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Krieg

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»Heute weht die deutsche Flagge auf den Türmen Antwerpens, hoffentlich für immer«, schrieb der Courier, Organ der Transportarbeitergewerkschaft im Oktober 1914.49

Die Begeisterung, die bei Beginn des Ersten Weltkrieges durch viele Schichten in Deutschland fegte, erfasste nun endgültig zahlreiche Kader der SPD: »Mit eherner Entschlossenheit, bereit zu allen Opfern an Gut und Blut, voll Vertrauen zu den berufenen Führern, steht das deutsche Volk einig und geschlossen, ohne Unterschied der Partei, in lückenloser Schlachtreihe, um den aufgezwungenen Kampf gegen übermächtige Gegner abzuwehren.«50 So stand es in Gustav Bauers Zeitschrift Der Bureau-Angestellte Mitte August 1914.

Carl Legien, der Vorsitzende der Generalkommission der Gewerkschaften, kannte nicht nur keine Parteien, sondern auch keine Demokratie mehr: »Wie die Dinge liegen, hört die Demokratie in den Gewerkschaften auf, jetzt haben die Vorstände in eigener Verantwortung zu entscheiden.«51


Abb. 5 Deutsche Soldaten auf dem Weg an die Front

Und Philipp Scheidemann vom Parteivorstand betonte im April 1916, man müsse ein politischer Kindskopf sein, wenn man sich einbilde, dass »kein einziger Grenzstein verrückt werden darf«52. Auch Eduard David setzte sich für Annexionen ein, etwa die Belgiens. Im Osten sah er die Dünalinie (in Weißrussland) als ideale deutsche Grenze.53 In Afrika müsse Belgien der Kongo weggenommen werden.54

Der Chefredakteur der Chemnitzer Volksstimme, Ernst Heilmann, schrieb im Sommer 1915, laut Paul Frölich: »Ein Verteidigungskrieg werde dadurch noch lange kein Eroberungskrieg, wenn man am Ende etwas gewinne.«55 Und laut Noske: »In diesem Kampfe bestimmt nur Deutschlands Interesse die Mittel. Zu besonderer Schonung sind wir gegen niemand mehr verpflichtet.«56

Heilmann meldete sich freiwillig und erhielt einen Kopfschuss, der ihn ein Auge kostete. Er wurde noch später als Jude und Sozialdemokrat von den Nazis ins KZ gesperrt und ermordet. Sein ganzer Nationalismus hatte ihm nichts genützt.

Redaktionskollege Noske hatte schon im Mai 1915 festgestellt: »Nur ein Idiot kann für den Status Quo vor dem Kriege sein.«57 Noske war auch Anhänger von Bethmann Hollwegs imperialistischem Septemberprogramm58 mit Groß-Deutschland und Österreich-Ungarn als Kern und den Mittel- und Kleinstaaten Europas als Satelliten.

Keiner jener Arbeiterbürokraten verschwendete einen Gedanken daran, dass dieser »Verteidigungskrieg« gegen den russischen Bären mit dem Überfall auf Belgien und Frankreich begonnen hatte. Um ihn durchhalten zu können, unterstützte man den »Kriegssozialismus« Ende 1916 mit einem Hilfsdienstgesetz, das die Fabrikdisziplin zur Militärdisziplin (Arbeitszwang) verschärfte und für welches man minimale soziale Zugeständnisse erhielt.59 Noch Jahrzehnte später würden SPDHistoriker das Opfern von Millionen Proletariern als für die Sozialreform lohnend erkennen.60

Und Bauer glaubte, dass die feindlichen Staatsmänner endlich einsehen müssten, »dass Deutschland nicht besiegt werden kann«61. Aber nicht einmal das Dreiklassenwahlrecht (zum preußischen Landtag) wurde während des Kriegs in ein allgemeines Wahlrecht umgewandelt wie von der SPD gefordert, wo doch Ludwig Frank (SPD) das Bonmot kreiert hatte: »Statt eines Generalstreiks führen wir fürs preußische Wahlrecht einen Krieg.«62 Er starb schon einen Monat nach dem Überfall Deutschlands auf Frankreich als Kriegsfreiwilliger an der Front. Ein allgemeines Wahlrecht bekam Preußen erst durch die Revolution.

Je länger der Krieg dauerte, je mehr Menschen in Deutschland durch Misswirtschaft und die britische Blockade verhungerten – am Schluss waren es mindestens 700 000 –, umso mehr kehrte bei einigen Sozialdemokraten die Fähigkeit zurück, sich auf ihre antimilitaristischen Wurzeln zu besinnen.

Hatte Liebknecht, nachdem er in Belgien die Massaker der deutschen Truppen gesehen hatte, als Erster im Reichstag (Dezember 1914) gegen die Kriegskredite gestimmt, waren es im März 1915 schon 30 SPD-Abgeordnete, die durch Fernbleiben der Abstimmung ihre Zustimmung zum imperialistischen Krieg versagten.63


Abb. 6 Deutsche Soldaten mit Gasmasken und Muli

Jetzt wandte sich sogar der Revisionist Eduard Bernstein gegen Kredite.64

Als er im Mai 1915 im Reichstag gegen die Versenkung des amerikanischen Passagierdampfers »Lusitania« durch deutsche U-Boote protestierte, rief ihm sein Parteigenosse Bauer zu: »Auch Bismarck hat 1871 Paris ausgehungert.« Im Juni 1915 wandten sich Bernstein, Haase und Karl Kautsky in einem berühmten Aufruf gegen den Krieg.

Ebert: »Den Etat bewilligen wir dem Volke« – und nicht der Arbeiterklasse. »Würden wir jetzt das Budget ablehnen, so hieße das, der Regierung das Schwert aus der Hand schlagen.«65 Und sein Freund Bauer betonte, dass die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse mit denen um seine Existenz ringenden Deutschlands übereinstimmten.66

Haase trat im Dezember 1915 von seinem Posten als Fraktionsvorsitzender zurück und hielt im März 1916 – für die Führung der SPD unerwartet – eine flammende Rede gegen die Annexionspolitik der Regierung. Er begründete damit die Ablehnung weiterer Kriegskredite. Diese Rede veranlasste die führenden Männer der SPD zu Zwischenrufen67:

Scheidemann (SPD): »Drecksseele!«

Ebert (Parteivorsitzender SPD): »Schamloser Kerl. Frecher Halunke!«

Bauer (Generalkommission, SPD): »Die Judenjungen müssen raus!«

Legien (Generalkommission, SPD): »Mit der Judenbande muss Schicht gemacht werden.«

Damit meinten Bauer und Legien ihre Parteigenossen aus der Minderheit der SPD-Kriegsgegner: die Juden Oskar Cohn, Joseph Herzfeld, Arthur Stadthagen sowie Emanuel Wurm, Eduard Bernstein und Haase selbst. Einige SPD-Genossen versuchten zudem mit Fäusten auf ihren Ex-Fraktionsvorsitzenden einzuschlagen.

Die Spaltung der Partei war damit durch einfache Gewalt, garniert mit Antisemitismus, besiegelt. Haase und die anderen Dissidenten wurden aus der Fraktion ausgeschlossen68 und bildeten eine eigene sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft (SAG).

Der Ebert-Biograf Walter Mühlhausen erklärte 2006: »Die Minderheit zog die Konsequenz, verließ die Fraktion und bildete noch am gleichen Tag eine eigene Fraktion.« Nur »verließen« sie nicht die Fraktion, sie wurden hinausgeworfen.

1917 gründete sich aus der SAG, nachdem deren Mitglieder auch aus der SPD geworfen worden waren, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD), die durch die Kriegsgegnerschaft zusammenhielt, aber z. B. bei der Frage des Massenstreiks in mehrere Flügel zerfiel, von denen Liebknechts und Luxemburgs »Spartakusbund« am radikalsten links stand.

Die Verbliebenen nannten sich nun Mehrheitssozialdemokraten (MSPD). Fortan wird jedoch für diese Partei weiter das Kürzel SPD benutzt.

Die, die hinausgeworfen wurden und sich in der USPD sammelten, waren nur einig in ihrer Haltung gegen den Weltkrieg, es trennte auch sie das Für und Wider zum Massenstreik und später das zur Nationalversammlung bzw. Rätemacht. Bernstein, Kautsky, Haase und Dittmann fürchteten den Massenstreik und waren für die Nationalversammlung. Cohn, Däumig, Barth, Ledebour, Liebknecht und Luxemburg waren Räte- und Massenstreikanhänger.

Und die SPD-Führung machte nach der Spaltung Nägel mit Köpfen.

Die wichtigsten Parteizeitungen erlebten ihre Feuertaufe. Erst in Schwaben69, dann in Berlin. Dort wurde im Herbst 1916 mit der »Judenbande Schicht gemacht«. Die »Judenjungen« Rudolf Hilferding, Heinrich Ströbel, Arthur Stadthagen, Ernst Däumig und Ernst Meyer70 wurden aus der Redaktion der Schwäbischen Tagwacht hinausgeworfen. Auch »linke Arier« bekamen den Laufpass. So entzog man Clara Zetkin die Frauenzeitung Gleichheit und Karl Kautsky wurde aus der Neuen Zeit entfernt. Letzteren ersetzte man durch den qua »Augusterlebnis« zum Sozialimperialisten gewordenen Heinrich Cunow.71 Der Antisemitismus der führenden SPD-Männer galt nicht für rechte »Judenjungen«. Ernst Heilmann wurde nie aus der Chemnitzer Volksstimme verbannt. Und Friedrich Stampfer hielt den Vorwärts fortan auf Kurs. Als der Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht auf einer Friedensdemonstration im März 1916 verhaftet wurde, sprach sein ehemaliger Parteigenosse Landsberg von »krankhafter Nervosität«.72

November 1918 – Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts

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