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Die ökonomisch-ökologische Zangenkrise
ОглавлениеNicht allein bezahlte Lohn- und Erwerbsarbeit, sondern Arbeit als lebenspendender Prozess bestimmt auch den Stoffwechsel mit der außermenschlichen Natur. In ihrer kapitalistischen Anwendungsform haben sich verschiedene Bereiche eigentlich lebenspendender Arbeit jedoch mehr und mehr in eine ökologische Destruktivkraft transformiert. Neben der Erwerbsarbeit sind zunehmend auch die Freizeittätigkeiten, die Konsum- und Statusarbeiten an Störungen der Gesellschafts-Natur-Beziehungen beteiligt. Bei der Metamorphose dieser Tätigkeiten handelt es sich über längere Zeiträume hinweg um einen graduellen Prozess, der mit dem Übergang zum industriellen Kapitalismus einsetzt. Permanente und beschleunigte Interventionen in den arbeitsvermittelten Metabolismus von Mensch und Erde, die dem schrankenlosen Bedürfnis des Kapitals nach Aneignung von Mehrarbeit entspringen, setzen erst mit der Industrialisierung ein. Die Entstehung des Industriekapitalismus fällt mit dem Übergang zu raschem, permanentem Wirtschaftswachstum zusammen. Anfangs überwiegen die Vorteile der industriell-kapitalistischen Produktionsweise. Über Verteilungskonflikte vermittelt, können auch erhebliche Teile der beherrschten Klassen in den industriellen Zentren vom Produktivitätswachstum profitieren.
Doch die kapitalistische Nutzungsform deformiert die Produktivkraftentwicklung. Technologie und Technik werden in einer Weise entwickelt, die lineare und vor allem beschleunigte Eingriffe in ökologische Kreisläufe erfordert. End-of-Pipe-Technologie sorgt dafür, dass Naturzerstörung nicht schon bei ihrer Entstehung und ihren Ursachen, sondern erst mit Eintreten ihrer schädigenden Wirkungen bekämpft wird. Solche Fehlentwicklungen sind Ausdruck eines ökologischen Bruchs, den Marx und Engels in seiner Ursprungsform durchaus gesehen haben. Um diesen Bruch zu analysieren, nutzt Marx den Metabolismusbegriff, den er von dem Chemiker Justus von Liebig übernommen hat. Metabolismus »erfasst den komplexen biochemischen Austauschprozess, durch den ein Organismus (oder eine bestimmte Zelle) Material und Energie aus seiner Umgebung bezieht und diese durch verschiedene metabolische Reaktionen in Bausteine des Wachs tums verwandelt«.25 Marx verwendet diesen Begriff, um Arbeit als lebenspendenden Prozess zu begreifen, der die Reproduktion natürlicher Ressourcen einschließt.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass der häufig als großer Vereinfacher kritisierte Friedrich Engels Marx in der Analyse eines zulasten der Natur gehenden ökologischen Expansionismus in nichts nachsteht. In Die Lage der arbeitenden Klasse in England beschreibt Engels detailliert Luftverpestung, Wasserverschmutzung und die daraus resultierenden gesundheitlichen Probleme als Teil der Lebensbedingungen des Industrieproletariats.26 Unter Berufung auf Schriften Liebigs beleuchtet er in der »Wohnungsfrage« das ökologische Destruktionspotenzial großer Städte.27 Sein Plädoyer für eine Aufhebung des Stadt-Land-Gegensatzes kann mit ein wenig Fantasie durchaus als frühe Vision einer ökologischen Kreislaufwirtschaft gelesen werden. Dementsprechend hat Engels lineares Fortschrittsdenken, das allzu oft als Charakteristikum Marx’scher Theorie attackiert wird, mit harscher Kritik bedacht:
Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. […] Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.28
In ihrer Dialektik der Aufklärung argumentieren Horkheimer und Adorno mit kaum größerer Präzision, wenn sie feststellen, dass jeder »Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird«, »nur um so tiefer in den Naturzwang hinein« gerät.29 Allerdings, darauf weisen die beiden Vordenker der Frankfurter Schule mit Recht hin, ist das, was Engels als Vorzug der menschlichen Gattung betrachtet, im entwickelten Industriekapitalismus allenfalls noch eine vage Möglichkeit. Denn trotz und teilweise auch wegen sprunghafter naturwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritte befinden wir uns inmitten eines gesellschaftlichen Umbruchs, der als ökonomisch-ökologische Zangenkrise mit lebensbedrohlichem Gefahrenpotenzial bezeichnet werden kann. Dieser Begriff, der dem ökosozialistischen Diskurs entlehnt ist30, hebt hervor, dass sich in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zwei langfristige Entwicklungslinien kreuzen, die beide mit der industriellen Revolution eingesetzt haben: rasches und permanentes Wirtschaftswachstum einerseits und beschleunigter Energie- und Ressourcenverbrauch sowie steigende Emissionen andererseits. Sofern Wirtschaftswachstum überhaupt noch generiert werden kann, zehren die mit ihm verbundenen ökologischen und sozialen Destruktionskräfte den äußert ungleich verteilten Wohlfahrtsgewinn nicht nur auf, sondern – und das ist historisch neu – sie kumulieren sich bis hin zu Schwellenwerten, an denen eine irreversible Destabilisierung globaler Ökosysteme einsetzt.
Zangenkrise besagt somit, dass das wichtigste Mittel zur Überwindung ökonomischer Stagnation und zur Pazifizierung interner Konflikte im Kapitalismus, die Generierung von Wirtschaftswachstum nach den Kriterien des Bruttoinlandsprodukts, unter Status-quo-Bedingungen (hoher Emissionsausstoß, hohe Ressourcen- und Energieintensität auf fossiler Grundlage) ökologisch zunehmend destruktiv und deshalb gesellschaftszerstörend wirkt.31 Diese Zäsur ist keine Krise wie jede andere. Sie erfasst alle sozialen Felder und gesellschaftlichen Teilsysteme. Das wird in Begriffen wie dem der multiplen Krise zu Recht thematisiert.32 Die regulationstheoretische Kategorie der großen Krisen kapitalistischer Akkumulation33 bezieht sich freilich auf das gleiche Phänomen und ist zudem historisch präziser, weil sie qualitative Veränderungen kapitalistischer Vergesellschaftung thematisiert.
In der Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus stellen, aus der Perspektive der industriellen Zentren betrachtet, die Große Depression (1873–1895), die Große Weltwirtschaftskrise (1929–1932) sowie die Neue Depression (1973–1974) große Krisen kapitalistischer Akkumulation dar.34 Derartige Krisen können, wie die Große Depression, lange Zeit andauern, weil die genannten Akteurs-Institutionen-Netzwerke ihre Regulationsfunktion nicht mehr erfüllen, ohne dass neue institutionelle Konfigurationen an ihre Stelle treten. In jedem Fall resultieren solch große Krisen aus der zunehmenden Inkompatibilität von Akkumulationsregimen und Regulationsweisen. Sie sind daher immer Krisen von (Re-)Produktionsmodellen, Staatsapparaten, Ideologien, sozialen Regeln und, soweit vorhanden, von demokratischen Institutionen. Es handelt sich, wenn man so will, stets um »multiple« Krisen, denn kein Funktionssystem, kein soziales Feld bleibt unberührt. Auch sind große Krisen kapitalistischer Akkumulation immer Wegscheiden. Sie können dazu führen, dass ein in die Krise geratener alter durch einen neuen Modus Operandi kapitalistischer Landnahmen abgelöst wird. Es kommt, mit Antonio Gramsci gesprochen, zu einer passiven Revolution, zur Revolutionierung des Kapitalismus in den Grenzen kapitalistischer Vergesellschaftung, um auf diese Weise gesellschaftliche Bedingungen für eine neue Prosperität zu erzeugen.
Doch weder das Konzept der multiplen Krise noch das einer großen Krise kapitalistischer Akkumulation genügt, um das Besondere des Umbruchs einzufangen, den wir gegenwärtig erleben. Dies zunächst aus methodologischen Gründen. Krisen sind überwindbare Zustände. Wenn alles andauernd und irgendwie in der Krise ist, wie das Konzept der multiplen Krise nahelegt, macht das den Krisenbegriff eigentlich überflüssig.35 Deshalb ziehe ich eine Begrifflichkeit vor, die eine klare Hierarchie der Krisenursachen beinhaltet. Gegenwärtig sehen wir uns mit einer epochalen Krise der Gesellschafts-Natur-Beziehungen konfrontiert, die mit dem Übergang zu einem neuen Erdzeitalter, dem Anthropozän36, verbunden ist. Diese Krise kann dann als überwunden betrachtet werden, wenn es gelungen ist, einen Natur-Gesellschafts-Metabolismus zu etablieren, der die Reproduktionsfähigkeit der Netzwerke menschlichen und außermenschlichen Lebens sicherstellt. Misslingt dies, steht das Überleben der Gattung Mensch in ihren uns bekannten Formen auf dem Spiel.