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5 - Dem Ziel so nah

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Da die Ankunft auf Aquitan kurz bevorstand, richtete Rye seine Aufmerksamkeit wieder vermehrt auf die Raumschiffe, die sich nun darauf vorbereiteten, aus Swers Gravitationsbereich auszuscheren, um nicht weiter mitgezogen zu werden. Dabei nahm er zum ersten Mal bewusst Byane wahr, die zweite durch Xeyo erweckte Yden-Frau, die gleichzeitig auch die leitende Ondor-Tax des zweiten Ondor-Zirkels war. Sie war in ihrer Erscheinung nicht wirklich bemerkenswert. Dennoch fand er Gefallen an ihr, weil sie in tiefer Selbstversunkenheit ein verzweifeltes Bittgebet an ihn richtete, er möge doch den Yden die Hilfe gewähren, die sie jetzt so dringend brauchten. Am Ende entschied er, dass er ihr zuliebe einmal nachgeben wolle, denn ihre tiefe Verehrung verdiente einen Lohn. Da er sich jedoch nicht direkt in ihr Bewusstsein einklinken und so mit ihr kommunizieren konnte, ohne ihr damit ernsthaften Schaden zuzufügen, pflanzte er bloß Bilder in ihren Verstand, die sie darauf vorbereiten sollten, was auf dem neuen Heimatplaneten auf sie wartete.

Obwohl sie nach ihrem meditativen Bittgebet von fürchterlichen Kopfschmerzen geplagt wurde, stellte Byane sogleich einen telepathischen Kontakt zu den anderen Yden-Frauen der zweiten Generation her, um ihnen von ihrer Vision zu berichten. Danach brach sie zusammen, vorübergehend nicht mehr fähig, auf Fragen oder sonstige Einflüsse aus ihrer Umgebung zu reagieren.

Die herbeigerufene Heilerin stellte eine Überlastung der Neural-Bahnen fest und wunderte sich sehr darüber, denn solch eine Diagnose hatte es bisher ausschließlich bei den Yden gegeben, die nur zu schwachen mentalen Aktivitäten fähig waren und daher durch die telepathischen Kontaktversuche stärkerer Artgenossen derart geschwächt werden konnten. Als sie jedoch erfuhr, was Byane vor ihrem Zusammenbruch widerfahren war, schnappte sie erschrocken nach Luft.

„Es wäre an Xeyo gewesen, mit Rye zu sprechen“, zürnte sie. „Wieso lässt er zu, dass eine von uns in solche Gefahr gebracht wird?“

„Er hat alles versucht“, verteidigte Feyod, Byanes Gefährte, den Dyonaten. „Aber Rye wollte nicht mit ihm kommunizieren. Also gib Ruhe Frau, und kümmere dich um deine Angelegenheiten.“

So wie es die leitenden Kapitäne auf den anderen Schiffen taten, übernahm Safyra, die fünfte durch Xeyo erweckte Yden-Frau, die Aufgabe, Ryes Botschaft in hörbaren Worten an die Besatzung weiterzugeben, die ihr selbst unterstellt war. Am Ende ihrer Ausführungen angekommen, wollte sie ihre eigene Sichtweise der Dinge zur Sprache bringen, kam jedoch nicht dazu, weil man ihr zuvorkam.

„Wir müssen den Leuten vernünftige Waffen an die Hand geben, damit sie sich im Falle eines Angriffs gegen die einheimischen Geschöpfe verteidigen können“, riet Yngvar, der ihr Gefährte war.

„Vernünftige Waffen gab es noch nie“, erwiderte sie unwirsch. „Und es wird auch nie welche geben. Wir haben nicht ohne Grund jegliche höhere Technologie auf Eotan zurückgelassen. Hast du schon wieder vergessen, was sich unser Volk mithilfe automatischer Waffen gegenseitig angetan hat? Willst du etwa, dass das Ganze wieder von vorne beginnt?“

„Sollen sie sich etwa mit ihren bloßen Händen wehren?“, begehrte er auf.

„Rye hat uns durch Byane versichert, dass es auf Aquitan keine echte Gefahr für uns gibt. Die Geschöpfe, die dort leben, sind in etwa mit denen zu vergleichen, die auf Eotan von etwa fünf Millionen Jahren existiert haben und allein aufgrund unserer Rücksichtslosigkeit ausgestorben sind. Die meisten sind ohnehin reine Pflanzenfresser, also keine echte Gefahr für uns. Es sei denn, sie sind groß genug, um uns niederzutrampeln. Nun, ihnen kann man genauso aus dem Wege gehen wie den Fleischfressern. Ich gehe mal davon aus, dass unsere Leute allesamt schlau genug sind, die Gefahren rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren.“

„Das hört sich beruhigend an.“ Yngvar war keineswegs bereit, gleich nachzugeben. „Aber was ist, wenn Byane in Wahrheit etwas ganz anderes gesehen hat und uns nur die halbe Wahrheit sagt? Was ist, wenn sie uns nur das erzählt hat, was wir ihrer Meinung nach wissen sollen? Nur weil sie durch Xeyo höchstpersönlich erweckt wurde und darum eine Yde der zweiten Generation ist, heißt das noch lange nicht, dass sie über jeden Zweifel erhaben ist!“

Safyra sah ihren Gefährten bloß mit leicht gerunzelter Stirn an, wohl wissend, dass sie nichts weiter sagen musste, um ihr Denken über ihn und seinen Ausbruch deutlich zu machen. Sie wurde jedoch bewusst ignoriert.

„Wer hat euch eigentlich gesagt, dass die Leute mit all euren Entscheidungen einverstanden sind?“ Die verstimmte Mine seiner Gefährtin machte ihm augenblicklich klar, dass er es anders formulieren musste, wollte er nicht Gefahr laufen, dass man ihn als aufrührerischen Hetzer ansah, der ohne jeden Grund andere vor den Kopf stieß und so Streit provozierte. „Ich meine, woher nehmen wir uns das Recht, von ihnen zu verlangen, dass sie sich mit Stöcken und Steinen zufriedengeben sollen, wo sie doch daran gewöhnt sind, in jeder Situation Hilfsmittel einsetzen zu können, die alles viel leichter machen.“

„Sie wurden gefragt, ob sie mit uns gehen und eine völlig neue Lebensart beginnen, oder bleiben wollen, um ihr Dasein auf die alt bekannte Art weiterzuführen“, erklärte Safyra mit der sanften Gleichmut einer Lehrenden, die schon mehrfach Diskutiertes wiederholte, um endlich ein einvernehmliches Ergebnis zu erlangen. „Alle, die mit uns gekommen sind, wissen genau, dass sie praktisch jeden Tag damit beschäftigt sein werden, ihre Ernährung sicherzustellen und die alten Methoden anzuwenden, die zur Herstellung von Kleidung und anderen …“

„Das weiß ich alles!“ Yngvar wollte nicht wie ein frisch erweckter Yde behandelt werden, der noch keine Ahnung davon hatte, was vernünftig war und was nicht. „Trotzdem denke ich, dass man es nicht übertreiben sollte. Ich bin auch dafür, dass man bei der genügsamen Lebensweise bleibt, die wir schon jetzt praktizieren. Dennoch meine ich, dass es ein Mindestmaß an Technologie geben sollte, damit genug Zeit für kulturelle Aktivitäten bleibt. Wenn nämlich jeder nur noch ums nackte Überleben kämpfen muss, werden wir bald ein Volk von unzivilisierten Barbaren sein.“

„Wenn dir so viel an Maschinen und einem vermeintlich sorglosen Leben liegt, warum bist du dann mitgekommen, statt auf Eotan zu bleiben, wo das alles nach wie vor zu haben ist?“ Safyra wunderte sich an diesem Tag nicht zum ersten Mal darüber, wieso sie Yngvar auf einmal mit anderen Augen sah. Sicher, er war immer noch der aufmerksame Gefährte, mit dem sie sich einst verbunden hatte. Aber da war auch noch etwas anderes, nicht wirklich greifbares, was sie schon seit ihrem Aufbruch störte. Er schien fast so, als wolle er …

„Ich wollte nicht ohne dich zurückbleiben.“ Yngvar wusste, diese Aussage wurde von den übrigen Anwesenden erwartet. Zudem wollte er durch die halbherzige Liebeserklärung sicherstellen, dass Safyras Misstrauen gleich wieder im Keim erstickt wurde. Und da ihr Stirnrunzeln tatsächlich schwand, fuhr er fort: „Vor Byanes Trance-Erlebnis habe ich auch gedacht, dass wir tatsächlich ohne Waffen …“

„Wir werden die Leute keineswegs mit leeren Händen auf Aquitans Oberfläche aussetzen und ihrem Schicksal überlassen.“ Safyra bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, weil sie nicht wollte, dass sich die Spannung zwischen ihnen erhöhte. Es war nicht der richtige Ort und auch nicht die richtige Zeit, um sich zu streiten, entschied sie. „Wie du sicher weißt, haben wir allerlei Werkzeuge und Gerätschaften dabei, die zum Aufbau von Häusern und der Verrichtung täglicher Arbeiten auf einem noch unerschlossenen Planeten benötigt werden. Wenn aber jemand meint, er müsse sich unbedingt eine einfache Waffe herstellen, um sich vor wilden Tieren zu schützen, dann kann er das tun. Allerdings werden wir nicht erlauben, dass jemand eine Waffenart entwickelt, die zu mehr als nur zu Selbstverteidigung gemacht ist.“

Yngvar sah endlich ein, dass er gegen die Argumente und den Willen einer hochrangigen Yden-Frau nicht ankommen konnte. Nichtsdestotrotz war er zutiefst frustriert, weil er sich im Stillen bereits als Befehlshaber einer gut gerüsteten Verteidigungsarmee gesehen hatte, was ihn endlich aus dem Schatten seiner Gefährtin gerückt hätte. Die Vorstellung, nicht nur seine Macht über das Feuer noch öfter demonstrieren zu können, sondern auch andere Yden seinem Willen zu unterwerfen, war zu schön gewesen. Dass sein Traum nicht wahr werden sollte, brachte ihn so auf, dass er Mühe hatte, sich zu beherrschen.

Safyra bemerkte nicht nur die Hitze, die plötzlich von ihm ausging. Sie fing auch seine Gemütsbewegung auf, weil seine mentale Barriere in diesem Moment nicht stark genug war. Daraufhin bedachte sie ihn mit einem nachdenklichen Blick. Da er sich aber gleich wieder im Griff hatte und nach außen hin vollkommen gelassen schien, glaubte sie, sie sei einer Sinnestäuschung erlegen. Daher wandte sie sich wieder Themen zu, die ihr momentan wichtiger schienen, als die Frage, warum sich Yngvar so merkwürdig verhielt.

*

Nach dem Ausscheren aus Swers Schweif waren alle in euphorischer Aufbruchsstimmung. Man freute sich darauf, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren und Luft zu atmen, die nicht durch die Aufbereitungsanlagen gepresst und mit deren spezifischem Geruch versehen worden war. Auch die Aussicht auf einen Becher mit quellfrischem Wasser versetzte manch einen in einen wahren Freudentaumel. Zudem versprachen die nächsten Stunden höchst aufregend zu werden, was die bisherige Eintönigkeit und die damit einhergehende endlose Langeweile vergessen machte.

„Wir sind zu schnell.“ Sodyan saß auf seinem Platz in der Steuereinheit seines Schiffes und ließ die Messinstrumente nicht aus den Augen, die vor ihm in einem Pult eingelassen waren. „Wenn das so weitergeht, werden wir unser Landemanöver kaum nach Plan ausführen können.“

„Können wir die Fluggeschwindigkeit nicht irgendwie drosseln?“, wollte Myrani wissen.

„Nicht wirklich“, erwiderte er. „Wir sind zwar nach dem Ausscheren wesentlich langsamer geworden, rasen aber immer noch viel zu schnell auf Aquitan zu. Und unsere Ondore-Tax scheinen nichts dagegen machen zu können.“ Er sprach so unbewegt, dass es schien, als ob ihn das alles gar nicht interessierte. Doch in seinem Inneren fraß die Angst an seiner Selbstbeherrschung. Allein die Gewissheit, dass er nicht nur für die Leute seines eigenen Schiffes, sondern auch für alle anderen ein Vorbild an Ruhe und Zuversicht sein mussten, wollte er nicht durch die unkontrollierte Aussendung telepathischer Angstgedanken eine kopflose Panik hervorrufen, veranlasste ihn, seine Befürchtungen im hintersten Winkel seines Bewusstseins zu halten.

„Und wenn wir alle unsere Kräfte vereinen?“, schlug sie vor. „Vielleicht hilft es, wenn wir ein paar von den Schlafenden wecken, damit sie uns unterstützen.“

„Die Leute sind ja jetzt schon viel zu aufgeregt, um sich so stark konzentrieren zu können, dass etwas Brauchbares herauskommt“, winkte er ab. „Wir würden es nur noch schlimmer machen, wenn wir zusätzliche Störfaktoren schaffen würden. Du weißt, man benötigt einige Zeit, bis man sich vom Kryoschlaf erholt hat und wieder klar denken kann.“

„Was gäbe ich jetzt dafür, wenn ich erfahren könnte, wie es bei den anderen aussieht“, seufzte sie, indem sie das einfache Kommunikationsgerät betrachtete, welches zwar blinkend seine Bereitschaft anzeigte, das aber keinen wirklich großen Nutzen besaß. Man hatte sich nicht allein auf die Telepathie verlassen wollen, denn einige Yden besaßen diese Gabe nur in sehr schwacher Form – so wie sie. Also waren Datenübermittler installiert worden, die nicht nur Botschaften von einem Raumschiff zum anderen transportierten, sondern auch aufzeichnen sollten, damit man sie bei Bedarf noch mal abhören konnte. Doch schon beim Eintritt in Swers Schweif war deutlich geworden, dass die Geräte, die auf Eotan einwandfrei und absolut zuverlässig funktioniert hatten, durch magnetische Felder und starke Raumstrahlung in ihrer Reichweite so stark beeinträchtigt wurden, dass man sie nur bedingt und nur innerhalb der jeweiligen Raumfähren gebrauchen konnte.

„Wayonis hat die gleichen Erkenntnisse gewonnen, wie ich“, berichtete Sodyan. „Er ist direkt hinter uns. Daher konnte ich ihn auf telepathischem Wege kontaktieren. Aber alle anderen sind momentan zu weit weg.“ Während er redete, drückte er schnell hintereinander auf ein paar rot blinkender Schalter, die daraufhin in einem dauerhaften Grün weiter leuchteten. Danach wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Überwachungsmonitor zu, auf dem Außentemperatur, Fluggeschwindigkeit und Sinkwinkel angezeigt wurden. „Das Einzige, was wir machen können, ist eine minimale Kurskorrektur“, kam er zum Hauptproblem zurück. „Allerdings würden wir dann nicht mehr auf dem vorausberechneten Platz landen, sondern einige hundert Kilometer davon entfernt. Schau doch mal nach, ob das geht, oder ob da nicht Wasser ist. Wäre übel, wenn wir das Festland verpassen und am Ende in einem Ozean versinken würden, von dem wir noch nicht einmal wissen, wie tief er eigentlich ist.“ Obwohl er auf Eotan bei jeder sich bietenden Gelegenheit schwimmen gegangen war, machte ihm jetzt die Vorstellung Angst, er könnte sich nach einer missglückten Landung inmitten einer Wasserwüste wiederfinden, nicht wissend, in welche Richtung er sich wenden sollte oder wie weit das rettende Ufer tatsächlich entfernt war. Zudem wusste niemand genau, welche Art von Geschöpfen sich in Aquitans Ozean tummelten, sodass es ihm kalt den Rücken hinab lief, bei der Vorstellung, er könnte womöglich als Futter für irgendein Meeresgeschöpf enden.

Myrani ahnte nichts von den Befürchtungen ihres Gefährten. Aber sie hegte die gleichen Ängste, während sie das Buch aufschlug, welches man gleich nach Byanes Vision angefertigt und durch die Berechnungen verschiedener Wissenschaftler vervollständigt hatte. Hoch konzentriert die Karte betrachtend, welche die vermeintliche Oberfläche des neuen Heimatplaneten zeigte, fand sie schließlich den neu ins Auge gefasste Landeplatz noch auf festem Boden, und atmete erleichtert auf.

„Laut deinen neuen Berechnungen ist der Landeplatz noch auf dem Land“, stellte sie fest. „Ich hoffe nur, dass die Zeichnung der Kartenmacher tatsächlich der Realität entsprechen.“ Wenn nicht, hatten sie ein Problem. Doch das sagte sie nicht laut. Stattdessen schloss sie das Kartenwerk und richtete dann ihren Blick auf die bruchsichere Glasscheibe, hinter welcher sich der Blaue Garten momentan wie eine Kugel aus schmutzigem Schnee zeigte. „Könnte dennoch knapp werden“, murmelte sie, während sie mit sorgenvollem Stirnrunzeln auf die dichte Wolkendecke blickte, die ganz Aquitan einhüllte. „Wir sollten die Ondore-Tax wirklich bitten, dass sie all ihre Kräfte dazu nutzen, die Schiffe langsamer zu machen.“

„Das tun sie bereits“, erwiderte Wayonis ernst. „Ich habe gerade die anderen Kapitäne gebeten, die neuen Koordinaten an die zuständigen Techniker weiterzugeben und ihre Ondore-Tax-Zirkel entsprechend zu informieren.“

Xeyo bemerkte das Rucken und Schütteln durchaus, welches mit der Kursänderung seines Schiffes einherging. Allerdings kümmerte er sich nicht weiter darum, wie sein Stellvertreter in der gläsernen Kuppel zurechtkam, bis ihm bewusstwurde, dass die Angst wie ein giftiger Nebel durch die Gänge kroch, um ein Crewmitglied nach dem anderen so zu lähmen, dass es kaum noch imstande war, seinen Aufgaben gerecht zu werden. Diese Wahrnehmung als Alarmzeichen nehmend, öffnete er sich auch für andere Sinneseindrücke und erfuhr auf diese Weise, wie es um die Schiffe und deren jeweilige Besatzung stand.

Im ersten Moment versucht, das alles zu ignorieren und einfach abzuwarten, was passieren würde, fing Xeyo im nächsten den verzweifelt-wütenden Vorwurf von Zabyna, der fünften von ihm erweckten Yden-Frau und Kapitänin des fünften Raumschiffes auf. Und da ihr Ärger, angesichts seiner angeblich nicht nachvollziehbaren Tatenlosigkeit verständlich war, rang er sich endlich zum Handeln durch. Sie waren nicht alle so verräterisch wie Vyane, oder so machthungrig wie Cecyle, ermahnte er sich. Auch wenn der Großteil der Yden von Selbstsucht geleitet wurde und somit höchst verachtenswert war, konnte er sie nicht einfach sich selbst überlassen. Selbstverständlich waren sie in der Lage, auch schlimmste Verletzungen zu überleben. Wenn jedoch das Thyranium wegschmolz und sie ungeschützt der Reibungshitze preisgab, die beim Eintritt in die Atmosphäre Aquitans entstand, würde wahrscheinlich nichts mehr von ihnen übrig bleiben, was sich regenerieren konnte. Nein, er durfte nicht einfach die Hände in den Schoß legen und zuschauen, ermahnte er sich. Er war schließlich kein Mörder!

„Warum erfahre ich erst jetzt, dass es Probleme gibt?“ Als wäre er direkt aus dem metallenen Boden gewachsen, stand der Dyonat groß und aufrecht vor Nyod, dem Sechsten von ihm persönlich erweckten Yden-Mann, und funkelte ihn ärgerlich an.

„Ich dachte … Ich …“ Nyod schluckte hart, bevor er neu ansetzte: „Es tut mir leid. Wir sind alle davon ausgegangen, dass du Bescheid weißt, und …“

„Ich bin weder allwissend noch hellsichtig“, unterbrach Xeyo ungnädig. „Also habe ich mich auf euch und eure technischen Kenntnisse … Ach was soll’s! Sag den Leuten, dass sie die Kryostase-Einheiten auf autonome Funktion umstellen und dann ihre Plätze in den Rettungskapseln einnehmen sollen. In einer Stunde werde ich die Evakuierung aller Schiffe einleiten.“

„Ist das vernünftig?“ Nyods Stimme zitterte kaum merklich. Er war mit Leib und Seele Botaniker und hatte nur wenig Interesse für technische Dinge. Aber nach Elykas Ermordung und Xeyos Rückzug war er gezwungen gewesen, die Aufsicht zu übernehmen und sich somit auch mit den Details des Schiffes auseinanderzusetzen. Daher wusste er nun genug, um erkennen zu können, dass die Befolgung des letzten Befehls ein großes Risiko darstellte. „Ich meine … Die Außenhüllen der Gleiter sind bei Weitem nicht so st …“

„Halt mir keine Vorträge, sondern tu, was ich dir gesagt hab“, herrschte der Dyonat sein Gegenüber an. „Los, geh schon! Es ist keine Zeit mehr zum Diskutieren!“

Während Nyod davoneilte, um den Befehl des Ersten Yden an die anderen weiterzugeben, versetzte sich Xeyo in eine hoch konzentrierte Trance. Er wusste, das Schmelzen der Schiffs-Außenhüllen konnte er nicht mehr aufhalten. Allerdings bestand eine reelle Chance, dass die Rettungskapseln unbeschadet blieben. Vorausgesetzt, sie kamen alle rechtzeitig aus den Seitenluken der Raumfähren, bevor sich die Tore durch die Hitze verzogen und blockierten.

Für den Bruchteil einer Sekunde bedauerte der Erste Yde, dass mit der Vernichtung der riesigen Transporter auch die in den Laderäumen deponierten Güter verloren gehen würden, die man mitgenommen hatte, um sich den Neustart ein wenig zu erleichtern. Allerdings wurde dieser Impuls genauso schnell wieder vergessen, wie er aufgetaucht war, denn seine Aufmerksamkeit galt nun voll und ganz dem Evakuierungs-Vorgang.

Gigantischen Feuerbällen gleich rasten die großen Raumschiffe in einem steilen Winkel durch Aquitans äußere Atmosphärenschicht und gaben dabei unzählige kleine Gleiter frei, die zwar noch nicht glühten, die aber der Fallrichtung ihres Mutterschiffes folgten, selbst nicht fähig, eine eigene Richtung einzuschlagen. Allerdings wurden sie nicht einfach sich selbst überlassen. Obwohl die Zirkel der Ondore-Tax durch Xeyos Eingreifen aufgelöst worden waren, standen sie immer noch in engen Kontakt miteinander, auch wenn sie mittlerweile in verschiedenen Rettungskapseln saßen. Mental so verbunden, wie auf den großen Raumschiffen, formten sie jetzt aus magnetischen Strömen Energienetze, in welchen sich die Rettungskapseln verfangen und dadurch abgebremst werden sollten. Sie wussten, dass ihre Erfolgsaussichten aufgrund der hohen Zahl an Objekten begrenzt waren. Daher stellten sie sich sowohl auf Knochenbrüche als auch andere Verletzungen während der Landung ein. Nichtsdestotrotz war ihr Herz mehr von Zuversicht als von Angst erfüllt, weil ihre Kräfte durch Xeyos Unterstützung stabilisiert wurden. Als sie schließlich realisierten, dass die Gleiter tatsächlich langsamer geworden waren und in einem gemäßigten Tempo zur Planetenoberfläche hinabsanken, atmeten alle auf.

Xeyo indes richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Raumschiffe, die mittlerweile nur noch aus hell gleißendem, flüssigem Metall bestanden. Eines nach dem anderen drängte er anhand seines Willens um ein paar Winkelgrade von der eingeschlagenen Flugbahn und brachte sie am Ende dazu, so lange durch die Atmosphäre Aquitans zu rasen, bis sie über das Festland hinweg waren, um sie dann in den Ozean stürzen zu lassen. Er wusste, durch ihre hohe Fallgeschwindigkeit wurde das Gewicht ihrer Masse um ein Vielfaches erhöht, und konnte zumindest hohe Wellen verursachen, wenn nicht gar eine Umweltkatastrophe auslösen, wenn sie den Meeresboden aufrissen und dadurch die Stabilität von Aquitans fester Hülle schwächten. Also hoffte er, dass das Wasser tatsächlich so tief war, wie man ihm versichert hatte, denn nur so wurde sichergestellt, dass die abstürzenden Thyranium-Brocken bloß hohe Dampf-Fontänen gen Himmel schickend würden, die, außer einem lange andauernden Regen, keine nennenswerte Folgen nach sich ziehen konnten.


Auf Aquitans Oberfläche hoben ein paar der größeren Tiere ihre Köpfe, um die herabfallenden Feuerkugeln erstaunt zu beäugen, die unterhalb der Wolkendecke zu silbrigen schimmernden Riesenvögeln wurden und in beträchtlicher Entfernung einer nach dem anderen langsam zu Boden sanken. Sie konnten Freund von Feind unterscheiden und entsprechend der jeweiligen Situation reagieren. Da aber das merkwürdige Phänomen weder mit übel riechendem Wind noch mit starken Erderschütterungen einherging, ordneten sie es nach einer Weile als ungefährlich ein. Also widmeten sie sich trotz Blitz und Donner ihren ursprünglichen Beschäftigungen, nicht ahnend, dass ihr Leben von diesem Tage an nie mehr so sein würde, wie zuvor.

Xeyos Tränen

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