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Das elementare Dreieck sozialistischer Handlungsfähigkeit

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Mögliche repressive Reaktionen kapitalistischer Eliten einmal beiseitegelassen, ergeben sich aus der im weberianischen Marxismus geleisteten Kritik am elementaren Dreieck sozialistischer Vergesellschaftung Kriterien für eine Heuristik, die Erik Olin Wright zur Neubegründung eines utopischen Sozialismus entworfen hat. Trennt man den Staat von der Zivilgesellschaft und lässt ferner außer Acht, dass Gramsci administrative und repressive Staatsapparate (Kernstaat) einerseits und die Netzwerke reicher Zivilgesellschaften andererseits im integralen Staat zusammenfügt, erhält man in der Verbindung mit ökonomischer Macht ein weiteres Dreieck, das die elementare Heuristik sozialistischer Vergesellschaftung keinesfalls ersetzt, aber doch erheblich modifiziert und erweitert. Das zuvor eingeführte elementare Dreieck des Sozialismus lässt offen, wie die rationale gesellschaftliche Kontrolle über den Produktionsprozess hergestellt und substanzielle Gleichheit in einer modernen, ausdifferenzierten kapitalistischen Gesellschaft erreicht werden soll. Jeder Konkretionsversuch führt zum Problem strategischer sozialistischer Handlungsfähigkeit, das Erik Olin Wright zum Angelpunkt seines Dreiecks macht, für das ökonomische, staatliche und zivilgesellschaftliche Machtressourcen konstitutiv sind (siehe Abb. 2).

Zur Begründung dieser Heuristik schlägt Wright eine Definition vor, die den Sozialismus sowohl dem Kapitalismus als auch dem Etatismus entgegensetzt: »Kapitalismus, Etatismus und Sozialismus können als alternative Wege gedacht werden, die Machtbeziehungen, durch welche ökonomische Ressourcen alloziert, kontrolliert und genutzt werden, zu organisieren.«31 Sozialismus ist für Wright eine ökonomische Struktur,

Abb. 2: Elementares Dreieck sozialistischer Handlungsfähigkeit


Quelle: Wright, Erik Olin (2012): Transformation des Kapitalismus, in: Dörre, Klaus/Sauer, Dieter/Wittke, Volker (Hg.): Kapitalismustheorie und Arbeit. Neue Ansätze soziologischer Kritik. Frankfurt a. M./New York, S. 462-487, hier: S. 471. Eigene Darstellung.

in der die Produktionsmittel sich im gesellschaftlichen Besitz befinden und Allokationen wie der Gebrauch der Ressourcen für verschiedene gesellschaftliche Zwecke von der Ausübung ›gesellschaftlicher‹ Macht beeinflusst werden können. › Gesellschaftliche Macht‹ ist eine Macht, die in der Fähigkeit gründet, Menschen für kooperative, freiwillige kollektive Aktionen verschiedener Art zu mobilisieren. Dies impliziert, dass die Zivilgesellschaft nicht nur als Arena von Aktivität, Geselligkeit und Kommunikation angesehen werden sollte, sondern auch als reale Macht.32

So verstanden, wird Sozialismus zu einem graduellen Konzept, dem eine Vielfalt möglicher Konfigurationen zur Ausübung gesellschaftlicher Macht bei der Allokation von Ressourcen, der Kontrolle über die Produktion und der Distribution der erzeugten Güter entspricht. Wright unterscheidet sieben Wege zu gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit – den etatistischen Sozialismus, die sozialdemokratisch etatistische Regulation, eine assoziative Demokratie, den sozialen Kapitalismus, die kooperative Marktwirtschaft, eine soziale Ökonomie und den partizipatorischen Sozialismus.33

Ob diese Konfigurationen wirklich in jeder Hinsicht trennscharf sind, kann bezweifelt werden. Bemerkbar macht sich auch, dass Wright aus einer berechtigten Aversion gegen den etatistischen Sozialismus zu einer gewissen Überhöhung der Zivilgesellschaft jenseits des Kernstaates neigt. Für ihn ersetzt die demokratische Zivilgesellschaft im Grunde das revolutionäre Proletariat des klassischen Marxismus. Daran ist zunächst etwas Richtiges, denn es wäre fahrlässig, die sozialen Träger sozialistischer Handlungsfähigkeit auf Arbeiterbewegungen zu beschränken. Aber längst nicht alle in der Zivilgesellschaft präsenten Strömungen sind demokratisch und progressiv. Bewegungen Polanyi’schen Typs, die sich gegen kapitalistische Marktmacht auflehnen, können ausgesprochen reaktionäre, ja faschistische Züge annehmen.34

Diese Problematik wird nicht nur von Wright, sondern im sociological marxism insgesamt unterschätzt. Allerdings, das stellt Wright klar, sind Kapitalismus, Etatismus und Zivilgesellschaft keine Idealtypen, die einander ausschließen. Vielmehr überlappen sie einander und bilden gemischte Ökonomien, in denen sich positive Externalitäten wie Non-Profit-Organisationen, Genossenschaften oder eine Wissensallmende finden, die auf unterschiedliche Weise zu Ausgangspunkten sozialistischer Transformation werden können. Für Wright folgt daraus, und ich stimme ihm hier ausdrücklich zu, dass keiner der genannten sieben Wege für sich genommen zu einer stabilen ökonomischen Demokratisierung führen kann.35 Exakt dies, die umfassende Demokratisierung ökonomischer Entscheidungen, ist der zentrale Inhalt eines Sozialismusverständnisses, das nach maximaler zivilgesellschaftlicher Kontrolle über Produktion, Ressourcenallokation und Güterverteilung strebt.

Die Implikationen einer solchen Sozialismus-Konzeption sind ebenso originell wie aufregend. Sozialistische Handlungsfähigkeit kann in marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaften auf höchst unterschiedliche Weise entstehen. Etatistische sozialdemokratische Regulation und Reform von oben sind unter Umständen ebenso zielführend wie eine kooperative Unternehmensorganisation, die genossenschaftliche Produktion in der Energiewirtschaft oder ein Journalistenkollektiv in Nischen der digitalen Ökonomie. Solche Wege zu gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit können durchaus mit Strategien korrespondieren, die den offensiven Bruch mit dem Kapitalismus, die Enteignung und Sozialisierung von Großkonzernen und die Entmachtung des gewinnorientierten Topmanagements anstreben. Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil, nur eine substanzielle Entwicklung auf allen diesen Wegen zusammen würde »eine fundamentale Transformation der kapitalistischen Klassenbeziehungen und ihrer Machtstrukturen bedeuten«.36

Wie beim elementaren Dreieck des Sozialismus geht es auch bei der Heuristik sozialistischer Handlungsfähigkeit um Gleichheit. Wright verschiebt den Fokus jedoch von materiell-substanzieller Gleichheit stärker in Richtung von Entscheidungsmacht und demokratischer Partizipation. Zudem trägt das Dreieck gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit sozialistischem Pluralismus besser Rechnung als die ursprüngliche Heuristik. Zieht man unterschiedliche Wege zur Herstellung zivilgesellschaftlicher Handlungsfähigkeit in Betracht, gibt es keinen Grund, dass sich Sozialist:innen zu Beginn des 21. Jahrhunderts einsam fühlen müssten. Sie finden Verbündete in verschiedensten sozialen Bewegungen, in unterschiedlichen Parteien und auch in politischen Spektren, die das S-Wort bewusst ablehnen. In einem Cäsarismus, wie ihn Max Weber am Beispiel von Bismarcks Sozialreformen beschrieben hat, vermögen sie das zu erkennen, was an Überschüssigem über bloße Integrationsabsicht hinausweist. Reformen von oben, die von oppositionellen oder gar revolutionären Bewegungen erzwungen werden, können noch immer eine erfolgversprechende Strategie sozialistischer Handlungsfähigkeit sein. Wahrscheinlich sind sie in nächster Zukunft zumindest für Europa der einzige Weg, der mit einigen Erfolgsaussichten überhaupt beschritten werden kann. Doch um einen Reformpfad wirklich ansatzweise ausloten zu können, genügt auch Wrights Kompass sozialistischer Handlungsfähigkeit nicht. Wollte man allen politischen Kräften, die sich in Deutschland zumindest nominell und in positiver Weise auf kooperative Marktwirtschaft und sozialen Kapitalismus beziehen, sozialistische Handlungsfähigkeit bescheinigen, reichte das Spektrum von Teilen der Linkspartei bis zur AfD.37

Die Utopie des Sozialismus

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