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Deutsche Tierheime kämpfen um ihre Existenz

Jedes zweite Tierheim am Rande der Insolvenz

Es wird wieder voll hinter den Mauern des hauptstädtischen Tierheims im Nordosten Berlins – die Ferienzeit beginnt. Zahlreiche Hunde, aber auch Katzen und Kleintiere, werden von ihren Besitzern ausgesetzt oder mit fadenscheinigen Begründungen abgegeben. Hinter Gittern des futuristisch anmutenden Rundbaus, der 2001 auf einer Fläche so groß wie 22 Fußballfelder errichtet worden ist, sitzen gerade 233 Hunde. Am schlimmsten trifft es die sogenannten Kampfhunderassen, die nur selten vermittelt werden. In Berlin sind das der Pitbull-Terrier, der American Staffordshire-Terrier und der Bullterrier sowie ihre Kreuzungen. Aber auch alte und kranke Tiere verbringen im Tierheim Monate, gar Jahre, bis sie ein Zuhause finden. Wenn überhaupt. Denn manchmal lautet das Urteil eben "lebenslänglich". "Früher hat ein Hund durchschnittlich 110 Tage bei uns verbracht bis er adoptiert wurde. Heute sind es im Schnitt schon 148 Tage", erklärt Kerstin Butenhoff, Pressereferentin des Tierheims. "Im Vergleich dazu bleiben die Listenhunde deutlich länger bei uns, durchschnittlich 484 Tage." Eine Dissertation13 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat in 16 nordrhein-westfälischen Tierheimen unter 291 beobachteten Hunden eine Verweildauer von knapp 13 Monaten im städtischen und knapp 14 Monaten im ländlichen Gebiet dokumentiert. Deutlich über ein Jahr also. Eine lange Zeit für das verhältnismäßig kurze Hundeleben. Ein grünes, nachhaltiges Thema ist das deshalb, weil wir uns fragen sollten, ob wir die Hundezuchtmaschinerie immer weiter befeuern wollen oder einmal genauer hinschauen auf die Tiere, die "verwertungsökonomisch" eben nicht gleich weggehen.


Deutsche Tierheime gefährdet

In Deutschland existieren rund 1.400 Tierheime14, dazu zählen auch tierheimähnliche Einrichtungen, Wildtierauffangstationen, Pflegestellen und Gnadenhöfe. Das Berliner Tierheim ist das größte nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und mit über 175 Jahren der zweitälteste Tierschutzverein der Bundesrepublik, gleich hinter dem 180 Jahre alten Stuttgarter Verein. Das Tierheim in der Hauptstadt bekommt wenig Unterstützung von der Kommune und finanziert sich vor allem von Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Nachlässen zugunsten des Tierschutzvereins Berlin (TVB). Lediglich für die Fundtiere der Tiersammelstelle, die das Tierheim für Berlin betreibt, zahlt die Stadt. Über 90 Prozent der im Deutschen Tierschutzbund vereinten Tierheime nehmen Fundtiere und von den Kommunen beschlagnahmte Tiere auf. "Circa 80 Prozent davon erhalten Gelder über eine Pauschalzahlung, die anhand der Ausgaben der letzten Wirtschaftsjahre ermittelt wird", erklärt Lea Schmitz, Pressereferentin beim Deutschen Tierschutzbund e. V. in Bonn. Die sogenannte Pro-Kopf-Umlage liegt nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes zwischen 0,20 und 1,50 Euro und ist regional unterschiedlich. Im Norden und Osten sei der Durchschnitt tendenziell höher als im Süden und Westen. Im Schnitt liege die Pro-Kopf-Pauschale bei etwa 0,50 Euro.

Nur punktuelle Verbesserung

Positive Entwicklungen und eine vorläufige Stabilisierung der angespannten Lage gibt es nur punktuell, etwa in den Tierheimen in Essen, Köln, Hameln, Gifhorn, Münster und Berlin. Das Berliner Tierheim beispielsweise hat einen neuen Vertrag mit dem Land ausgehandelt, der seit dem 1. Januar 2017 gilt. Insgesamt ist die Pauschalzahlung von 660.00 Euro pro Jahr auf 1,4 Millionen Euro erhöht worden. Das hört sich zwar recht viel an, im letzten Jahr sind bei dem Tierschutzverein allerdings Kosten in Höhe von rund drei Millionen Euro entstanden. "Die Vereine haben einen Rechtsanspruch auf den Ersatz von 100 Prozent ihrer Aufwendungen für die Aufnahme von Fundtieren und beschlagnahmten Tieren, in der Regel werden aber Verträge ausgehandelt, die diesen Bedarf nur zu 30 – 60 Prozent abdecken. Die Vereine nehmen damit ein wirtschaftliches Minus in Kauf, um überhaupt


oben: Durchschnittliche Verweildauer von 291 beobachteten Hunden in 16 Tierheimen im städtischen und ländlichen Einzugsgebiet Nordrhein-Westfallens, Dissertation Ursula Mischke-Koning

unten: Durchschnittliche Verweildauer von 291 beobachteten Hunden in 16 Tierheimen Nordrhein-Westfallens unterteilt nach Gruppen, Dissertation Ursula Mischke-Koning

etwas in der Hand zu haben", ergänzt Lea Schmitz. "Die Verpflichtung, Fundtiere aufzubewahren, besteht für sechs Monate. Nur 3 Prozent der von uns befragten Tierheime erhalten eine Kostenerstattung für eine Dauer der vollen sechs Monate". Viele bekämen die Kosten nur für 28 Tage erstattet, andere Kommunen zahlen einen Pauschalbetrag. Allen gemeinsam sei, dass die Aufwandserstattung auch nicht annähernd kostendeckend ist. Die Differenz fangen die Tierheime in der Regel mit Spenden auf. "Sie subventionieren die Kommunen mit Spendengeldern", so Lea Schmitz. "Oft ist die Gesetzgebung zusätzlich belastend, statt hilfreich, besonders wegen der Hundeverordnungen der Länder, durch die insbesondere große Hunde und bestimmte Rassen im Tierheim landen und nur schwer vermittelbar sind. Das stellt die Tierheime vor kaum zu lösende Aufgaben."

Knauserig trotz 300 Millionen Hundesteuer

Die unzureichende Finanzierung ist eines der größten Probleme, mit denen die deutschen Tierheime zu kämpfen haben. Das haben auch Sitzungen eines Runden Tisches ergeben, den das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im September 2016 und April 2017 mit Vertretern der Tierschutzverbände und der für den Tierschutz zuständigen Landesministerien abgehalten hat. Zahlreiche Tierheime klagen darüber, notwendige Erweiterungen, Reparaturen, Sanierung oder Modernisierung nicht durchführen zu können. Die Situation der Tierheime nannte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes ein "staatliches Versagen auf allen Instanzen". Schuld daran sei vor allem ein sogenanntes "Bermudadreieck des Föderalen Systems", in dem sich Bund, Länder und Kommunen die Kompetenzen gegenseitig zuschieben würden. Die Kommunen "winden sich häufig aus ihren gesetzlichen Pflichten, Fundtiere angemessen zu versorgen, indem sie Definitionen für Tiere in Not so auslegten, dass faktisch kaum ein Tier als Fundtier gelte", so Schröder. Der Deutsche Tierschutzbund fordert einen Sonderinvestitionstopf von einmalig 50 Millionen Euro für dringende Maßnahmen in den Tierheimen. Das wäre lediglich ein Sechstel der 300 Millionen Euro, die die Kommunen jährlich an Hundesteuer einnehmen.


Im Berliner Tierheim warten zurzeit über 230 Hunde auf eine zweite Chance

Sonderfall Auslandstiere

Neben den herkömmlichen Abgabe- und Fundtieren nehmen manche Tierheime auch noch Straßenhunde oder Tierheiminsassen aus ausländischen Tötungsaktionen auf. Die Praxis ist selbst unter Tierschützern sehr umstritten. Die Verfechter argumentieren damit, dass die Tiere in ihrem Ursprungsland kaum eine Überlebenschance haben, weil sie dort nach kurzer Frist im Tierheim eingeschläfert oder auf der Straße misshandelt, vergiftet oder durch Autos getötet werden. Die Gegner des Hundeimports führen an, dass das Grundproblem im Ausland dadurch nicht gelöst und die Vermittlung der inländischen Tierheiminsassen zusätzlich erschwert wird. Es gibt eine Reihe unseriöser Organisationen, die unter dem Deckmantel des Tierschutzes einen florierenden Welpenhandel betreiben. Gute Tierschutzorganisationen, die Hunde nach Deutschland vermitteln, setzen dagegen auf nachhaltige Hilfe, indem sie ein Umdenken in der Bevölkerung fördern, sichere Refugien für Straßenhunde vor Ort bauen und vor allem Kastrationen unterstützen.

Tiere vom ausländischen Tierschutz finden selten den Weg ins deutsche Tierheim. Eine Ausnahme bilden Abgabetiere, die über andere Organisationen aus dem Ausland vermittelt wurden, ihre Halter sie aber aus irgendwelchen Gründen wieder zurückgeben. "Vielen Menschen kommt eine Adoption romantisch und easy vor. Dabei sind das oft Straßenhunde, die ein Leben an der Leine und in der Wohnung nicht gewohnt sind und ihre Vorliebe für Müll auf der Straße nicht ablegen werden", sagt Kerstin Butenhoff. "Manchmal sind aber auch die einfachsten Voraussetzungen nicht gegeben: Ein Hund mit kaputter Hüfte beispielsweise kann nicht in der dritten Etage wohnen. Wenn die Information auf beiden Seiten – der Tierschutzorganisationen und der Tierhalter – fehlt, „führt es nicht selten zu prekären Situationen und endet mit einer Abgabe des Tieres bei uns. Da die Auslandstierschutzvereine meist keine Tierheime betreiben, können sie ihre vermittelten Tiere auch nicht wieder zurücknehmen."

Lieber Tiere aus lokalen Tierheimen?

Eine Adoption im lokalen Tierheim hält Kerstin Butenhoff für sehr einfach. "Nicht etwa, weil unsere Vergabekriterien lascher sind, wir haben auch strenge Regeln. Aber der Interessent kann sich vor Ort ein besseres Bild von dem Tier machen, es richtig kennenlernen. Und auch wir können den potenziellen Halter besser einschätzen." Manche Interessenten gehen schon mal mit leeren Händen nach Hause, wenn sie die Voraussetzungen nicht erfüllen. "Eine Absage erntet böse Kommentare, wir müssen aber im Interesse der Tiere handeln. Es geht nicht um unsere Ansprüche, sondern um die der Tiere. Eine Adoption aus der Laune heraus darf nicht stattfinden". Das Tierheim möchte wissen, ob in dem künftigen Haushalt auch andere Tiere leben und wie lange der Hund alleine bleiben soll. Die potenziellen "Adoptiveltern" müssen sich auch Fragen nach ihrer Hundeerfahrung und ihrem Lebensstil gefallen lassen. Ein sportlich ambitionierter Hund wird beispielsweise auf der Couch nicht glücklich. "Bei der Adoption sollen auch alle Familienmitglieder dabei sein und sich bewusst für das konkrete Tier entscheiden", so Kerstin Butenhoff.

Deutscher Tierschutzbund www.tierschutzbund.de

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