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Vorwort zur dritten Auflage

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Als ich 1968 die erste Fassung von »Bürger und Irre« bei der philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin als Dissertation einreichte, wurde sie nur mit knapper Not angenommen: Sie war zu wenig marxistisch und zu wenig ökonomisch. Als die Arbeit 1969 als Buch erschien, gab es in psychiatrischen Fachzeitschriften kaum eine Rezension: Sie war zu marxistisch und zu ökonomisch. Vielleicht ist die Situierung in diesem Spannungsfeld – wie auch in vielen anderen – eine Erklärung für den Dauererfolg des Buches, der den Verlag nun – nach mehr als 25 Jahren – veranlaßt, es in einer neuen Auflage erscheinen zu lassen. Der andere Grund dafür dürfte darin liegen, daß mein Versuch, die Entstehung der Psychiatrie als Institution und Wissenschaft prismatisch von allen denkbaren Seiten her zu beleuchten, sich als ein Dokument der Geburt der Moderne herausgestellt hat. Das konnte man damals noch nicht wissen, bestenfalls ahnen.

Auf diese Weise scheinen fast alle Wissenschaften von »Bürger und Irre« profititiert zu haben. Die Reihenfoge dieses Teils der Wirkgeschichte des Buches ist aufschlußreich. Die ersten Rezensionen erschienen bei den Romanisten, Germanisten und Anglisten. Es folgten die Historiker, Philosophen, Soziologen, Politikwissenschaftler, Ökonomen, Pädagogen, Psychologen und Naturwissenschaftler. Danach nahmen auch Allgemeinmediziner und Medizinhistoriker Notiz von dem Buch, nur nicht die psychiatrischen Fachzeitschriften. Dabei haben viele psychiatrisch Tätige das Buch von Anfang an mit Begeisterung gelesen. Aber das waren jüngere Leute, die aus der antiautoritären Bewegung heraus, anfangs gegen die eigenen Standesvertretungen, sich für die Befreiung der psychisch Kranken aus den Anstalten einsetzten, die psychiatrische Reformbewegung bildeten, daher noch keine eigenen Publikationsorgane hatten. Heute gilt das Buch natürlich auch in der Psychiatrie als »Klassiker«.

Das Buch hat also ein Alter erreicht, in dem es selbst schon institutionelles Gepräge hat. Vielleicht ist das Bild des »Bergwerks« besser, in das getrost Wissenschaftler aller Art einfahren können, weil sie etwas für die Selbstaufklärung ihrer Wissenschaft Brauchbares finden werden, wobei sie je nach dem Jahrzehnt ihres Einfahrens etwas anderes als brauchbar wahrnehmen werden. Im folgenden werde ich drei solcher Fundstücke, also drei Facetten der Wirkgeschichte von »Bürger und Irre«, breiter darstellen, weil sie mir für Gegenwart und Zukunft besonders wichtig sind. Es handelt sich einmal um das Verhältnis von Romantik und Aufklärung, zum anderen um die psychiatrische Reformbewegung nach 1945 und schließlich um die Integration der NS-Psychiatrie in die Geschichte der Moderne.

Bürger und Irre

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