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Das elementare Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit
ОглавлениеAm besonderen Charakter der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise ändern solche Überlegungen nichts. Das Spezifische dieser Krise wurzelt darin, dass ein »›Aufschließen‹ aller nationalen Ökonomien zu den Produktions- und Konsumptionsweisen der am stärksten entwickelten Industriegesellschaften […] den Planeten unbewohnbar machen« würde.55 Die dadurch heraufbeschworene Krise muss jedoch, was Nachhaltigkeitsziele wie das einer vollständigen Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft bis 2050 einklagen, ein Ende finden, wenn die Störungen des Erdmetabolismus nicht außer Kontrolle geraten sollen.
Das formationsprägend Kapitalistische dieser Krise wird durch einen besonderen Modus Operandi bewirkt, der den Stoffwechsel zwischen menschlicher und außermenschlicher Natur im Netzwerk des Lebens organisiert. Wie gezeigt, beinhaltet das dem Kapital eigene rastlose Streben nach Aneignung von Mehrarbeit ein expansives Verhältnis zu Naturressourcen, das die letztendlich absoluten, innerhalb unterschiedlich großer Handlungskorridore aber äußerst variablen Grenzen missachtet, die jeder metabolischen Ordnung eigen sind. Immanente kapitalistische Bearbeitungen des Widerspruchs zwischen planetarischen Grenzen und unendlichem Expansionsdrang bewegen sich im Rahmen des sogenannten Lauderdale-Paradoxons, das einen Spezialfall kapitalistischer Landnahmen darstellt. Demnach kann privates Vermögen an Boden und Naturschätzen nur durch die Zerstörung öffentlichen Vermögens ausgeweitet werden. Auf diese Weise wird Mangel an etwas erzeugt, das, wie Wasser, Boden und saubere Luft, als Gemeingut zuvor reichlich vorhanden war. Genau so funktioniert der soziale Mechanismus, mit dessen Hilfe der Klimawandel im Kapitalismus bearbeitet wird. Die Biosphäre, zuvor Gemeingut, wird eingepreist, Emissionsrechte werden zu mehr oder minder knappen, in jedem Fall aber handelbaren Gütern, und die Erderhitzung erweist sich im optimalen Fall als lukratives Anlagenfeld. Das jedenfalls besagen marktaffine Theorien, die sich in der Praxis hingegen zumeist als Versuche erweisen, den Pudding an die Wand zu nageln.
Abb. 3: Elementares Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit
Quelle: eigene Darstellung.
Das Kapitalozän, so lässt sich resümieren, taugt nicht als Gegenbegriff zum Anthropozän, angemessener lässt es sich als formationsspezifische Konkretion der allgemeineren Definition eines neuen Erdzeitalters verstehen. Aus den Besonderheiten der ökonomisch-ökologischen Zangenkrise und dem Übergang zum Anthropozän-Kapitalozän ergeben sich die elementaren Koordinaten gesellschaftlicher Nachhaltigkeit, die den Eckpunkten der beiden zuvor skizzierten Dreiecke übergeordnet sind. Das elementare Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit umfasst (a) eine gemeinsame Nutzung der Natur, was private Inbesitznahmen natürlicher Ressourcen ausschließt; (b) eine rationale Regulierung des Erdmetabolismus durch frei assoziierte Produzent:innen, die sich an sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitskriterien orientieren, sowie (c) eine Befriedigung gemeinschaftlicher Bedürfnisse, die auch den Bedarfen künftiger Generationen Rechnung trägt.
Dieses Dreieck entspricht im Wesentlichen der Nachhaltigkeits-Formel, wie sie Ulrich Grober pointiert formuliert hat. Danach muss sich jede Politik künftig an zwei Kriterien »messen lassen«56; erstens: Reduziert sie den ökologischen Fußabdruck, und sinken die Emissionen? Zweitens: Steigt – für jede und jeden frei zugänglich und auch für künftige Generationen – die Lebensqualität? Das im Anschluss an John Bellamy Foster57 entwickelte Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit, das ich vorschlage, geht noch einen Schritt über Grobers Formel hinaus. Es signalisiert, dass der Zwang zu permanenten Landnahmen gebrochen werden muss, um eine Wende zugunsten sozialer wie ökologischer Nachhaltigkeit einleiten und verstetigen zu können. Doch ist der in dem von mir vorgeschlagenen Dreieck angedeutete Zusammenhang von Zangenkrise, Nachhaltigkeit und ökologischem Sozialismus wirklich zwingend?