschied haben wollte, um sie besser auseinanderhalten zu können.

Sobald sein Werk vollbracht war, blies Rye den beiden Staubwesen Leben ein. Dabei verlieh er ihnen nicht nur große Intelligenz und umfangreiche mentale Fähigkeiten, sondern auch grenzenloses Regenerationsvermögen, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Danach überlegte er lange, welche Bezeichnung er ihnen geben sollte, und benannte sie schließlich als Yden. Das bedeutete in seiner Sprache Kinder des Feuerlichtes und stellte zugleich eine Verschmelzung der beiden allerersten Namen im Universum dar. Danach gab er ihnen individuelle Rufnamen.

Vyane und Xeyo waren sehr hochgewachsene, aufrecht gehende Geschöpfe mit wohlproportionierten Körpern, langen silbrig glänzenden Haaren und hellen Augen. Ihre Haut schimmerte in einem hellen Alabaster-Ton, wurde jedoch bei starker Erregung oder tiefer Konzentration um einige Nuancen dunkler. Gleichzeitig zeigten sich dann auf der gesamten Körperoberfläche rote, eigentümlich anmutende Zeichen, was zum einen als Identitätsmerkmal und zum anderen als ein Zeichen von emotionaler Erregung oder großer Anstrengung gewertet werden konnte. Allein ihre selbstbewusste Eigenständigkeit verärgerte ihren Erschaffer zunächst so sehr, dass er schon kurz davor war, sie wieder zu Staub zu zermalmen. Doch dann ging ihm auf, dass sie sich im Grunde nicht anders verhielten, als er selbst es getan hatte, bevor er in die Verbannung geschickt worden war. Und da sie sich nicht wirklich respektlos verhielten, ließ er sie gehen, damit sie sich aus eigener Kraft weiterentwickelten. Selbst ihre Versuche, weiterhin mit ihm zu kommunizieren, blockte er zunächst ab. Als er jedoch begriff, dass er nun wieder genauso isoliert und einsam war, wie zuvor, gab er sein stures Verhalten auf.

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Das erste Yden-Paar brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass es mehr Unterschiede zwischen ihnen gab, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Mit ihrem Äußeren hatte dies jedoch nicht unbedingt zu tun, denn ihre Erscheinung war, abgesehen von Körpergröße und Kraft identisch. Dennoch stuften sie sich alsbald selbst als weiblich oder männlich ein, denn die Geschöpfe in ihrer Umwelt wurden auch in diese Kategorien unterteilt. Die einzig niederschmetternde Erkenntnis war, dass sie offenbar keine Fortpflanzungsorgane besaßen und darum die einzigen Exemplare ihrer Spezies bleiben würden.

Das war natürlich ein Irrtum, denn Rye war ein Perfektionist. Und da er nicht gewollt hatte, dass sich seine Ersatzgefährten wie Tiere vermehrten, sollte ihre Reproduktion anders vonstattengehen. Aus diesem Grund gab es im Bereich der untersten Spitze ihres Brustbeins ein winziges Knötchen, das zunächst keine Beachtung fand, weil es in keinster Weise störte. Erst nach vielen Jahren begann dieses vermeintliche Geschwür in regelmäßigen Abständen anzuschwellen und eine kleine Menge zäh wirkender Flüssigkeit abzusondern.

Vyane und Xeyo waren zunächst ratlos, machten sich dann aber keine weiteren Gedanken darüber, weil es ja nach wie vor nicht wehtat und auch nicht störte. Als es dann zufällig geschah, dass dieser Vorgang bei beiden gleichzeitig eintrat und ihre Sekrete sich vermischten, entstand daraus ein organischer Körper, der innerhalb kürzester Zeit zu einem Geschöpf heranwuchs, welches ihnen zum Verwechseln ähnlich war. Weil es jedoch weder einen Herzschlag aufwies, noch atmen wollte, war das erste Yden-Paar sehr enttäuschte.

„Ihr müsst ihm Leben einhauchen und sein Herz zum Schlagen bringen, damit er hernach von euch lernen kann, warum er ins Leben gerufen wurde“, empfahl Rye. „Zögert nicht, denn es bleibt euch wenig Zeit, bis er wieder zerfällt.“

Und so erweckte das erste Yden-Paar ihren ersten Nachkommen. Diesem folgten nach einer gewissen Zeit weitere Individuen, die dann auf gleiche Weise Nachwuchs hervorbrachten. Dabei sorgten sie mithilfe ihres eigenen Atems nicht nur dafür, dass ein neues Leben begann. Sie gaben dabei auch ihre Fähigkeiten weiter. Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Yden der nachfolgenden Generationen die mentalen Gaben von Vyane und Xeyo als einzelne Talente und meist in abgeschwächter Form besaßen.

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Aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten und den idealen Umweltbedingungen ging es den Yden hervorragend. Ihre Häuser waren so stabil, dass sie nur alle tausend Jahre erneuert werden mussten. Und die Natur produzierte über das gesamte Jahr hinweg so viel Nahrhaftes, dass eine Vorsorge für schlechte Zeiten nie in Betracht gezogen werden musste. Verletzungen heilten von selbst und verlorene Gliedmaßen wuchsen nach. Allein die Herstellung ihrer Kleidung löste so manchen Wettbewerb unter den Yden aus, denn jeder wollte etwas Besonderes haben, das er vorzeigen konnte. Zudem stellte die Suche nach dem seltenen und meist im sehr unwegsamen Gelände wachsenden Flachs eine höchst willkommene, weil aufregende Abwechslung dar, die man gerne mit einem Fest abschloss. Die glänzenden, violett schimmernde Fasern, die man aus den langen, dünnen Ästen der Sträucher gewann, ließen sich gut zu Fäden verspinnen, die man anschließend zu Stoffen verwob, die so leicht waren, dass man sie kaum auf der Haut spürte. Selbstverständlich wäre es möglich gewesen, das begehrte Rohmaterial von den sogenannten Suchern und Transporteuren herbeischaffen zu lassen. Da die hypervisuell und telekinetisch begabten Yden aber für wichtigere Unternehmungen gebraucht wurden, blieb es jedem selbst überantwortet, die Dinge für sein leibliches Wohl zu besorgen oder eigenhändig zu produzieren.

Allein die Kommunikation mit Rye blieb dem Dyonaten-Paar, also den ersten Yden vorbehalten, denn nur Vyane und Xeyo konnten die machtvolle Stimme ihres Schöpfers vernehmen, ohne Schaden zu erleiden.

Je mehr Köpfe das Yden-Volk aufwies, umso weiter breiteten sich die Yden auf Eotan aus. Dabei wanderten sie zumeist in Gruppen weiter, um immer wieder neue Gemeinschaften zu gründen. Und da sie sich immer weiter vom Dyonaten-Sitz entfernten, wollten sie bald jemanden in ihrer Mitte haben, der nach wie vor für Recht und Ordnung sorgen sollte. Also wählten sie ihr jeweils hochrangigstes Mitglied zu ihrem Anführer, den sie ‚Senator‘ nannten – unabhängig davon, ob es sich um eine Yden-Frau oder einen Yden-Mann handelte. Es dauerte auch nicht lange, bis man die Gemeinschaften nach ihren Anführern benannte, um die Verbände voneinander unterscheiden zu können.

Die Kommunikation untereinander funktionierte dennoch perfekt, denn die meisten waren hochbegabte Telepaten, die sich selbst über große Distanzen hinweg verständigen konnten. Nur die persönlichen Kontakte wurden seltener, je weiter die Betroffenen voneinander entfernt waren. Doch dann stellte man fest, dass eine Reise nicht nur körperliche Anstrengung erforderte, sondern auch viele interessante Eindrücke mit sich brachte, sodass immer mehr Yden ihren Alltagstrott für einige Zeit hinter sich ließen, um Eotan zu erkunden und Neues zu erleben.

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Wayonis, der dritte von Xeyo erweckte Yden-Mann, war der Erste, der auf die Idee kam, dass man einen Coriut vielleicht als Lasttier nutzen könnte, um sich selbst das Tragen der piekenden Flachs-Gebinde zu erleichtern. Wie man die kräftigen aber äußerst scheuen Vierbeiner, die oftmals eine Schulterhöhe von vier Meter erreichten, dazu bringen sollte, zu gehorchen, war ihm anfangs noch nicht ganz klar. Er hoffte jedoch, dass man mit Geduld und nicht nachlassender Beharrlichkeit mehr erreichen konnte, als durch mentale und somit gewaltsame Kontrolle des animalischen Bewusstseins. Als es ihm dann tatsächlich gelang, einen Coriut einzufangen und an seine ständige Anwesenheit zu gewöhnen, wurde dies zunächst bloß belächelt, denn es wusste noch keiner, was er eigentlich vorhatte. Sobald er jedoch mit einem voll bepackten Tier zu seiner Gefährtin zurückkam, hörten die spöttischen Bemerkungen schlagartig auf. Er hingegen dachte schon über eine weitere Verwendung der Tiere nach, wobei er schnell darauf kam, dass deren enorme Kraft ausreichte, um einen erwachsenen Yden zu tragen. Zudem entdeckte seine Gefährtin Alyana recht bald, dass die feinen aber relativ langen Haare, die sich aus dem Fell des Coriuts lösten, sobald man darüber strich, hervorragend dazu eigneten, versponnen und zu neuen Stoffen verwebt zu werden.

Unterdessen widmete sich Sodyan, der zweite von Xeyo erweckte Yden-Mann völlig andersgearteten Herausforderungen. In seinem Kopf schwirrten nämlich unzählige Ideen von hilfreichen Vorrichtungen herum, die den Alltag des Volkes noch angenehmer machen könnten. Allerdings vermochte er seine Fantasien nicht so aufzuzeichnen, dass es von anderen nachvollziehbar gewesen wäre, da ihm das Talent dazu fehlte. Daher ließ er die Konstruktionspläne von Leonyd, dem elften von Xeyo erweckten Yden-Mann, auf eine Schiefertafel bannen, bevor er anhand seiner mentalen Gabe die benötigten Materialien zusammentrug. Nun, große Geduld war nicht Sodyans Stärke. Daher brauchte es einen weiteren Helfer, der ihn bei der Vollendung unterstützen sollte.

Cotany, Nachkomme von Nyod, dem vierten von Xeyo erweckten Yden-Mann, war zunächst wenig begeistert über die Ehre, die ihm widerfuhr. Da er aber ein allseits geachteter Baumeister war, stimmte er schließlich mangels glaubwürdiger Ausrede zu. Allein die Tatsache, dass Leonyd mit von der Partie war, versöhnte ihn ein bisschen, denn er verehrte den gebildeten und gerechten Yden-Mann mehr als seinen eigenen Erzeuger.

Der Wissensdurst und die Experimentierfreude der Yden schien kein Ende nehmen zu wollen. Entsprechend viele Erkenntnisse und Errungenschaften wurden gewonnen und für alle zugänglich gemacht. Die Weiterentwicklung einzelner Erfindungen erfolgte nicht selten aus purer Langeweile oder aufgrund der Frage, wie man ein bestimmtes Problem lösen könnte.

Einer dieser Impulse war der Wunsch, Energiequellen zu finden, die jederzeit und ohne eigene mentale Anstrengung für ausreichend Licht und Wärme sorgten, damit man sich von primitiven Lampen und rußenden Öfen verabschieden konnte. Dabei kam man relativ schnell zu der Erkenntnis, dass man die natürliche Elektrizität, die bei Gewittern entstand und sich in Form von Blitzen entlud, durchaus auch selbst herstellen und kontrollieren konnte. Und so entstanden bald Wind- und Wasserkraftanlagen, die immer größere Ausmaße annahmen, je mehr elektrischer Strom verlangt wurde. Am Ende baute man riesige Kernkraftanlagen, um den stetig wachsenden Bedarf zu decken, denn diese schienen weit effizienter zu sein, als alle anderen Energieproduzenten.

Eine andere Eingebung führte dazu, dass man Transportmittel entwickelte, um noch schneller und bequemer zu den Yden zu gelangen, die auf der Suche nach einem schöneren Zuhause weggezogen waren. Der Kutsche, die von einem Coriut-Gespann über mehr oder weniger ebene Wege zu den jeweiligen Zielen gezogen wurde, folgte irgendwann ein leichter Segler, der allein durch den Willen seines Lenkers in die Luft gehoben und dann von den Winden davongetragen wurde. Diese wiederum wurden schon bald durch neue Fluggeräte ersetzt, die mehrere Leute befördern konnten. Die aerodynamischen Gleiter wurden schließlich als das Transportmittel der ersten Wahl angesehen, wenn man schnell von einem Ort zum anderen wollte, denn diese Art des Reisens war unabhängig von Straßen und zudem viel schneller. Es brauchte auch nicht viel, um die einfach konstruierten Flieger in Betrieb zu nehmen. Der Ondor, also ein Yde mit außergewöhnlich stark ausgeprägten telekinetischen Kräften musste bloß genügend Konzentration aufbringen, um das beladene Fluggerät von der Oberfläche abheben und in eine bestimmte Richtung schweben zu lassen. Das einzige Problem bestand darin, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Ondore gab, die fähig waren, ihre Kräfte über längere Zeitspannen hinweg wirken zu lassen. Zudem benötigten diese Yden eine ausreichend lange Regenerationszeit und eine spezielle Ernährung, was ihren Einsatz nur in gewissen Abständen möglich machte. Also sann man auf Abhilfe und entdeckte dabei ein Phänomen, das man sogleich zu nutzen wusste. Setzten sich nämlich mehrere, besonders mächtige Ondore bewusst in einem Zirkel zusammen, um ein Fluggerät zu bewegen, schienen sich ihre Kräfte zu bündeln, sodass selbst große Objekte über weite Entfernungen bewegt werden konnten. Dabei wurde auch offenbart, dass sie bei ihrem zielgerichteten Zusammenwirken weit weniger Energie verbrauchten und darum auch schneller wieder einsatzbereit waren. Um sie besser von den anderen Telekineten unterscheiden zu können, gab man ihnen den Namenszusatz ‚Tax‘.

Als Wayonis schließlich ein vom Yden-Willen und Wind unabhängiges Antriebssystem erfand, welches per elektrischer Energie betrieben werden konnte, wurde das Fliegen noch schneller und die Fluggeräte immer größer. Und so entwickelte sich die Technologie auch in anderen Bereichen immer weiter. Manchmal gab es Erfindungen, die zum Wohle des Volkes eingesetzt werden konnten. Doch oft genug stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass die vermeintlich gute Neuerung völlig überflüssig, im Grunde sogar schlecht war, weil durch sie Arbeiten entfielen, die ehedem ein befriedigender Bestandteil des täglichen Lebens gewesen waren. Darum wurden diese Neuheiten wieder aufgegeben, denn Langeweile war etwas, was niemandem wirklich guttat.

Xeyos Tränen

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