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3. Einfluss und Assimilation der orientalischen Medizin im mittelalterlichen Westen

a) Der Mythos von der „arabischen Medizin“

Orientalische Medizin

Zeitgleich mit der Neuentdeckung Aristoteles’ im Abendland während des 12. Jahrhunderts begann sich auch der Kreis der medizinischen Bildungsinhalte zu schließen. Bis zum Ende des Jahrhunderts flossen durch Übersetzungen, vor allem ins Lateinische, all jene griechisch-arabischsprachigen Medizinalschriften in den Westen, die künftig zu den elementaren Bestandteilen heilkundlicher Ausbildung zählen sollten. Bevor die wesentlichen Grundzüge dieses Heilwissens skizziert und einige seiner herausragendsten Vertreter näher betrachtet werden, gilt es zunächst einen Mythos zu zerstören: Eine „arabische Medizin“, von deren Rezeption im hochmittelalterlichen Westen in vielen Geschichtswerken noch immer die Rede ist, hat es im strengen Wortsinn nie gegeben, wie Jean-Charles Sournia zuletzt 1999 im Rahmen der mehrbändigen, von Richard Toellner herausgegebenen Illustrierten Geschichte der Medizin zu Recht betont hat. Auch der von einigen Wissenschaftlern vorgeschlagene Begriff der „islamischen Medizin“ wird der Sache kaum umfassend gerecht. Die überwiegende Zahl der Heilkundigen, deren medizinische Schriften während des hohen Mittelalters in das Abendland gelangten und die den Kern orientalischer Medizin bildeten, waren keine Araber und nicht wenige von ihnen nicht einmal Muslime. Vor allem Perser, Juden, orthodoxe Griechen, syrische Christen, Berber und Tadschiken bewahrten im Orient das Erbe der griechisch-römischen Heilkunde und entwickelten diese weiter. Doch auch die wissenschaftliche Literatur in griechischer Sprache fand ihren Weg keineswegs immer direkt ins Arabische. Vielmehr diente das Altsyrische, das von den orientalischen Völkerschaften des Frühmittelalters vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf sowie von Südpalästina bis zum iranischen Hochland verstanden wurde und das im 7. Jahrhundert die höchste Blüte erlebte, wahrscheinlich als erste Sprache für eine Übersetzung der klassischen Wissenschaftsliteratur. Erst im 9. Jahrhundert setzte eine umfassende und intensive Übersetzertätigkeit wissenschaftlicher Texte ins Arabische ein, die im 10. Jahrhundert unvermindert andauerte. Zu dieser Zeit hatte sich das Arabische innerhalb des islamischen Herrschaftsbereichs längst zur Kultur- und Verkehrssprache entwickelt, in der ganz selbstverständlich jüdische und christlich-orientalische Ärzte wie auch solche nicht arabischer islamisierter Völker ihre Schriften abfassten. Das während des Hochmittelalters in den Westen gelangte Heilwissen ist in diesem Sinne als arabischsprachige oder orientalische Medizin zu bezeichnen.

b) Die Impulse der arabischsprachigen Medizin und ihr Weg ins Abendland

Constantinus Africanus

Ein weiteres Mal taten sich die Klöster, nunmehr flankiert von der im Geiste der Klostermedizin erschaffenen Schule von Salerno, seit dem 11. Jahrhundert als Zentren medizinischer Wissensvermittlung hervor. Untrennbar mit dem Beginn der regen Übersetzertätigkeit arabischsprachiger Medizinalschriften verbunden ist der Name Constantinus Africanus. Zwischen 1010 und 1015 unter unbekanntem Namen im nordafrikanischen Karthago geboren, erwarb er als Kräuterhändler auf seinen weiten Reisen reichhaltiges Wissen über die Heilmittel des Orients. In den 1070er-Jahren zwang ihn der Vorwurf der Zauberei zur Flucht aus seiner Heimat nach Süditalien. Dort gelangte er an die Medizinschule von Salerno, wo er sich jedoch nicht lange aufhielt. Nachdem er sich, wohl zum Christentum konvertiert, zunächst in das Kloster der heiligen Agathe von Aversa zurückgezogen hatte, führte ihn sein Weg schon bald nach Montecassino. Abt Desiderius, der spätere Papst Viktor III., nahm Constantinus dort wahrscheinlich als Laienbruder auf. In der Folgezeit unternahm er eine mehrjährige Reise, um medizinische Schriften für die salertanische Schule zusammenzutragen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1087 in Montecassino übersetzte er alle ihm wichtig erscheinenden arabischsprachigen Werke ins Lateinische. Seine Rolle als Wegbereiter arabisch-medizinischer Übersetzungen hat ihm bisweilen gar den Titel eines „Lehrmeisters des medizinischen Abendlandes“ eingetragen.

Als bedeutendster hochmittelalterlicher Übersetzer medizinischer Schriften arabischer und antiker Verfasser neben Constantinus Africanus wirkte der um 1114 geborene Gerhard von Cremona. Er übertrug unter dem Titel Canon medicine die bedeutende Lehrschrift des Ibn Sīnā (Avicenna) ebenso ins Lateinische wie die des Ar-Rāzī (Rhazes) und Galen. Jahrhundertelang bestimmten diese Werke von nun an den universitären Unterricht.

Pocken, Masern, Fieberlehre

Die Erweiterung des medizinischen Erkenntnishorizonts durch die Übersetzung der orientalischen Werke war beträchtlich. Die Schriften des um 850 im ägyptischen Kairo geborenen jüdischen Arztes Isaak Judaeus, die zu den ersten von Constantinus Africanus übersetzten Werken zählten, widmen sich der Fieberlehre und der Urindiagnose.

E

Rhazes. Abū Bakr Muḥammad ibn Zakarīyā, gen. ar-Rāzī (865 – 925) wurde in Raiy in der persischen Provinz Hurāsān geboren und entfaltete nach einem Studium der Musik, Chemie und Medizin eine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Als sein Hauptwerk gilt die so genannte Zusammenfassung der Medizin, das zahlreiche Verweise auf die antiken griechischen und frühere arabischsprachige Autoren enthält. Die größte Verbreitung erlangten daneben das neunte Buch seines Liber Almansorem sowie sein Traktat über die Pocken und Masern. Ar-Rāzī diente auch als Arzt an den Höfen zahlreicher Herrscher und leitete das Hospital seiner Geburtsstadt Raiy.

Das Buch des nestorianischen Christen Ḥunain ibn Isḥāq (808 – 873), der als Arzt am Hof des Kalifen wirkte, wurde als Einführung in die Medizin zu einem der herausragendsten und beliebtesten Unterrichts- und Prüfungswerke mittelalterlicher Universitäten. Besonders hervor tat sich Ḥunain ferner durch seine große augenheilkundliche Abhandlung. Das Hauptwerk des um die Mitte des 10. Jahrhunderts wirkenden ʿAlī ibn al- Abbās al-Mağūsī, in der lateinischen Scholastik unter dem Titel Liber regius bekannt, wurde von Constantinus Africanuns unter dem Namen Liber pantegni der Schule von Salerno zugänglich gemacht. In Anlehnung an die Lehren antiker Autoren enthält es nicht nur Anweisungen zur Gesundheitspflege und Heilkunde, sondern auch Berichte über die medizinische Ausbildung in Hospitälern des Orients. Der lange Zeit als das grundlegendste Werk arabischsprachiger Heilkunde angesehene Liber pantegni wurde nach Gerhard von Cremonas Übersetzung von Ibn Sīnās monumentaler Schrift nach und nach durch diese abgelöst. Der universal gebildete Perser galt während des gesamten Mittelalters als der exponierteste Vertreter der arabischsprachigen Medizin, dessen Schriften die größte Wirkung in der abendländischen Ärzteschaft entfalteten.

E

Avicenna. Abū ʿAlī al-Ḥusain ibn ʿAbd Allāh ibn Sīnā al Qānūnī (980 – 1037) wurde in der persischen Stadt Afšana geboren. Er genoss eine umfassende Ausbildung in Grammatik, Physik, islamischem Recht und Philosophie. Schon als Siebzehnjähriger wurde er vom Sultan zu medizinischen Konsultationen hinzugezogen. Als Arzt, Astronom und politischer Ratgeber wirkte er an zahlreichen Höfen. In Isfahān ließ er sich schließlich dauerhaft nieder. 1037 starb er auf einem Feldzug. Sein von mittelalterlichen Autoren vielfach rezipiertes und kommentiertes Hauptwerk unter dem Titel Al-qānūn fi-ṭ-ṭibb, Die Regel der Heilkunde, trug ihm die Bezeichnung eines „Fürsten unter den Ärzten“ (princeps medicorum) ein.

Chirurgie

Bahnbrechend für die Entwicklung der abendländischen Chirurgie wirkte schließlich das Werk des um 1010 verstorbenen Abūʿl-Qāsim Halāf ibn al-ʿAbbās az-Zaḥrāwī (Abulkasis), der als Leibarzt zweier Kalifen im spanischen Cordoba gedient hatte. Von besonderem Interesse waren dabei neben den Anweisungen zur Durchführung der Eingriffe vor allem die detaillierten Beschreibungen und Darstellungen der chirurgischen Instrumente. In allen Teilgebieten der Medizin, so zeigen die ausgewählten herausragenden Beispiele deutlich, erfuhr die mittelalterliche Heilkunde im Abendland durch die Übersetzung der orientalischen Traktate die Vervollkommnung ihrer Grundlagen.

Krankheit und Heilkunde im Mittelalter

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