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3. Wenn Knochen sprechen … Krankheit, Tod und archäologische Befunde

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Archäologie

Im Rahmen archäologischer Grabungen geborgene Skelette bieten stets eine unentbehrliche Ergänzung für alle Untersuchungen zu Krankheits- und Todesursachen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Besondere Bedeutung für medizinhistorische Studien im Allgemeinen und für seuchengeschichtliche im Besonderen kommt den so genannten osteoarchäologischen Befunden zu, die sich mit dem Knochenmaterial befassen. Die Knochen erzählen dabei eine Geschichte, wie sie in solcher Exaktheit im Spiegel der Schriftzeugnisse niemals zutage tritt. Dies liegt vor allem daran, dass in den zeittypischen Quellen fast nur die Mächtigen zu Wort kommen, der Großteil der mittelalterlichen Bevölkerung jedoch nie ein Sprachrohr findet. Die Skelette erlauben mithin eine bedeutende Vervollständigung des Gesamtbildes gesundheitlicher Verhältnisse einer vergangenen Zeit.

Paläopathologie

So liefert das Skelettmaterial neben allgemeinen Informationen zu Alter und Geschlecht vor allem reichhaltige Hinweise auf die individuellen Lebensumstände und gesundheitlichen Belastungen. Die Untersuchung von rund 160 Skeletten eines karolingischen Gräberfelds in Soest beispielsweise lassen ein gehäuftes Auftreten von Entzündungen des Zahnhalteapparates mit Verlusten von Zähnen schon zu Lebzeiten, so genannten Intravitalverlusten, erkennen. Verursacht wurden diese vor allem durch das recht grob gemahlene Getreide. Der schützende Zahnschmelz wurde dadurch schnell angegriffen. Die besonders stark beanspruchten Malzähne, die Molaren, weisen einen deutlich höheren Abrieb auf, als dies gemeinhin heute üblich ist. Schritt dieser zu weit voran, kam es zur schmerzhaften Entzündung der Zahnwurzel, die mit dem Verlust des Zahns endete. An den Zähnen der karolingischen Skelette lässt sich jedoch weit weniger Karies feststellen als an denen heutiger Zeitgenossen. Da man hierzulande noch keinen Rohrzucker kannte, griff man zum Süßen der Speisen auf Honig zurück. Dieser jedoch stand keinesfalls täglich und für jeden auf dem mittelalterlichen Speiseplan.

Zugleich lassen sich etwa an Skeletten von hochmittelalterlichen dänischen Klösterfriedhöfen deutlich Spuren von Wundbehandlungen erkennen. Gebrochene Extremitäten heilten durch die Behandlungen von Mönchsärzten aus und selbst schwer wiegende Schädelverletzungen konnten den paläopathologischen Befunden zufolge erfolgreich kuriert werden.

Grabungen auf den Friedhöfen von Leprosorien tragen dazu bei, nähere Erkenntnisse über die Insassenstruktur der Häuser, die pathologischen Zustände der Bestatteten sowie eventuell über besondere Formen der Sepulkralkultur und die Nutzung des Begräbnisplatzes zu gewinnen. Im Gegensatz zur Pest und zu anderen rasch tötenden Infektionskrankheiten, die sich am Skelett nicht nachweisen lassen, hinterlässt die Lepra in einem fortgeschritteneren Krankheitsstadium deutliche Spuren. Die Auswertung des osteoarchäologischen Materials liefert vielfältige Aussagen darüber, bei wie vielen Individuen sich charakteristische Veränderungen nachweisen lassen – so das nach seinem Entdecker benannte Møller-Christensen-Syndrom. Sie gewährt ferner unter einigen Vorbehalten – z. B. kann sich ein Mensch erst nach seinem Eintritt ins Leprosenhaus mit der Lepra infiziert haben – beschränkte Einblicke in die Zuverlässigkeit mittelalterlicher Diagnosen und zeitspezifischer Krankheitswahrnehmungen. Im Bereich der Bundesrepublik sind solche einschlägigen osteoarchäologischen Untersuchungen im Allgemeinen und von Leprosenfriedhöfen im Besonderen bislang eher selten. Systematisch ausgewertet wurden bisher beispielsweise die rund 450 Skelette, die auf dem Friedhof des Aachener Melatenhauses in mehreren Grabungskampagnen geborgen wurden.

Krankheit und Heilkunde im Mittelalter

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