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6 - Die neue Heimat

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Während das Yden-Volk trotz unberechenbarer Sturmböen und Dauerregen tausende von Bäumen fällte, um sowohl Platz als auch Baumaterial für Unterkünfte zu gewinnen, und Brunnen grub, um nicht auf das meist verunreinigte Wasser aus Bächen und Tümpeln angewiesen zu sein, beschäftigten sich Leonyd mit dem Problem, wer die Führung übernehmen sollte, denn der Erste Yde weigerte sich standhaft, seine derzeitige Position auch in Zukunft einzunehmen.

„Liegt dir denn gar nichts mehr an uns?“ Die Angst vor einer ungewissen Zukunft machte Leonyd die Kehle eng. Zudem fraß eine stetig wachsende Frustration an seinem Herzen, die nicht nur in der Sturheit des Dyonaten begründet war, sondern auch der eigenen Ohnmacht galt, weil er sich nicht in der Lage sah, die Gefahr abzuwenden, die das Yden-Volk bedrohte. Nicht alle Yden waren ausschließlich mit einem friedlichen Charakter geschaffen worden. Es gab genug Individuen, die nach wie vor allein an sich selbst dachten und darüber die Gemeinschaft vernachlässigten. Ohne Führung würden die Regeln und Gesetze schnell in Vergessenheit geraten, glaubte er. Und die Folgen davon würden Anarchie und Chaos sein, was sich schnell zu einem Krieg auswachsen könnte. Und das wollte er nicht noch einmal erleben! Er wollte nie wieder mit ansehen, wie das Blut eines Yden sinnlos vergossen wurde.

„Ich will meine Ruhe haben“, erklärte Xeyo unterdessen vollkommen unbeeindruckt, indem er unbeirrt auf den Waldrand zuging. „Wenn ihr unbedingt einen neuen Dyonaten wollt, wählt einen aus eurer Mitte.“

„Du weißt genau, dass das nicht so einfach ist“, fuhr Leonyd auf.

„Unsinn.“ Xeyos Gleichmut schwand zusehends. „Jeder Yde, den ich oder Vyane erweckt haben, kann diese Aufgaben übernehmen. Wo liegt das Problem?“

„Die Yden-Frauen der zweiten Generation sind allesamt mit ihren eigenen Aufgaben beschäftigt, was schon genug Engagement und Verantwortung erfordert. Und die Männer …“ Leonyd schluckte schwer. „Es ist keiner unter ihnen, der diese Aufgabe so gut erledigen könnte, wie du. Und ich …“

„Das alles ist mir gleich“, unterbrach Xeyo ungehalten. „Ich bin mit euch nach Aquitan gekommen, weil mich auf Eotan nichts mehr hielt. Aber ich bin es leid, ständig über euch zu wachen und für euch verantwortlich zu sein. Es wird wirklich allerhöchste Zeit, dass ihr euch auf eure eigenen Füße stellt und das macht, wozu ihr erweckt wurdet!“

„Aber …“, wollte Leonyd einwenden.

„Schluss jetzt“, verlangte Xeyo. „Hast du keine Arbeit zu verrichten? Mach lieber was Vernünftiges, statt mir auf die Nerven zu gehen!“

Nahe daran, eine respektlose Erwiderung hören zu lassen, nahm sich Leonyd mit aller Macht zusammen. Ein Streit war jetzt das Letzte, was ihm weiterhelfen würde, ermahnte er sich.

Da er seinen Erwecker nicht umstimmen konnte, drehte er sich auf dem Absatz seiner Stiefel herum und ging zu seiner Gefährtin zurück, um ihr bei der Ausbesserung ihrer provisorischen Unterkunft zu helfen, die ihnen Schutz bieten sollte, bis ihr eigentliches Wohnhaus fertig war.

Unterdessen strebte Xeyo in den Dschungel hinein, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Da seine Entscheidung schon lange feststand, fand er, dass er die Umsetzung seines Planes nun lange genug aufgeschoben hatte. Er setzte automatisch einen Fuß vor den anderen und errichtete gleichzeitig eine starke mentale Abwehrbarriere um sich, um so jeden Kontaktversuch abzuwehren.

„Was machst du denn für ein Gesicht?“, wollte Kalynte wissen, sobald Leonyd die gemeinsame Schutzhütte betrat.

„Er will seine Meinung nicht ändern“, erwiderte er seufzend, wohl wissend, dass seine Gefährtin genau wusste, wovon er sprach. Gleichzeitig schob er einen herausgerutschten Holzpfosten an seinen ursprünglichen Platz zurück, damit dieser wieder in das Geflecht aus biegsamen Ästen integriert werden konnte. „Wir sollen einen aus unserer Mitte zum Dyonaten machen.“

„Keine schlechte Idee“, erwiderte sie. „Immer noch besser, als das Volk ganz ohne Führung zu lassen.“

„Wayonis steht jetzt in der Rangfolge nach Xeyo an erster Stelle und wäre eigentlich in der Pflicht, die Aufgaben des Dyonaten zu übernehmen. Aber er ist ein Träumer, der nicht zum Führer taugt.“ Da der Schaden behoben war, wandte sich Leonyd ab, um sich Wasser zu holen.

„Ich habe nicht an Wayonis gedacht“, stellte Kalynte fest, derweil sie die Reisig-Wand mit einem aufmerksamen Blick prüfte, die jetzt wieder so dicht schien, wie vor dem nächtlichen Orkan, der alles mit sich gerissen hatte, was nicht irgendwie festgebunden oder mit dem Boden fest verwurzelt war. „Du solltest von dir aus Anspruch auf den Dyonaten-Sitz erheben“, fuhr sie fort, indem sie sich die Hände sauber wischte. „Das denke im Übrigen nicht nur ich“, versicherte sie. „Auch Sodyan fände es vernünftig, wenn du Dyonat werden würdest.“

„So?“ Leonyd war gedanklich längst nicht mehr bei der Sache, denn sein Hirn beschäftigte sich nun wieder mit dem Problem, wie er das Dach der Schutzhütte so abdichten könnte, dass es nicht mehr hineinregnen konnte. Als ihm schließlich einfiel, dass er am Rande der Rodung mehrere Pflanzen gesehen hatte, die große, wie gewachst aussehende Blätter besaßen, erhellte sich sein Gesicht. „Ja, das ist eine hervorragende Idee.“

Kalynte indes nahm diese Feststellung als Antwort auf ihre Aussage und nickte leicht. Sie wusste durchaus, dass ihr Gefährte diese Aufgabe nur ungern übernehmen würde. Er besaß zwar ein ungemein großes Allgemeinwissen und war daher ein gefragter Berater in allen möglichen Bereichen. Doch in seinem Herzen war er ein einfacher Handwerker, der nichts lieber tat, als mit seinen eigenen Händen schöne und zugleich nützliche Dinge herzustellen. Er war genauso umsichtig und gerecht, wie sein Erwecker, aber kaum jemand, der sich gerne mit Regierungsgeschäften abgab. Nichtsdestotrotz war sie überzeugt davon, dass er in diese Aufgabe so schnell und mühelos hineinwachsen würde, wie er es bei seinem letzten Auftrag als Raumschiffskapitän getan hatte. Zudem freute sie sich darüber, dass sie nun keinen Dyonaten akzeptieren musste, den sie nicht so respektieren konnte, wie ihren Gefährten.

*

Aquitan war heiß und feucht, was Xeyo nicht nur körperlich zusetzte. Eotans eher trockenes Klima gewohnt, wo die Nachttemperaturen weit unter null Grad Celsius und die Tageshöchstspitzen bei maximal zweiundzwanzig Grad Celsius lagen, meinte er, in dem subtropischen Klima seiner neuen Heimat schier verrückt werden zu müssen. Jede Bewegung führte sogleich zu einem Schweißausbruch, was wiederum seinen Bedarf an Trinkwasser um das Dreifache seiner gewohnten Menge erhöhte. Zudem zeigte sich der Himmel tagein tagaus wolkenverhangen, sodass die Sonne gar keine Chance bekam, sich sehen zu lassen, was seine düstere Stimmung zusätzlich dämpfte. Er sehnte sich zurück in die gleichmäßig erscheinenden Landschaften auf Eotan. Ebenso vermisste er die sorgsam angelegten Plantagen und Wälder seines Reiches, die sowohl seine Augen als auch seinen Geist erfreut hatten, da sie ja der Arbeit seiner Hände entsprungen waren. Noch mehr vermisste er jedoch Elyka, die er mehr als alles andere geliebt und die er darum wie einen Teil seiner selbst angesehen hatte. Ja, er fühlte sich ohne sie so unvollkommen, wie ein einzelner Schuh, dem man sein Gegenstück vorenthielt. Doch jedes Mal, wenn er an ihren Tod erinnert wurde, flammte auch ein ohnmächtiger Zorn auf die Mörderin in ihm auf, der nach einem Ventil suchte. Als er den Druck in seinem Inneren schließlich nicht mehr aushalten konnte, gestattete er sich einen kurzen Moment unkontrollierter Emotionen. Allerdings brachte ihm dies keine Erleichterung. Im Gegenteil fühlte er sich nun auch noch schuldig, weil durch seine zerstörenden Kräfte Lebewesen zu Tode gekommen waren, die absolut nichts dafür konnten, dass er so verbittert und wütend war.

In den ersten Wochen streifte Xeyo ziellos durch den dicht wachsenden Urwald, und ernährte sich von Beeren, Pilzen und Nüssen. Dabei traf er immer wieder auf kleine und große Geschöpfe, die meist unverhofft aus dem Dickicht hervorbrachen, nicht gleich wissend, in welche Kategorie der ihm bekannten Wesen er sie einordnen oder wie genau er sich verhalten sollte. Am Ende benannte er sie nach den Tieren Eotans, denen sie am ähnlichsten waren. Doch schon bald musste er sich immer mehr neue Namen einfallen lassen, weil die Artenvielfalt auf Aquitan tausendmal größer schien, als auf seinem Heimatstern. Da er so hochgewachsen wie der Gras und Laub fressende Stegosaurus war, also von Kopf bis Fuß etwas mehr als vier Meter maß, wurde er nicht als Beutetier betrachtet und konnte daher unbehelligt seiner Wege gehen. Dennoch strebte er meist sehr vorsichtig voran, denn es gab einen Feind, der sich durch nichts und niemanden aufhalten ließ, wenn er Hunger hatte. Der Tyrannosaurus, ein großes, auf den Hinterbeinen laufendes, fleischfressendes Raubtier mit einer Höhe von etwa fünf Metern und einer Länge von bis zu zwölf Metern war ihm zwar noch nicht direkt über die Füße gelaufen, doch waren er und sein Jagdverhalten selbst aus der Ferne betrachtet immer noch furchterregend genug, um sich von ihm fernzuhalten. Selbstverständlich hätte er den heimtückischen Räuber durch seine Kräfte bezwingen können. Dennoch mied er bewusst jede Situation, die ihn in Bedrängnis hätte bringen können. Zum einen war ihm der Kampf an sich so verhasst wie nichts anderes. Zum anderen wollte er nie wieder einem Geschöpf Schaden zufügen, das schwächer war als er selbst – und das waren praktisch alle Lebewesen auf Aquitan.

Mittlerweile so weit von seinen Leuten entfernt, dass er Monate gebraucht hätte, um zu ihnen zurückzukommen, kämpfte sich Xeyo durch dicht wachsende Wälder und morastige Sümpfe. Als er schließlich das Ufer des Ozeans erreichte, blieb er erst einmal stehen, um die riesige Wasseroberfläche zu überblicken, die bis zum Horizont reichte. Im Gegensatz zu Eotan, wo begehbares Land vorherrschte, das von einigen großen Flüssen und unzähligen Süßwasserseen durchzogen war, dominierte auf Aquitan ein salziges Meer, welches eine einzelne Landmasse umspülte, und in dessen unergründlicher Tiefe eine weitere Vielzahl ihm noch unbekannter Geschöpfe lebte.

Für einen kurzen Moment versucht, sich in die wild tosende Brandung zu stürzen, um eine Selbstzerstörung zu versuchen, blieb Xeyo dennoch auf der Stelle stehen. Er war sich nämlich nicht mehr ganz sicher, ob dies tatsächlich vernünftig war. Was, wenn sein Bewusstsein hernach nicht in die Ewige Finsternis ging, sondern weiter existierte, um ruhelos von einem Ort zum nächsten zu wandern, ohne je zum Ziel zu gelangen? Hatte Rye nicht einmal gesagt, er allein würde darüber bestimmen, wann seine Erst-Schöpfung sterben sollte? Er, Xeyo, und Vyane waren einzigartig! Welche Schwachpunkte auch immer ihre eigenen Schöpfungen hatten, sie beide besaßen keine. Es war also möglich, dass er tun konnte, was auch immer ihm einfiel, ohne je ans Ziel zu gelangen. Solange Rye nicht zuließ, dass er sich selbst auslöschte, würde er zum Leben verdammt sein.

Bei der letzten Feststellung angekommen, warf Xeyo in einer drohenden Geste seine rechte Faust gen Himmel und verfluchte seinen Schöpfer, der ihn zu einem ewig währenden, vollkommen sinnlosen Dasein zwang.

„Würdest du deine Aufgabe erfüllen, hätte dein Leben durchaus einen Sinn“, wurde ihm daraufhin mitgeteilt.

„Ich habe nicht darum gebeten, Dyonat zu sein“, schrie Xeyo den tief hängenden Wolken entgegen. „Ich war es lange genug!“

„Aber dein Volk braucht dich jetzt mehr denn je.“

Ryes sonst ruhige, jetzt aber gereizt klingende Stimme hallte in Xeyos Kopf wieder, wie eine Glocke, deren Töne laut dröhnend sein Hirn zum Vibrieren brachten und somit einen Schmerz verursachten, der ihn gequält aufheulen ließ.

„Mein Volk kommt hervorragend ohne mich zurecht! Und du … Du kannst mich nicht zwingen, dir weiter zu gehorchen“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Du kannst mich töten, wenn du willst. Aber ich werde nicht länger deinem Willen folgen.“

„Wir werden sehen.“

Xeyo fühlte die Präsenz seines Schöpfers schwinden, und schickte ihm eine unbeherrschte Verwünschung hinterher. Gleich darauf wandte er sich ab, um sich wieder dem Landesinneren zuzuwenden. Er brauchte Nahrung und Trinkwasser. Allerdings ging er ohne ein festes Ziel vor Augen einfach drauflos, und blieb nur hin und wieder kurz stehen, um ein paar Beeren oder essbare Blätter zu pflücken. Als ihm schließlich ein großer Süßwassersee den weiteren Weg versperrte, entschied er, dass er nun weit genug gelaufen sei. Also suchte er sich eine geschützte Stelle in Ufernähe aus und baute sich dort aus Ästen und Farnwedeln einen Unterstand. Körperlich und geistig so müde, dass er meinte, er müsse tausend Jahre Schlaf nachholen, richtete er sich ein Lager aus trockenem Gras. Darauf ausgestreckt schlief er drei Tage lang durch.

Der erschöpfte Yden-Mann wäre wohl auch länger im Reich seiner Träume geblieben, hätte nicht am vierten Morgen ein kleines pelziges etwas an seiner Nasenspitze geschnüffelt und ihn dabei mit den Tasthaaren gekitzelt.

Die Lider hebend fand sich Xeyo Auge in Auge mit einem Geschöpf wieder, dass entfernt an eine Ratte erinnerte. Der etwa einen halben Meter große, Pelz tragende Allesfresser war allerdings nur halb so groß, wie die auf Eotan lebende, sehr scheue Spezies. Zudem saß er ohne jede Angst vor ihm, während er ihn aufmerksam betrachtete.

Im ersten Moment unschlüssig, was er tun sollte, machte der Yden-Mann gleich darauf eine abwehrende Bewegung, weil ihm die aufdringliche Neugierde seines ungebetenen Besuchers nicht behagte. Daraufhin machte das Tierchen zwar einen kleinen Satz zur Seite, lief aber nicht weg. Sich auf die Hinterbeine setzend, richtete es gleichzeitig den Vorderkörper auf und legte dabei den Kopf zur Seite. Anschließend begann es sich mit den Vorderfüßen ausgiebig am Bauch zu kratzen, während seine kleinen Augen das bleiche Gesicht des fremden Wesens taxierten.

„Sch, sch“, versuchte es Xeyo erneut. Damit löste er zwar ein weiteres Ausweichmanöver aus, nicht aber Flucht, wie eigentlich beabsichtigt. Schon kurz davor, nach einem Ast oder Stein zu langen, um den Störenfried damit zu verscheuchen, gab er dem Impuls dann doch nicht nach, selbst nicht recht wissend, wieso er seine Meinung geändert hatte.

„Ich mag dich zwar nicht besonders“, stellte er in die Richtung des Tieres fest, welches er jetzt mit Ratte benannte. „Aber wenn du unbedingt willst, kannst du dableiben.“ Sich zu seiner vollen Größe aufrichtend, sah er gleich darauf seinen kleinen Besucher erschrocken zu sich hinauf starren, und musste ungewollt grinsen, weil es ihm letztlich doch noch gelungen war, den Aufdringlichen aus der Fassung zu bringen. Als ihm jedoch bewusstwurde, dass sein Magen leer und sein Rachen staubtrocken vor Durst waren, vergaß er den kleinen Nager und dessen komisches Verhalten.

Am Nachmittag wurde Xeyo klar, warum die Ratte keine Angst vor ihm verspürt hatte, denn er stieß bei seinem Rundgang auf die kläglichen Überreste einer Kryostase-Einheit, die offenbar nicht durch das rettende Energienetz der Ondore-Tax erfasst worden war. Die unterschiedlich großen Trümmerteile lagen in und um einen tiefen Aufschlagtrichter, dessen Innenwände aus verkohlter Erde und geschmolzenen Kristallen bestanden. Nur von dem ehemaligen Passagier gab es zunächst keine Spur.

Xeyo wollte sich schon wieder abwenden, um seinen Weg fortzuführen, da bemerkte er den abgerissenen und fast vollständig zertrümmerten Schädel eines Yden, der im Zentrum der Absturzstelle lag. Also suchte er seine Umgebung ein weiteres Mal mit den Augen ab und entdeckte dabei den bereits stark verwesten Leichnam. Gleich daneben lag ein dickes Notizbuch, das an den Seiten angesengt aber nicht zerstört war. Wem es gehörte, stand auf dem Einband. Doch das war für ihn genauso nebensächlich, wie die Tatsache, dass es hilfreiche Informationen enthielt. An den Toten schien sich noch kein Aasfresser herangewagt zu haben, denn er wirkten nicht so, als wäre er angenagt oder herum geschleift worden. Ob das nun am Geruch gelegen hatte, war nicht ganz klar. Allein eine Ratten-Familie hatte unweit der Unglücksstelle ihr Nest unter einem Trümmerteil gebaut. Die Nager hatten vermutlich eine Zeit lang die Nähe des toten Yden gemieden, waren dann aber mutiger geworden, denn das fremdartig riechende etwas hatte sich ja nicht bewegt. Entsprechend dieser Erfahrung war auch sein morgendlicher Besucher bis zu seiner Nasenspitze vorgedrungen, ohne um sein Leben zu fürchten.

Im ersten Moment versucht, den Toten in den Krater zu legen und diesen dann zuzuschaufeln, wandte sich Xeyo im nächsten ab, um mit langen Schritten davonzugehen. Hin und wieder stehen bleibend, um hier und da ein paar Körner eines wild wachsenden Getreides einzusammeln und sogleich in den Mund zu stecken, verbannte er die Erinnerung an den verunglückten Yden-Mann genauso konsequent aus seinem Hirn, wie den Drang, eine telepathische Mitteilung an Amany zu senden, damit sie erfuhr, was mit dem Ersten von ihr erweckten Yden geschehen war.

„Hast du kein Herz? Ist es dir wirklich gleich, was deinen Nachkommen widerfährt?“, wollte Rye wissen.

„Lass mich zufrieden“, knurrte Xeyo zur Antwort. „Du bist doch allmächtig, oder nicht! Warum hast du nicht verhindert, dass er stirbt?“ Da er darauf keine Antwort erhielt, stapfte er mit langen Schritten zu seinem Unterstand zurück, ohne seiner Umgebung auch nur einen Blick zu gönnen. Dort warf er sich sogleich auf sein Lager und beschloss, dass er von diesem Augenblick an nur noch dann aufstehen würde, wenn es unbedingt erforderlich war. Allerdings stand er kurz darauf wieder auf seinen Füßen und marschierte dann vor sich hin schimpfend zur Unglücksstelle zurück, um Kylians Leichnam zu begraben. Auch wenn sich bisher kein Tier an den Toten herangewagt hatte, würde dies früher oder später doch geschehen. Und das musste nun wirklich nicht sein. Ein hoch angesehener Yde, der Äonen damit zugebracht hatte, seine Umwelt zu erforschen und sein Wissen an jüngere Generationen weiterzugeben, sollte nicht wie ein Beutetier in Stücke gerissen und in alle Himmelsrichtungen verschleppt werden, sondern in Würde zu Staub zerfallen.

Xeyos Tränen

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