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Pferdegeschäfte

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Die Schulden bei meiner Bank zwangen mich dazu, meine Pferde zu verkaufen. Doch wie in aller Welt sollte ich mich nur von meinen Pferden trennen? Meine Pferde! Ich zweifelte an der Durchführbarkeit. Pferde sind schließlich kein Besitz wie jeder andere; Pferdebesitzer zu sein ist etwas, das man im Blut hat, eine Form der Existenz. Man lebt durch seine Pferde. Wenn ich reite, bilde ich mit dem Pferd, sofern es die erforderliche Qualität besitzt, eine Einheit. Das Pferd ist eine Fortsetzung von mir, ich bin eine Fortsetzung des Pferdes, und die Kommunikation zwischen uns geschieht intuitiv.

Sollten Sie selbst keine Pferde besitzen, werden Sie erstaunt sein, wie subtil das Signalsystem ist, das sich zwischen Pferd und Reiter herausbildet. Schon einem Fohlen gegenüber muß man äußerst aufmerksam sein. Denn wenn ein Pferd von Anfang an die falschen Signale empfängt, ist es unglaublich schwer, dies später wieder auszubügeln. Doch was sind richtige und was falsche Signale? Gerade diese Fragen werden in meiner Branche ausgiebig diskutiert. Die Meinungen gehen oft auseinander. Ich, zum Beispiel, gehöre zu denen, die es rundheraus ablehnen, einem Pferd gegenüber die Stimme zu erheben. Ich gehöre zu denen, die einen Reiter, der sein Pferd anschreit, sofort von der Bahn weisen würden.

Das Signalsystem, das sich zwischen Pferd und Reiter entwickelt, ist nicht nur äußerst differenziert, sondern auch von größter Zartheit. Wenn man zu laut wird, ängstigt man nicht nur das Tier, sondern zerstört auch das Signalsystem, das man so sorgsam aufgebaut hat. Als ich selbst Reitschüler unterrichtete, war ich oft versucht, ihnen beim Reiten den Mund zuzukleben, denn wenn man einem Pferd etwas mitteilen möchte, dann tut man es mit der Bein- und Oberschenkelmuskulatur sowie mit den Händen, und es ist entscheidend, wohin man sein Gewicht verlagert.

Dasselbe gilt für den Gebrauch der Gerte. Wie oft sieht man nicht Anfänger, die sich durch die gesamte Reitstunde peitschen, und selbst erfahrene Reiter greifen mitunter zu dieser Form der Kommunikation, die eigentlich das Ende jeder Kommunikation bedeutet. Ich reite selbst mit Gerte, so ist das nicht gemeint. Doch wenn man nicht bereit ist, mit einem Pferd zusammenzuarbeiten, wenn man nicht bereit ist, sich auf sein individuelles Temperament einzustellen, dann sollte man lieber gar nicht reiten. Dies sagte ich einmal zu einer Schülerin, die ich auf der kleinen Reitbahn hinter den Stallungen unterrichtete. Es war eine ihrer ersten Stunden bei mir, doch sie war schon früher geritten. Als das Pferd – ich erinnere mich nicht, welches – vor einem Hindernis scheute, begann sie mit der Gerte auf das Tier einzudreschen, als sei dies das Natürlichste auf der Welt.

»Weißt du was«, sagte ich zu dem Mädchen, »wenn du nicht mit dem Pferd springen willst, dann solltest du ohne es springen. Ich möchte, daß du jetzt absitzt, und dann will ich sehen, wie du über das Hindernis kommst.«

Sie sah natürlich ziemlich gereizt aus, denn der Gebrauch der Gerte ist stark verbreitet. Ich nahm sie ihr ab und fragte, ob ihr noch nie in den Sinn gekommen sei, daß ein Pferd springe, weil es Lust dazu habe. Sonst würde es nicht springen.

Doch über alle diese Dinge sagte ich Vincent kein Wort, als ich ihm erklärte, wie schwer es mir fiele, mich von meinen Pferden zu trennen. Wir saßen auf einer Gartenbank wie zwei Reisende in einem Zug. Es war der Morgen nach Thomas’ Ankunft.

Thomas war erst vor wenigen Minuten aufgestanden, als er die Sprache schon wieder auf Iris brachte. Er sprach von ihr, als ob sie noch lebte, und folgte mir in die Küche.

»Iris hätte nichts dagegen, nach Kanada gebracht zu werden.«

Ich hob den Deckel des Kochtopfs.

»Thomas«, sagte ich, während ich den Rest der Fischsuppe des vorigen Abends umrührte, »Iris wird nicht mit dir nach Kanada reisen. Sie fährt nicht in die Sommerferien. Sie ist tot.«

»Niemand stirbt wirklich«, sagte er darauf. »Es gibt keinen einzigen Menschen, der stirbt

Ich starrte in den Kochtopf, als wäre die Suppe reines Gift.

»Ich kann es nicht anders erklären«, fügte er hinzu. »Iris soll nicht alleine bleiben. Es wäre nicht richtig.«

Ich legte den Deckel wieder auf den Topf.

»Es dauert doch nicht lange, Thomas, außerdem liegt sie mit meiner gesamten Familie zusammen. Sie ist nicht allein.«

Ich dachte an die Asche. Wir haben sie nie gesehen, doch ich stelle sie mir weiß vor. Weiß und gleichzeitig flekkig. Ich habe nie einen Gedanken daran verschwendet, wie es eigentlich vor sich geht: Fegen sie die Asche einfach zusammen, und bekommen sie auch alles mit? Oder enthält die Asche, die einem später übergeben wird, Bestandteile der toten Verwandten anderer Leute?

Ich schaute zu Thomas hinüber, der sich hingesetzt hatte, und mußte plötzlich lächeln.

Die kleine Narbe über dem rechten Auge war sonnenverbrannt.

Das grüne Auge

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