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II Begriffe: Radikaler Humanismus, Postwachstum, Neosozialismus?
ОглавлениеSystemische Mängel und Zusammenbrüche real gewordener Sozialismen vor Augen, erscheinen alternative Bezeichnungen für bessere Gesellschaften manchen heute attraktiver als das belastete S-Wort. Für den Journalisten und einflussreichen Kapitalismuskritiker Paul Mason ist das der Grund, einem radikalen Humanismus das Wort zu reden.1 Doch Mason ergeht es wie manch anderen, die ähnlich vorgehen. Seine Argumentation wirkt gelegentlich so, als sollten sozialistische Zielsetzungen in einer begrifflichen Hülle verfolgt werden, die sie vor einer Kontamination durch geschichtliche Belastungen bewahrt. Das klingt an, wenn der radikale Humanismus mit einem kritischen Rückgriff auf Marx begründet wird. Zwar benennt Mason »wesentliche Konstruktionsfehler« der Marx’schen Theorie, stellt aber sogleich klar, »dass der Marxismus, wenn er von seinen autoritären Impulsen gereinigt wird, weiterhin eine wichtige Grundlage für eine radikale Strategie des Widerstands sein kann«.2 Das klingt ein wenig nach Mogelpackung, denn Marx sah die Alternative zum Kapitalismus zweifelsohne in einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft. Diese Zielsetzung begriffs-strategisch auszublenden, halte ich für einen Fehler. Denn jede Suche nach einer besseren Gesellschaft muss in Erinnerung behalten, was im »Zeitalter der Extreme«3 im Namen revolutionärer Absichten geschehen ist. Deshalb ergibt es Sinn, die höchst widersprüchliche Geschichte des Sozialismus nicht zu verdrängen, sondern sie zu reflektieren, wenn es um die Bezeichnung für postkapitalistische Gesellschaften geht. Das kann nur gelingen, indem der Sozialismusbegriff, statt ihn voreilig ad acta zu legen, mit neuem Inhalt gefüllt wird.