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Trotzki im gentrifizierten Bezirk

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»Nein, da lang«, sagt Fup, und dagegen ist nichts zu machen. Dann eben da lang. Er läuft mit seinem Laufrad zur Admiralbrücke zu einer bestimmten Ecke. Dort ist ein Tapeziertisch aufgestellt, der mit einem roten Tuch geschmückt ist. Darauf steht schwarz »RSO«. Man sieht sofort, dass es sich um was Revolutionäres handelt, wegen der fetten Futuraschrift.

Hinter dem Tisch sitzen auf der Brückenmauer sechs junge Frauen unter zwanzig. Ein paar stehen daneben. Sie tragen, was junge Frauen in diesem Alter so tragen, und da es ein warmer Tag ist, nicht übermäßig viel. Die Garderobe ist bunt. Einige haben eine Sonnenbrille auf. Sie unterhalten sich. Niemand nimmt von mir Notiz. Oder von Fup.

Auf dem Tisch liegen Flugblätter mit einem roten Stern, auf denen »Gemeinsam kämpfen« steht. Es geht über die Berlinwahl 2011. 2011? Ist das nicht schon ein bisschen her? Hier werden also ein Jahr alte Flugblätter angeboten. Und Broschüren, die wahrscheinlich noch älter sind und »Kapitalistisches Elend und sozialistische Antworten« und »Grundsätze der RSO« heißen. Aber was heißt eigentlich RSO? Ich rate: »Revolutionäre Sozialistische Organisation«. Treffer. Na gut, war jetzt auch nicht wirklich schwer.

Die RSO steht, wie ich einem Faltblatt entnehmen kann, »in der Tradition der um Leo Trotzki formierten ›Linken Opposition‹ gegen den Stalinismus« und bezieht sich »positiv auf die russische Oktoberrevolution von 1917«, die »mit der stalinistischen Degeneration in den zwanziger Jahren gescheitert« ist.

Ich bin beeindruckt. Ein Hauch von hundert Jahre alter Geschichte umweht mich in einem fast vollständig durchgentrifizierten Bezirk mitten unter den Touristen, die alle ungefähr im gleichen Alter sind wie die Frauen hinter dem Tapetentisch, und die glücklich und zufrieden auf dem Pflaster der Brücke liegen und Pizza aus Pappschachteln essen.

Fup fährt den Kanal weiter an der Synagoge vorbei. Ein Ausflugsschiff kommt und Fup winkt. Die Leute auf dem Schiff winken zurück. Der Ausflugsschiffmoderator sagt gerade: »Und hier sehen sie einige Häuser, die abgerissen werden sollten. In den achtziger Jahren wurden sie dann besetzt und von den Besetzern instandgesetzt. Vielleicht war es ja ganz gut, dass es die Besetzer gab.« Die Besetzer gibt es nicht mehr, aber die Revolutionäre Sozialistische Organisation gibt es noch. Irgendetwas hat das bestimmt zu bedeuten, aber ich komme nicht drauf, was.

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