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Descartes und die kosmische Maschine
ОглавлениеDer französische Philosoph René Descartes (1596–1650) dachte – und deshalb war er, aber er war nicht, was er zu sein dachte. Er hatte gedacht, er wäre ein lebendiger, fühlender Mensch; was er aber entdeckte – offenkundig, nachdem er lange an einem heißen Ofen gesessen hatte – war, daß er hauptsächlich ein rein denkendes Wesen sei, dessen Körper eine Art optionaler Zugabe war.
Diese Darstellung hat etwas von einer Travestie. Es stimmt aber, daß Descartes die Realität in zwei Arten von Erscheinungen einteilte: in Körper – die sich im Raum ausdehnen und für jedermann sichtbar sind; in den Geist – der keineswegs im Raum ist und für niemanden sichtbar außer für die, die ihn besitzen und besetzen. Im Geist kann sich allerlei Interessantes ereignen – freier Wille, Logik und Mathematik, Gefühle des Glücks und leider auch physischer Schmerz. Der Körper aber ist eine Maschine, die in Übereinstimmung mit den bestimmenden Gesetzen der Physik voranschreitet; er ist vollständig ohne Gefühl und unbewußt.
Körper und Geist mußten aber verbunden werden, und der Ort, an dem das offenkundig geschehen konnte, war das Gehirn. (Descartes dachte hier vor allem an die Zirbeldrüse, was sich als schlechter Hinweis erwies. Aber mit dem Gehirn hatte er schon recht, und dies war auch ein weit besserer Fingerzeig als der Magen, wo nach den alten Griechen das Denken angesiedelt war, wobei das Gehirn angeblich die Funktion einer Art Klimaanlage hatte.)
Aber – und dies war niederträchtig – Descartes dachte, daß nur Menschen einen Geist hätten. Andere Lebewesen hätten nur Gehirne ohne Geist. Tiere hätten kein Bewußtsein und wären nicht frei. Sie seien bloße Maschinen und könnten deshalb lebendig seziert werden; man könnte mit ihnen Experimente machen, könnte sie wahllos zusammensetzen, so wie man das mit Uhren oder Dampfmaschinen tat.
Nachfolgende Philosophen waren nicht angetan von der Idee, daß Schimpansen, deren DNA sich von der unsrigen nur in einem Prozent unterscheidet, bloße Maschinen sein sollen, während wir freie und verantwortliche Wesen sind. Überraschenderweise aber haben viele Philosophen nicht den Schluß gezogen, daß Schimpansen wirklich einen freien Willen haben. Was sie dagegen schlußfolgerten, ist, daß wir keinen solchen haben. Sie stimmen Descartes zu, daß Schimpansen Bewußtsein und keine freie Wahl haben, setzen aber hinzu, daß auch die Menschen keines von beiden besitzen. Bewußtsein ist eine bloße Funktion des physikalischen Gehirns, und Freiheit ist das Gefühl, daß unser Gehirn bislang noch nicht entschieden hat, was zu tun sei. Wille und Bewußtsein werden aus dem Universum vollkommen ausgetrieben und durch die Gesetze der Physik ersetzt, die die winzigen Materieteilchen, aus denen auch unser Gehirn besteht, auf außerordentlich komplizierte, gleichwohl vollkommen automatische Weise funktionieren lassen.
Offensichtlich ist, daß, wenn der Menschengeist aus dem Universum vertrieben wurde, es nicht mehr viel Raum für Götter gibt. Die Götter aber sind nicht durch einen Menschenhelden geschlagen worden, sondern durch eine ganze Reihe eher ineffizienter Roboter (eine spätere Beschreibung des homo sapiens), die an der Illusion kranken, daß sie etwas Besonderes sind – und die ihrerseits vermutlich durch eine noch effizientere Maschinengattung ersetzt werden wird, die schon jetzt am Horizont auftaucht, so wie der Supercomputer Deep Blue den menschlichen Schach-Weltmeister mit lautem Nachhall geschlagen hat.
Nun glaubte aber Descartes an Gott, so wie er auch an die unsterbliche Seele glaubte, die immer weiter vermeintlich interessante Dinge wie reine Mathematik betreibt, auch wenn der Körper schon lange im Grabe verrottet ist. Der Gott von Descartes jedoch hatte nicht viel zu tun. Nachdem er die vollkommene Maschine entworfen und gebaut hatte, war dieser Gott praktisch überflüssig. Wie es einer der philosophischen Nachfolger Descartes’ sagte, Gottfried Wilhelm Leibniz: Wenn einer zu Gott betete und ihn bäte, die Zukunft abzuändern, dann würde Gott sagen müssen: „Lieber Herr, ich habe bereits alles auf die beste Weise erschaffen. Würde ich die Zukunft ändern, um Ihnen einen Gefallen zu tun, würde dies alles nur schlechter machen. Hören Sie also bitte auf zu beten: Das stört meine vollkommene Anordnung.“