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Medina, die »Stadt des Propheten«
ОглавлениеYatrib, zwanziger Jahre des 7. Jahrhunderts. Nach dem Verlauf der weiteren Ereignisse zu urteilen, hatte Mohammed seine Übersiedlung in die Stadt, die im Arabischen künftig Madinat an-nabiy, »Stadt des Propheten«, oder kurz Medina heißen sollte, gut geplant. Die einheimische Bevölkerung unterschied sich in ihrer Zusammensetzung von der in Mekka. Die größte Gruppe bildeten die untereinander zerstrittenen Stämme der Aus und der Chasradsch mit ihren verschiedenen Sippen. Hinzu kamen mehrere jüdische Stammesverbände. Daneben hatte sich bereits die medinensische Anhängerschaft des Propheten formiert, die in der islamischen Geschichtsschreibung den bezeichnenden Namen »die Helfer« erhielt. Ergänzt wurde dieser bedeutende Kern nun durch die Gefolgsleute Mohammeds, die mit ihm aus Mekka übergesiedelt waren. Schon bald war die Position des Propheten offenbar so stark, dass er der Einwohnerschaft seine Ordnungsvorstellung diktieren konnte. Diese spiegelt sich bis heute im sogenannten »Vertrag von Medina« wider, der sich in der Prophetenbiografie des Ibn Ishaq findet. Während der Text selbst heute allgemein als authentisch angesehen wird, gibt es bei der Datierung unterschiedliche Auffassungen. Fest steht, dass der Vertrag von Medina eine erste Grundlage für die weitere Begegnung der Muslime mit unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen während der Ausbreitung des neuen Glaubens bildete. Mohammed wollte alle Einwohner Medinas ungeachtet religiöser Unterschiede mit den Muslimen zu einer Gemeinschaft vereinen. Innerhalb dieser sogenannten umma sollten die Juden ihre Religion beibehalten dürfen sowie die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Muslime. Man geht heute davon aus, dass solche Verträge zwischen Muslimen und der zahlenmäßig bedeutsamen jüdischen Bevölkerung auf der Arabischen Halbinsel in der frühen Phase der islamischen Expansion üblich waren. Im Detail rekonstruierbar sind sie allerdings nicht.
Kennzeichnend für das frühe Wirken Mohammeds in Medina ist die Anerkennung und teilweise Übernahme jüdischer Bräuche. Das bezieht sich auf bestimmte Fastenvorschriften ebenso wie auf die Wahl der Gebetsrichtung gen Jerusalem. Diese könnte allerdings auch von den östlichen Christen übernommen sein, die sich beim Gebet ebenfalls nach Jerusalem wandten. In der islamischen Geschichtsschreibung ist die Frage nach der Bedeutung Jerusalems für den Islam Gegenstand von Kontroversen. Die Verbindung Mohammeds zu Jerusalem stützt sich im Wesentlichen auf die 17. Sure des Korans. Die »ferne Kultstätte«, die der Prophet bei seiner nächtlichen Reise aufsucht, wird erstmals am Ende des 7. Jahrhunderts in Auslegungen des Korans mit Jerusalem identifiziert. Zeitlich fällt das in etwa mit dem Baubeginn des Felsendoms auf dem Tempelberg durch den Omaijadenkalifen Abd al-Malik ibn Marwan (685–705) zusammen. Obwohl zahlreiche Koranzitate die prachtvolle Moschee mit ihrer vergoldeten Kuppel zieren, fehlt Sure 17. In der benachbarten Al-Aqsa-Moschee finden sich die betreffenden Verse erst in einer Bauinschrift aus dem 11. Jahrhundert, dem Zeitalter der Kreuzzüge. Die spätere muslimische Geschichtsschreibung hat zwei Traditionen, die Himmelfahrt des Propheten und die Nachtreise, zusammengeführt. Beide Ereignisse werden gemeinhin auf die Zeit kurz vor der Übersiedlung des Propheten nach Yatrib datiert.
Dem anfangs pragmatischen Interesse Mohammeds an vertraglichen Regelungen zwischen der wachsenden Zahl der Gläubigen und den Juden stand seine unversöhnliche Haltung zu den Polytheisten, seinen Widersachern in Mekka, gegenüber. Mit diesen durften ausdrücklich keine Verträge geschlossen werden. Noch war die Anhängerschaft Mohammeds nicht stark genug, um sich mit den mächtigen Quraisch messen zu können. Mit der wachsenden Zahl von Einwanderern jedoch, die sich zum Kampf an der Seite des Propheten verpflichteten, stiegen die Chancen auf eine siegreiche Auseinandersetzung mit den alten Feinden in Mekka. Dabei verfolgte Mohammed zunächst eine Taktik der Nadelstiche: Seine Getreuen überfielen die Karawanen der Quraisch und unternahmen kleinere Beutezüge. Im Jahre 624 kam es erstmals zu einer größeren Konfrontation: Bei Badr gerieten die Muslime bei dem Versuch, eine aus Syrien heimkehrende, reich beladene Karawane zu überfallen, in einen mekkanischen Hinterhalt. Mit der Unterstützung ihrer medinensischen Glaubensgenossen gelang es, den militärisch überlegenen Gegner zu bezwingen. Der Sieg stärkte Mohammeds Machtposition. Von nun an änderte er seine Politik gegenüber allen, die sich nicht zu ihm bekannten und seine Lehren nicht annahmen.
Das bekam zunächst der jüdische Stamm der Banu Qaynuqa zu spüren, der von den Muslimen aus der Stadt vertrieben wurde. Die Überlebenden siedelten sich in Syrien an. Die übrigen jüdischen Stämme teilten das Schicksal ihrer Glaubensgenossen, nachdem sie sich den Muslimen nicht unterwerfen oder den Islam annehmen wollten. Sie zählten zu den ersten Opfern der aggressiven muslimischen Expansionspolitik. Die Hintergründe dieses Vorgehens gegen die jüdische Einwohnerschaft in der Stadt und ihrem Umland werden in der Wissenschaft unterschiedlich interpretiert. Häufig wird angeführt, dass die demographisch bedeutenden jüdischen Stämme im Inneren eine Gefahr für den Zusammenhalt der noch jungen Glaubensgemeinschaft darstellten. Darüber hinaus verfügten sie über nicht zu unterschätzende militärische Stärke, die sich jederzeit gegen die Muslime richten konnte – zumal dann, wenn sich die Juden als unsichere Bundesgenossen erweisen und an der Seite der mekkanischen Feinde in den bevorstehenden Krieg eingreifen würden, wie die islamische Geschichtsschreibung im Falle der Banu Quraiza mehrfach betont. Der Wandel von Mohammeds Haltung gegenüber den Juden fand seinen Niederschlag auch in der religiösen Praxis. Von nun an wandten sich die Muslime beim Gebet nicht mehr gen Jerusalem, sondern in Richtung Mekka. Nachdem durch die Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Stämme Medinas die Fronten geklärt waren, konnte der Prophet endlich sein lang gehegtes Ziel verfolgen: die Eroberung Mekkas.