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Schönen Tag noch

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Da geht man morgens trantütig zum Bäcker, um Mr. Fup ein Schokoladencroissant zu kaufen, auf das er zum Frühstück besteht, und schon muss man kurze Zeit später im Zeit-Magazin lesen, dass man irgendwen nicht gegrüßt hat.

Der Irgendwer heißt Harald Martenstein, dem im Zeit-Magazin eine Kolumne eingeräumt wurde, um sich über solche Dinge beschweren zu können, wie dass er nicht gegrüßt worden ist, und das schon früh beim Bäcker. Dabei kann ich mich gar nicht erinnern, dass ich ihn nicht gegrüßt habe. Aber es tut mir natürlich leid, denn wenn ich gewusst hätte, wieviel Harald Martenstein daran liegt, von mir beim Bäcker gegrüßt zu werden, wäre ich natürlich ganz anders durch die Welt gelaufen, immer mindestens mit einem Auge die Gegend abscannend, ob Harald Martenstein gerade irgendwo herumläuft.

Ich hätte das gemacht, ehrlich, obwohl das gar nicht so einfach ist, denn Harald Martenstein gehört eher zu den unauffälligen Menschen im Viertel, die man ziemlich leicht übersehen kann. Das ist jetzt nicht persönlich gemeint. Er trägt beispielsweise keinen rosafarbenen Anorak und auch keine Schuhe in Pink. Das würde mir auffallen.

Manchmal sehe ich ihn vor meinem Fenster vorbeilaufen, und da hat er meistens irgendwas Graues an oder Beiges, was Rentner gerne tragen, und eine Aktentasche, in der er wahrscheinlich sein Pausenbrot hat. Aber das weiß ich natürlich nicht genau. Und bis ich dann, wenn er bei mir vorbeiläuft, das Doppelfenster aufgemacht habe, ist er auch schon wieder weg, und irgendwie wäre es schon komisch, wenn ich ihm dann hinterherriefe: »Hallo Harald! Hallooo!«

Das wär vielleicht schon ein wenig aufdringlich, und wenn er sich dann fragend umdrehte, weil jemand »Harald« gerufen hat, und womöglich denkt, es wär was Wichtiges, dann wäre es vielleicht ein wenig dürftig, wenn ich ihm nur sagen könnte: »Schönen Tag auch noch«, weil was anderes würde mir nicht einfallen, weil ich jetzt nicht was wirklich Wichtiges mit ihm zu besprechen gehabt hätte.

Obwohl, jetzt vielleicht schon. Ich meine, jetzt, wo er sich im Zeit-Magazin darüber beschwert, dass ich ihn nicht gegrüßt habe. Harald Martenstein schreibt nämlich, ich sei ein »Kapitalismuskritiker« und er nicht. Ich bin fast ein wenig gerührt. Das hat nämlich noch nie jemand zu mir gesagt, aber ich finde es schön, dass es endlich mal jemand anspricht. Es stimmt nämlich. Ich habe tatsächlich einiges am Kapitalismus auszusetzen, zum Beispiel Grußzwang frühmorgens beim Bä­cker. Nein, das ist jetzt natürlich Quatsch. Aber trotzdem, der Kapitalismus ist schon ziemlich Scheiße, auch wenn man es hier im »Graefekiez« nicht so mitbekommt.

Außerdem schreibt Harald Martenstein, dass ich unter »einer ähnlichen Krankheit leide, wie sie auch Josef Stalin gehabt hat«. Huch, denke ich, und gucke natürlich gleich bei Wikipedia nach, an welcher Krankheit Stalin gelitten hat. Schlaganfall, sagen die einen, er sei vergiftet worden, sagen andere. Ich bin jetzt kein Stalin-Spezialist, und vielleicht hatte er ja noch eine andere Krankheit, aber Schlaganfall hatte ich noch nicht, und vergiftet worden bin ich meines Wissens auch noch nicht. Ich glaube, das hätte ich gemerkt. Aber ich werde das im Auge behalten.

Harald Martenstein schreibt dann noch, dass, wenn ich als Kapitalismuskritiker den Kapitalismus abgeschafft und den Sozialismus eingeführt hätte, er Angst hätte, ich würde ihm dann »irgendwie wehtun«, weil er kein Kapitalismuskritiker ist. Wie er darauf kommt, ist mir noch schleierhafter als Stalins Krankheit, an der ich angeblich leide. Ich glaube aber, wenn tatsächlich so ein unwahrscheinlicher Fall einträte wie Sozialismus in Deutschland, dann wäre ich der Ers­te, der abtauchen würde, denn schließlich kritisiere ich nicht den Kapitalismus, damit Sozialismus herauskommt, außerdem stand nur eine Woche vorher in der Zeit, dass ich »Anarchist« sei, und denen geht Sozialismus ja wohl total am Arsch vorbei.

Wie auch immer. Ich schätze mal, am ersten Tag des Sozialismus gäbe es sehr viel zu tun. Harald Martenstein weh zu tun, gehört da, glaube ich, nicht dazu. Kann ich mir nicht vorstellen, nicht mal, wenn Harald Martenstein sein Hemd aufreißt und mit nackter Brust durch die Straßen läuft und die Sozialisten auffordert, ihn zu erschießen, weil er den Kapitalismus gut findet.

Die Wagenknecht würde höchstens sagen: »Ach, der Martenstein schon wieder, schreib lieber wieder eine Kolumne darüber, dass dich beim Bäcker irgendwer nicht gegrüßt hat.« Die Sozialisten würden ihn glatt ignorieren, und die Kommunis­ten auch. Aber wahrscheinlich wäre es genau das, was ihm wehtun würde. Na, dann hab ich ja hiermit meine Therapeutenpflicht erfüllt. Bitte schön. Ich hab das gerne gemacht.

Danke? Da nicht für.

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