Читать книгу Das grüne Auge - Katrine Marie Guldager - Страница 10

Kreuzungspunkte

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Damals, als Mr Parker mit seinem Stock auf den verdächtigen Fleck im Keller zeigte, der sich als Hausschwamm erwies, damals, als wir die gesamte Holztäfelung im darüber befindlichen Zimmer entfernen ließen, fanden wir Leonards Tagebücher. Und auch Leonards Tochter, Henrietta Darting, gehört zu denen, die – genauso wie Dorothy – anders waren.

Aber vielleicht haben Sie ja schon von Henrietta gehört, ja, womöglich sogar einige der Biographien gelesen, die in den letzten Jahren über sie erschienen sind. Ich selbst habe nur ein wenig in ihnen geblättert, denn wissen Sie was: Viele von ihnen sind erstunken und erlogen.

Wie oft hatte ich beim Schmökern in diesen Büchern nicht das Gefühl, der Autor porträtiere eine ganz andere Person als die Henrietta, die ich kenne. Wie oft habe ich mich nicht darüber gewundert, daß das Bild, das der Autor mit großem Geschick zeichnete, ebenso auf viele andere Menschen zutreffen könnte. Wer war Henrietta? Das ist natürlich die Frage, die zwischen den Zeilen stets mitschwingt, und im Grunde kommt es mir vor, als sei sie mit den Jahren immer schwerer zu beantworten.

In jedem Fall muß Henrietta zur letzten Generation von Entdeckungsreisenden gezählt werden. Sie wandelte sozusagen auf Livingstones Spuren, wenngleich man sie nicht mit den meisten seiner Nachfolger über einen Kamm scheren darf. Denn für diese war das Land, das wir heute Sambia nennen, nur eine Durchgangsstation, ein eilig zu durchquerendes Territorium auf dem Weg zum Tanganjikasee oder weiter ins Innere Afrikas. Für Henrietta war es das nicht. Für sie war das Land nördlich des Sambesi das eigentliche Ziel.

Während Henrietta Darting bei einer Expedition, die vom Ausstieg mehrerer Teilnehmer beeinträchtigt wurde, in der Kafue-Ebene Proben sammelt, wird ein anderer Teil von Sambia, Barotseland, von einem Missionar aufgesucht.

Rupert P. Stark, der spätere Commander of the British Empire – aufgrund dieser Tatsache ist er als Sir Rupert P. Stark in die Geschichte eingegangen –, erhielt die Genehmigung, in der Nähe von Lealui eine Schule sowie eine Missionsstation zu errichten. Während sein Haus aus frisch geschlagenen, intensiv duftenden Stämmen errichtet wird, muß Rupert P. Stark mit dem gnädigen Schutz eines Strohdachs vorliebnehmen. Die Vielzahl der Insekten und Säugetiere bereitet ihm Kopfzerbrechen, denn er ist in einer ziemlich verlassenen Gegend, zwanzig Kilometer östlich von Lealui, stationiert. Die Hitze ist unerträglich. Auf dem Kopf trägt er ein weißes Taschentuch mit einem Knoten an jedem der vier Ecken.

Für Rupert P. Stark, der vor den Herausforderungen seiner Mission nicht zurückweicht, wird die starke Sonne im ersten Jahr zur Ursache seines körperlichen Verfalls. Seine Haut wird zerstört. Große Eiterbeulen bedecken Gesicht und Hände, platzen auf, heilen jedoch nicht, ebensowenig wie die offenen Wunden, die sich seine Arme und Beine hinabziehen und sich wegen der Feuchtigkeit nicht schließen wollen. Manche Teile seines Körpers sind natürlich nicht der Sonne ausgesetzt, und will man sich den Anblick vorstellen, den die Afrikaner entlang der Wege und in kleinen Dörfern zu Gesicht bekommen, muß man sich eine zerfressene Landschaft denken, eine fleckige oder durchlöcherte Landkarte, die teils von der Glut verschmort, teils noch in der ursprünglichen Gestalt, die Gott ihr verliehen hat, erkennbar ist.

Als Henrietta das erstemal mit Stark zusammentrifft, ist sie skeptisch. Afrikas Binnenland zu kartieren und damit Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika zu ermöglichen war das eine – die Afrikaner zu missionieren etwas ganz anderes. Ihrer Meinung nach besteht für die Engländer weder ein Anlaß, Afrika zu zivilisieren, noch, sich in den Glauben seiner Bevölkerung einzumischen, und ihre Skepsis wächst, als immer mehr ausländische Bauunternehmer nach Sambia kommen.

Wäre sie Stark unter anderen Umständen begegnet, hätte sie ihm gewiß keine große Beachtung geschenkt. Doch sie lernt ihn eines späten Nachmittags, genauer gesagt: am 14. Dezember 1886, zirka um fünf Uhr, zwanzig Kilometer östlich von Lealui kennen. Die Regenzeit hat gerade erst angefangen.

Stark hat beträchtliche Probleme mit den Pavianen.

Die Paviane dieser Gegend führen sich auf, als seien sie die Herren seiner windigen Hütte, machen sich über seine Nahrungsmittel her, stehlen seine Kleider und verunreinigen sein Bett. Der Missionar hatte aus taktischen Gründen versucht, den Eindringlingen freundlich gegenüberzutreten, doch seine Geduld ist erschöpft. Henrietta ist Manns genug, den Pavianen ein Ende zu bereiten: Mit Hilfe eines Gewehrs, das sie in Kapstadt gekauft hatte, verwandelt sie die hübsche Unterkunft des Missionars in ein Schlachthaus. Für jeden Pavian, den sie tötet, kommen anfangs mehrere zurück, um ihr verlorenes Familienmitglied zu rächen. Einige Paviane begräbt sie nicht auf der Stelle; sie will, wie sie sich Stark gegenüber ausdrückt, die Kadaver zur Abschreckung rund um die Hütte liegenlassen. Schwarze Insektenteppiche schwirren über den toten Tieren. Ihr Gestank breitet sich aus, und eine ganze Zeitlang ist es unmöglich, sich draußen aufzuhalten, aber es wirkt. Schließlich halten sich die Paviane von der Hütte fern.

Nachdem Henrietta sechs Jahre lang bei Stark geblieben ist, sucht sie das Livingstone-Denkmal in den Bagweulusümpfen auf und schafft damit die Voraussetzung, daß sich in der Geschichte meiner Familie gewisse Kreuzungspunkte ergeben sollten: Die Strecke, die Henrietta mit dem Pferd zurücklegt, wird eine gute Generation später von meinem Schwiegervater, Francis Lipling, gekreuzt werden, der sich auf dem Weg zum Kupfergürtel befand. Mein Schwiegervater war einer der vielen ausländischen Geschäftsleute, die sich damals einen Überblick über die Kupfervorkommen in einer Gegend verschaffen wollten, die wir heute Sambia nennen – ein Vorhaben, das ihm ein beträchtliches Vermögen einbrachte, dessen Erbe Thomas antrat.

Einige werden vermuten, ich hätte Thomas geheiratet, um Pintons Zukunft zu sichern. Das ist nicht richtig. Ich habe Thomas aus dem Grund geheiratet, den man mit einem Wort als Liebe bezeichnet. Wir paßten zueinander.

Das grüne Auge

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