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Thomas kommt an

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Es war nur wenige Tage nach meinem Gespräch in der Bank, als mir – mit merkwürdiger Präzision – ein weiteres Unglück zustieß: Thomas kam an. Thomas kam an, weil ich so leichtsinnig gewesen war, ihn von meinen Plänen, auf die Bahamas zu reisen, telegrafisch in Kenntnis zu setzen. Hätte ich geahnt, daß er acht Tage später vor meiner Haustür im Kies stehen würde, hätte ich das Telegramm ganz gewiß nicht aufgegeben. Warum habe ich es überhaupt getan? Stellen Sie sich vor, ich fühlte mich dazu verpflichtet.

Doch der Gedanke, ihm irgend etwas schuldig zu sein, kommt mir zunehmend unsinnig vor. Thomas war kaum länger als ein paar Stunden bei mir, als er mit seinem eigentlichen Anliegen herausrückte: Er wollte Iris’ Urne mit nach Kanada nehmen! Was sagen Sie dazu?

Da ich auf die Bahamas reisen wolle, meinte er, gäbe es keinen Grund mehr, Iris hier – »unter Fremden«, wie er sich ausdrückte – liegenzulassen.

»Thomas«, entgegnete ich und führte ihn auf die Terrasse, um ihn aus dem Haus zu bekommen. »Man transportiert tote Menschen nicht hin und her.«

Er war braungebrannt. Er trug ein synthetisches Hemd.

Plötzlich fragte er mich, wie lange ich fortbleiben wolle. Ich wußte es nicht.

»Dann werde ich mich um Iris kümmern«, sagte er und krempelte die Ärmel hoch.

Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß wir über ihre Asche sprachen. Ich fand seine Handlungsweise nicht gerade angemessen. Mein ganzes Leben habe ich hier auf Pinton verbracht, und nur, weil ich eine Reise plante, sollte Iris partout mit nach Vancouver – Vancouver, Herrgott! Ich sagte zu ihm, das ließe sich nicht machen.

»Nach vier Jahren können wir sie auf keinen Fall hergeben«, sagte ich.

Thomas schaute mich forschend an.

»Ich mache das einfach nicht mit«, sagte ich. »Iris soll bei ihrer Familie liegen.«

»Deiner Familie …«

Er ließ seinen Blick über die Rasenfläche schweifen. Sein synthetisches Hemd war vollkommen durchsichtig.

»Ich glaube, Iris ist lieber, wenn ich auf sie aufpasse«, fuhr er fort. »Sie will sicher nicht hier alleine liegen.«

»Glaubst du etwa, sie möchte nach Vancouver?«

»Ja, ich kann mir gut vorstellen, daß es ihr dort gefallen würde. Das Wetter ist gar nicht so übel

»Es regnet ständig!«

Vincent unterbrach uns und war ziemlich überrascht, Thomas zu begegnen.

»Wo regnet es ständig?« fragte er vorsichtig.

»In Vancouver«, sagte ich, während ich einen Riß in den Fußbodenfliesen betrachtete.

»In Vancouver regnet es nicht mehr als an anderen Orten auch.«

Thomas sah mich an, als könne mich ein einziger Blick zum Schweigen bringen.

Diese Diskussionen haben Thomas und ich geführt, seit Iris klein war. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, daß Thomas sich einst weigerte, mich nach London zu begleiten, weil ich an meiner Absicht festhielt, Iris zur Reitstunde zu schicken.

Iris hatte gerade laufen gelernt, und wer laufen kann, der kann auch reiten – das war schon immer die Auffassung meiner Familie gewesen. Aber Thomas wollte sein kleines Mädchen nicht reiten sehen. Er war der Ansicht, Iris könne die enormen Kräfte eines Pferdes nicht kontrollieren, aber wer kann das schon? Ein Pferd, das man völlig unter Kontrolle hat, ist kein Pferd, sondern etwas anderes. Und da ja kein Zweifel bestand, daß Iris reiten würde, warum wollte er seine Tochter dann die Kräfte eines Pferdes nicht so früh wie möglich kennenlernen lassen? Warum wollte er sie nicht mit diesen edlen Tieren vertraut machen, die sie ohnehin lieben lernen würde?

Wir erörterten diese Frage auf dem gesamten Hinweg nach London, und als wir aus dem Auto stiegen, sagte Thomas, ich müsse einräumen, daß Iris zu klein sei, sonst würde er mich nicht begleiten. Ich weigerte mich natürlich, irgend etwas einzuräumen, und da ich zu diesem Zeitpunkt keinen Führerschein besaß, versicherte ich ihm, mit dem Zug zurückzufahren, wenn ich mein Vorhaben erledigt hätte.

Aber wir hatten ja schließlich dasselbe vor, also blieben wir zusammen.

Und natürlich regnet es in Vancouver mehr als zum Beispiel hier. Ich zog Thomas damit auf, er brauche schon eine wasserdichte Urne, wenn er verhindern wolle, daß unser kleines Mädchen im Grundwasser verschwände, auch wenn das eigentlich nicht besonders komisch war.

Das grüne Auge

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