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Mopsfidel? Weit gefehlt!

Über das Massenphänomen Qualzucht

Schwere, lebenslange Atemnot – eine allzu häufige Diagnose bei Möpsen, französischen und englischen Bulldoggen, Shih-Tzu, Pekinesen, Boston Terriern oder Boxern. Im Fachjargon heißt das Phänomen Brachyzephalie ("brachis" = kurz und "cephalus" = Kopf) und ist eine Folge gezielter Zucht und strengen Rassestandards: Eine menschengemachte Erbkrankheit, die zu schweren gesundheitlichen Schäden, qualvollen Leiden und nicht selten lebensbedrohlichen Zuständen bis zum Erstickungstod führt. Der Sauerstoffmangel verursacht auf Dauer auch schwere Herzerkrankungen. Durch Zuchtauslese wurde der Schädel, ganz besonders Nase und Unterkiefer, immer weiter verkürzt, damit auch erwachsene Tiere ihre niedlich-kindliche Stupsnase behalten. Bedient wird hier das Kindchen-Schema. Durch die sukzessiven Änderungen ist der Schädel zu kurz geworden.


Dramatische Zunahme der Krankheiten

Dass Qualzucht zu einem Massenphänomen geworden ist und längst nicht nur unter den schwarzen Schafen der Züchterszene vorkommt, davon zeugen die drastisch gestiegenen OP-Zahlen. "Früher hatten wir solche Eingriffe drei bis vier Mal im Jahr, heute sind es drei- bis vierhundert Eingriffe jährlich", erklärt Dirk Schrader, Seniorchef einer Hamburger Tierarztpraxis. In seiner Klinik, aber auch in mehreren anderen bundesweit, müssen die Tierärzte regelmäßig die Auswüchse einer fehlgeleiteten Rassezucht beheben. Charakteristisch für Brachyzephalie sind verengte Nasenlöcher und Nasenhöhlen, ein verlängertes und verdicktes Gaumensegel sowie Veränderungen am Kehlkopf. Das führt zu lauter, schnarchender Atmung und in schweren Fällen zu akuter Atemnot. Im Laufe des Hundelebens nehmen die Beschwerden noch zu, weil der zu enge Atmungsgang in der Nase und der damit verbundene Atemwiderstand mit der Zeit zu einer Veränderung des Gewebes im Rachen- und Kehlkopfbereich führen. Das Gewebe verdickt sich und engt die Atemwege immer weiter ein. Bei den meisten kurzköpfigen Rassen ermöglicht also erst ein tierärztlicher Eingriff das halbwegs normale Atmen. Menschen bezahlen also beim Züchter horrende Preise für Welpen, die bestimmte Rassestandards erfüllen (beim Mops sind das solche Eigenschaften wie "quadratisch, gedrungen und viel Masse in kleinem Raum vereinend"), um die Hunde später für teures Geld erst lebensfähig machen zu müssen. Und das nur wegen der Optik. Wie grotesk ist das denn? Und wie grausam.

Designerhunde: Von Zwergen und Riesen

69 Prozent aller in Deutschland gehaltenen Hunde sind Rassehunde, Mischlinge machen nur 31 Prozent aus. Die Spielwiese für weitere Zuchtexperimente ist also groß genug – und der Markt offen für neue Moden. Schon jetzt sei kaum eine Rasse frei von Erbkrankheiten, die durch Fehler in der Zucht entstanden sind, meint Ottmar Diestl, Genetikexperte am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Er kritisiert den zu häufigen Einsatz einzelner Deckrüden, warnt vor genetischer Verarmung durch Inzucht und appelliert an die Hundekäufer, sich besser zu informieren.

Zahlreiche Rassen todgeweiht

Der Mops und andere kurznasige Hunderassen sind nur ein Beispiel für krankhafte Zustände in der Zuchtszene. Die Übertypisierung durchzieht so gut wie alle Rassen: Die Deutsche Dogge wird extrem groß gezüchtet, aus Chihuahuas, Yorkshire Terriern, Shih-Tzu, Maltesern, aber auch Spitzen oder Pudeln werden dagegen "Teacup"-Hunde designt, so winzig gezüchtet, dass erwachsene Hunde in eine Teetasse passen. Ein weiteres Beispiel einer gepeinigten Rasse ist der Cavalier King Charles Spaniel: Fast die gesamte Population leidet an einem Herzfehler und Kleinhirn-Quetschung. 10 Prozent der Hunde zeigen die Symptome im ersten Jahr, 20 Prozent im zweiten.

Zahlreiche sterben bereits mit vier oder fünf Jahren. Auch die Tibet-Dogge (Do-Khyi), eine teure und sehr begehrte chinesische Rasse wird von vielen Hundeexperten für todgeweiht gehalten: Kaum ein Welpe kommt gesund zur Welt. Sie leiden meist an Epilepsie, Augenerkrankungen, Hüftgelenk-Dysplasie sowie Hypothyreose, einer Schilddrüsen-Unterfunktion, die unter anderem zu Haarausfall, Übergewicht, Lähmung und Herzschwäche führen kann. Das Phänomen ist so verbreitet, dass bestimmte Krankheitszustände bei bestimmten Rassen bereits als normal gelten. "Wenn wir das Totschweigen in der Hundezucht überwinden, kommen wir einen großen Schritt weiter", meint Ottmar Diestl.15

Qualzucht eigentlich verboten

Das Totschweigen wird durch die geltenden Gesetze gut ermöglicht: Tierärzte und Aktivisten haben keine Handhabe, um gegen unseriöse, ja grausame Zuchtpraktiken vorzugehen. Obwohl das Tierschutzgesetz Qualzucht eigentlich verbietet, ist die Definition leider zu allgemein gehalten. Der Paragraph 11b besagt: "Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten (…), wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, (…) erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten." Weder die Übertypisierung noch die Vermehrung der Tiere mit Erbkrankheiten wird durch das Gesetz systematisch verfolgt. "Der gesetzliche Spielraum besteht – wenn er denn kommt – in den Ausstellungen, das ist der stärkste Hebel", meint Ottmar Diestl. "Wenn solche Hunde keine Championate mehr gewinnen, nicht mehr ausgestellt werden dürfen, gibt es vermutlich auch keine Nachfrage mehr." Eine gesetzliche Handhabe, die den Vermehrern das Handwerk legt, fehlt aber nach wie vor, denn Standards, die eine Qualzucht genau definieren, gibt es nicht. "Mit Gutachten, die auf Bundesebene in Auftrag gegeben werden, könnten Tierärzte gegen solche Züchter gerichtlich vorgehen", meint Ralf Unna, Tierarzt und Vizepräsident des Tierschutzverbandes NRW.

David gegen Goliath

Das würde allerdings ein Ende der goldenen Ära vieler Branchen rund um Hund bedeuten. Denn neben den Züchtern, die ihre heiß begehrten Welpen unters Volk bringen, und der Pharmaindustrie, die die kranken Tiere mit Medikamenten versorgt, profitieren auch viele Tierärzte von den Auswüchsen des Rassenwahns: Mittlerweile gibt es mehrere HNO-Tierkliniken bundesweit, die sich auf die brachycephalen Rassen spezialisiert haben. Eine Goldgrube. Es gibt aber auch Ausreißer, die zwar immer noch wie David gegen Goliath kämpfen, aber doch immer mehr an Aufmerksamkeit und Befürworter gewinnen: Einige Züchter haben das Problem erkannt und setzen auf Kreuzungen mit anderen Rassen, um die verhängnisvollen Rassestandards zu korrigieren und die genetischen Defekte aus dem Erbgut zu verbannen. Kreuzt man die Hunde in der Zukunft wieder zurück, bekommt man möglicherweise das Rassenbild in ähnlicher Weise, aber ohne die


Für das Kindchen-Schema leidet Mops an lebenslanger Atemnot und Herzschwäche

Defekte und die Übertypisierung. So erfreuen sich mittlerweile Kreuzungen einer steigenden Beliebtheit, wie etwa der Retro-Mops, ein Mix aus Mops und Parson-Jack-Russel-Terrier, der langgestreckter, robuster und mobiler erscheint. Und endlich auch normal atmen kann. Große Verbände – wie der VDH, mit seinen über 650.000 Mitgliedern der größte Verband für Hundezucht und Hundesport in Deutschland – lehnen solche Kreuzungen jedoch als nicht rassekonform ab. Züchter, die ausscheren, riskieren finanzielle Einbußen. Gibt man auf der Webseite des Verbands in der Volltextsuche "Qualzucht" ein, erscheinen nur zwei Treffer: Die Stellungnahme des VDH zu dem WDR-Film "Reine Rasse, volle Kasse" sowie ein Artikel des VDH-Pressesprechers Udo Kopernik, der nach einer philosophischen Betrachtung der Mensch-Hund-Beziehung anschließend die Verantwortung für Qualzuchten klar der Politik in die Schuhe schiebt. Ein schwaches Zeugnis für einen Verband, der in Bezug auf Qualzuchten "sehr viel erreicht" haben will.

Alternative Verbände

Glücklicherweise gibt es Hundeliebhaber, denen die Gesundheit ihrer Schützlinge wichtiger ist als die immer schräger werdenden Rassestandards und die Medaillen, die man bei Ausstellungen ergattern kann. Es entstehen immer mehr Vereine, die das Ruder umreißen wollen, wie etwa der IHV, Internationaler Hunde Verband e. V., der sich auf die Fahnen schreibt: "Bei uns zählt nicht das Papier, sondern das Tier". Immer mehr Züchter nehmen sich der Sache auch an und kreieren eigenständig neue Rassen, wie Imelda Engehrn mit ihrem Contintental Bulldog. Schließen sich dem positiven Trend weitere Züchter und Verbände an, kann das Leiden der Zuchthunde in naher Zukunft reduziert werden.


Internationaler Hunde Verband e. V. www.internationaler-hundeverband.de

Continental Bulldogs vom Böhlerbächli www.continentalbulldogs.ch

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