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Martin Buber: Leben als Begegnung
ОглавлениеMartin Buber (1878–1965), ein aus Wien gebürtiger jüdischer Schriftsteller, unterrichtete in Deutschland, bis er von den Nationalsozialisten 1933 von seinem Universitäts-Lehrstuhl entfernt wurde. 1923, also sechs Jahre, nachdem Ottos Das Heilige veröffentlicht wurde, schrieb er ein kleines poetisches Buch mit dem Titel Ich und Du.
Buber beginnt mit den Worten: „Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann.“ Diese Grundworte, diese ersten Worte sind „Ich – Es“ und „Ich – Du“.
Wenn wir die Haltung des „Ich – Es“ auf unsere Welt übertragen, dann halten wir uns selbst dort heraus, so wie Menschen, die die Welt inspizieren und gebrauchen. Wir teilen sie in einzelne Gebiete von Objekten, die unserer Ansicht offen zutage liegen, auch unserer Benutzung; und unsere Beziehung dazu ist wesentlich leidenschaftslos und unengagiert – außer für bestimmte Zwecke, die wir zeitweilig verfolgen mögen.
Aber „das Grundwort Ich – Du kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden“, und „wo aber Du gesprochen wird, ist kein Etwas. Du grenzt nicht.“ Indem man dieses Wort spricht und diese Haltung einnimmt, steht der Sprechende „in der Beziehung“. Es liegt das totale Engagement der ganzen Person vor. Tatsächlich wird man nur zur ganzen Person, wenn man das Wort „Du“ ausspricht: „Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du.“
Dieses Wort auszusprechen heißt, in eine Beziehung einzutreten, eine Beziehung, in der wir angesprochen sind und in der wir hören und antworten, mit dem ganzen Sein. Diese Beziehung ist keine zu einem Ding, sondern zu dem, was uns in und durch das Ding anspricht; gleichgültig, ob das Ding eine andere Person oder Nebel auf dem Meer oder gar ein Baum ist. „Aber ist der Satz ‚Ich sehe einen Baum‘ erst so ausgesprochen, daß nicht mehr eine Beziehung zwischen Menschen-Ich und Baum-Ich erzählt, sondern die Wahrnehmung des Baum-Gegenstandes das Menschen-Bewußtsein feststellt, hat er schon die Schranke zwischen Subjekt und Objekt aufgerichtet.“ Vor dieser Aufteilung des Bewußtseins in Subjekt und Objekt gibt es die Ureinheit der Beziehung, von Anrede und Antwort, von „Begegnung“ – und „alles wirkliche Leben ist Begegnung“.
Wir können nicht sagen, ob „Du“ einer oder viele ist. Es ist unbegrenzt – „in jedem ‚Du‘ reden wir das ewige an.“ Aber es nimmt Form an in den Dingen, die wir auf diese besondere Art wahrnehmen, und daher hat es zahllose Namen und Formen. Die Welt ist voller Götter, und jeder Gott bezeichnet ein lebendiges und kontinuierlich erneuertes Ereignis. In einem Moment der Theophanie gilt: „Das Du begegnet mir. Aber ich trete in die unmittelbare Beziehung zu ihm.“ In solchen Momenten werden Götter geboren, Momente der Begegnung, in denen die ganze Fülle der wahren gegenseitigen Handlung liegt. Da ist eine unausdrückbare Bekräftigung der Bedeutung, eine Bedeutung nicht in einer anderen Welt, sondern in dieser gegenwärtigen.
Für all die, die sämtliches Gespür für die Götter verloren haben, ist der Gedanke an einen deutschen Universitätsprofessor, der zu den Bäumen redet, im Höchstmaß absurd. Und doch geht es dabei nicht um das Reden zu einem Baum, und auch nicht darum, zu einer übernatürlichen Person oder Dryade zu sprechen, die womöglich unsichtbar in einem Baum lebt. Es ist eine besondere Art, in der Welt zu sein, sie wahrzunehmen, als ein beziehungsreiches Ereignis oder eine Form der Begegnung, die persönlich ist und doch so viel mehr und so zutiefst anders. Wenn dieses Gespür der Begegnung zum Gespür für die Unendlichkeit hinzutritt, für das Mysterium, für Bedrohung und Schönheit, die uns zuweilen und oft überraschend überkommt, dann ist da auch das Gefühl für die Götter, das in Homers Ilias schon schwächer wird, aber noch anwesend ist.
Wenn man voller Einfühlung über Gott sprechen soll, ist das der Ort um anzufangen: nicht mit abstrakten Definitionen oder endlosen Diskussionen, sondern mit dem Gespür für das Erhabene, das Unendliche, das Numinose, dem Gefühl eben für die Götter.