Читать книгу Das grüne Auge - Katrine Marie Guldager - Страница 7

I can’t hear you, Master

Оглавление

Ich war in den Ferien von Cambridge nach Hause gekommen, als meine Mutter und ich hier auf Pinton eine richtige Entdeckung machten, und daß wir sie überhaupt machten, lag an einem grünen Hausschwamm, der sich von einer Speisekammer aus in ein anderes Zimmer ausgebreitet hatte. Das war 1963; ich hatte gerade die Verlobung mit Vincent gelöst. Das hatte ich vielleicht vergessen zu erwähnen: Vincent und ich waren für kurze Zeit verlobt und die Verlobung war sehr hektisch gewesen. Das war, bevor ich Thomas kennenlernte.

Ich war also zu Besuch hier auf Pinton, als die Holztäfelung entfernt werden sollte, damit wir den Schaden begutachten konnten, den der Schwamm bereits angerichtet hatte. Mitten während der Arbeit meldete unser damaliges Dienstmädchen, ein Mr Parker wünsche vorgelassen zu werden. Mr Parkers Auto war unweit unserer Einfahrt liegengeblieben, und er mußte, ging mir durch den Kopf, schon starke Nerven haben, wenn er mit solch einer Lappalie hier vorstellig wurde. Doch Mr Parker erwies sich rasch als noble, ehrenwerte Persönlichkeit mit bemerkenswertem Konversationstalent. Er blieb drei Tage und erzählte uns eines Abends eine Geschichte, die ich nie vergessen werde.

Während des Abendessens hatten wir uns über Afrika unterhalten. Mr Parker hatte früher in Harare gelebt – lange bevor Harare Harare hieß – und in dieser Zeit die folgende Geschichte über einen Farmer namens Anthony Powell gehört, der einst in ein kleines, fernab in der Savanne gelegenes Dorf gezogen war.

Kurz nach seiner Ankunft in dem kleinen Dorf wurde Anthony Powell mit seiner Haushälterin bekannt gemacht, die zum Inventar gehörte. Sie war eine zierliche Frau. Wenn Anthony von der Arbeit nach Hause kam, hörte er sie singen oder Selbstgespräche führen. Doch wenn er sie bat, etwas leiser zu sein, damit er zum Beispiel im Schein der Petroleumlampe ungestört Briefe schreiben konnte, starrte sie ihn bloß verständnislos an und sagte:

»I can’t hear you, master.«

Anthony war ein tüchtiger Farmer, der Hand in Hand mit den Einheimischen arbeitete und mit dem Häuptling auf vertrautem Fuß stand. Eines Tages, nachdem er ein einträgliches Geschäft zum Abschluß gebracht hatte, kam er nach Hause und spürte, daß etwas nicht stimmte. Von seiner Haushälterin war weder etwas zu sehen noch zu hören. Während er seine Arbeitskleidung ablegte und sich eine Tasse Tee machte – er sah, daß er bald in die Stadt mußte, um neuen zu kaufen –, herrschte im Haus vollkommene Stille. Er setzte sich nach draußen auf die Veranda und nahm sich einen Brief vor, den er vor Wochen von einem Jugendfreund bekommen hatte. Der Horizont hatte begonnen, sich zusammenzuziehen. Er erwog, ein Bad zu nehmen. Auf der anderen Seite des Weges ahnte er die Silhouette seiner Haushälterin.

Mehrere Wochen später ereignete sich während des Pflügens ein Unglück. Einer von Anthonys mitgebrachten Ochsen riß sich während der Feldarbeit los, attackierte drei Männer, die versuchten, ihn einzufangen, bevor er brüllend und bebend zu Boden stürzte, daß es Anthony unter seinen Fußsohlen spürte. Daß sich in den nächsten Tagen bei den Eingeborenen die Auffassung durchsetzte, der Ochse sei verhext gewesen, war eine Tatsache, der Anthony hilflos gegenüberstand. Man verwies auf die rollenden Augen des Ochsen und die Farbe des Geifers, der ihm aus dem Maul gequollen war. Mehr und mehr Männer weigerten sich, für den weißen Mann zu arbeiten.

Anthony, der mit seiner Haushälterin bislang nur über die notwendigsten Dinge gesprochen hatte, war bekümmert, faßte sich eines Tages ein Herz und fragte sie, warum man glaube, der Ochse sei verhext gewesen.

»I can’t hear you, master«, antwortete sie, und Anthony dachte, er habe die Frage womöglich falsch formuliert.

Er versuchte es mit einer anderen Frage:

»Wer hat meinen Ochsen verhext?«

Als sie nicht sofort antwortete, wiederholte er seine Frage, diesmal eindringlicher, verzweifelter:

»Wer hat meinen Ochsen verhext?«

Die Haushälterin, die gerade einen Kochtopf scheuerte, trocknete ihre Hände an einem Geschirrtuch ab, drehte sich zu ihm um und sagte:

»I can’t hear you, master.«

Anthonys größtes Problem war zunächst, was er mit dem toten Ochsen anstellen sollte. Ihn zu begraben wäre übertrieben, verspeisen wollte er ihn nicht – vielleicht war er krank gewesen –, und einfach auf dem Feld liegen und verwesen lassen konnte er den Ochsen auch nicht. Er sah sich gezwungen, ihn zu entfernen.

Ein Ochsenkarren wurde bereitgestellt, und ein treu ergebener junger Mann war ihm bei der Arbeit behilflich, die sich als außerordentlich anstrengend erwies.

Der Ochse wurde in Stücke zerlegt, um ihn überhaupt auf den Karren hieven zu können. Auf der Ladefläche floß das Blut in kleinen Kanälen zwischen den Körperteilen, als hinge der Ochse immer noch zusammen, ganz gleich, wie sehr man ihn auch zerteilte. Es war mitten am Tag. Das ganze Dorf war auf einem Fest, so daß Anthony nicht damit rechnete, bei seinem zweifelhaften Vorhaben beobachtet zu werden. Er hatte eine unweit des Dorfes gelegene Schlucht ausgewählt, in die er den Ochsen werfen wollte.

Der Afrikaner saß bei den Ochsenteilen auf der Ladefläche, während Anthony den Karren die zwei notdürftigen Radspuren entlang zog. Der Karren schaukelte wie ein Schiff bei schwerer See.

Plötzlich verloren sie den Kopf des Ochsen.

Der Afrikaner war wie versteinert, er hatte Blickkontakt mit einem toten Auge, das leuchtete wie Glas. Es war Anthony, der den Kopf wieder aufheben mußte. Kurz darauf verloren sie ein Schulterstück. Die Ladefläche war immer stärker von Blut verschmiert, und der junge Mann warnte Anthony, man würde womöglich die Löwen und Hyänen anlocken, die sich stets in der Gegend aufhielten. Anthony ertappte sich bei dem Gedanken, der Ochse könne unter Umständen wirklich verhext gewesen sein.

Als Anthony den Wagen durch ein kleines Waldstück führte und durch etwas lenken wollte, das er für eine kleine Pfütze hielt, steckten die Räder plötzlich fest. Sie legten Zweige unter die Räder, um den Karren freizubekommen, aber ohne Erfolg. Anthony blieb nichts anderes übrig, als jedes Ochsenstück einzeln aus dem Wald herauszutragen.

Doch als er den Karren befreit hatte und den von Fliegen umschwirrten Ochsen wieder aufladen wollte, fiel eines der Räder ab, das sich im Schlamm offenbar verzogen hatte. Anthony mußte den Ochsen stückweise zur Schlucht tragen; der Afrikaner hielt Wache.

Als er von seiner vorletzten Tour zurückkehrte, ihm fehlte nur noch der Kopf des Ochsen, sah er, wie der junge Mann von einem Löwen angefallen wurde. Ohne zu zögern näherte sich Anthony dem Karren, auf dem, gleich neben dem Schädel des Ochsen, ein geladenes Gewehr lag. Doch bevor er es erreichte, hatte der Löwe seine Schulter gepackt, und wäre der Speer des Afrikaners nicht gewesen, hätte dies zweifellos Anthonys Tod bedeutet. Doch er überlebte und wurde, mit klaffenden Wunden am ganzen Körper, zu seinem Haus zurückgebracht, wo ihn seine Haushälterin sofort auf den Küchentisch legte und daran ging, ihn zu verbinden.

Anthony hatte wochenlang mit seinen Verbänden im Bett gelegen, als die junge Tochter seiner Haushälterin zu Besuch kam. Die Tochter übernahm seine Pflege, und er verliebte sich augenblicklich in sie. Es war nicht nur die Art, wie sie ihn anlächelte, sich bewegte oder sein Kissen aufschüttelte, – alles an dieser jungen Frau machte Anthony glücklich. Er war glücklich über seine Verletzungen, solange sie ihn pflegte, er wollte nie wieder gesund werden, dabei hatten sie kaum ein Wort gewechselt, denn wenn Anthony versuchte zu sprechen, brachen die Wunden wieder auf.

Es kamen drei Tage, an denen Anthony die junge Frau nicht zu Gesicht bekam und unerträgliche Schmerzen litt. Als die junge Frau an sein Bett trat, um Abschied zu nehmen, versuchte Anthony zu sprechen, doch seine Worte waren nichts als ein unverständliches Röcheln. Erst mehrere Tage später konnte er sich soweit verständlich machen, daß es ihm gelang, folgende Worte an die Haushälterin zu richten:

»Ich liebe sie, ich will …«

Die Schmerzen wurden zu stark. Daß die Haushälterin ihn verstand und wußte, wen er liebte, daran bestand kein Zweifel. Trotzdem rückte sie bloß ein wenig sein Kissen zurecht und entgegnete:

»I can’t hear you, master.«

Mr Parker hatte seine Erzählung kaum beendet, als ihm meine Mutter auch schon anbot, ein paar Tage bei uns zu bleiben, obgleich die Angelegenheit mit dem Hausschwamm und seinen Schäden wie gesagt unsere volle Aufmerksamkeit beanspruchte.

Es war tatsächlich Mr Parker, dem wir die Entdeckung zu verdanken hatten, die ich vorhin bereits erwähnte. Das, was meine Mutter und ich im Sommer 1963 entdeckten, waren Leonards Tagebücher. Meine Mutter machte mit Mr Parker nämlich einen Rundgang, der sie auch in einen kleinen Kellerraum führte, in dem Mr Parker einen verdächtigen Fleck entdeckte. Dieser stellte sich als der gefürchtete Schwamm heraus. Die gesamte Holztäfelung im Zimmer über dem Kellerraum wurde entfernt, und hinter ihr kamen Leonards Tagebücher zum Vorschein.

Leonard war exakt hundert Jahre bevor wir seine Tagebücher fanden, nach Pinton gekommen, nämlich 1863, zu der Zeit meines Urgroßvaters Reginald. Nach kurzer Verlobungszeit hatte er Reginalds jüngere Schwester Evelyn geheiratet. Leonard hat uns eine reizende Sammlung von Schmetterlingen hinterlassen, die er sorgsam auf Nadeln gespießt hatte. Er ist nicht lange hiergeblieben. Er reiste nach Kanada und ließ seine Kinder auf Pinton zurück.

Das grüne Auge

Подняться наверх