Читать книгу HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER - Klaus Hübner - Страница 11
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Splitter eines Lebens. Bezwingende Prosa von Jürgen Becker
Im Jahr 2014 erhielt der 1932 in Köln geborene Jürgen Becker den renommierten Büchner-Preis, und das ganze Land war sich einig: Er habe den Preis mehr als verdient, und die Auszeichnung komme Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zu spät. Beides ist richtig. Ein grandioser Autor von Gedichten und Prosa, die Hörspiele nicht zu vergessen, das ist dieser Künstler seit mehr als fünfzig Jahren. Bände wie Felder (1964) oder Ränder (1968) fanden bei Insidern oft bewundernde Beachtung, doch erst Erzählungen wie Der fehlende Rest (1997) und Romane wie Aus der Geschichte der Trennungen (1999) machten den mit der Künstlerin Rango Bohne im Bergischen Land lebenden Rundfunkmann einem größeren Publikum bekannt. Viele Leser sind inzwischen süchtig nach seiner präzisen, gelassenen und im mehrfachen Wortsinn coolen Prosa. Auch Beckers neuer »Journalroman« bietet eine glänzende Gelegenheit zum Süchtigwerden.
Natürlich hat der Autor von Schnee in den Ardennen (2003) den »Journalroman« nicht erfunden – aber er hat ihn perfektioniert, hat »Journalsätze« zu souveräner, unverwechselbar rhythmisierter Prosa geordnet. In einigen seiner Bücher taucht ein gewisser Jörn Winter auf, und in Jetzt die Gegend damals ist er wieder da: eine Figur, die für ihren Autor eine eigenständige Identität besitzt, hinter der man aber unschwer den Schriftsteller Jürgen Becker erkennt. »Die Zeit vergeht, und Jörn wird alt« – so geht es los. Jörn erinnert sich, beobachtet, überlegt, und weil er von längst Vergangenem ebenso erzählt wie von Heutigem wie etwa der Griechenland-Krise, passt der Buchtitel ganz wunderbar. Auch weil klar ist: »Was ich heute erlebe, ist nicht mehr das, was mir im nächsten Jahr die Erinnerung an den heutigen Tag dazu sagt.« Seit je ist Becker fixiert auf den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen, auf die prägenden Jugendjahre, die er im nach und nach zerbombten Köln, in Thüringen oder an der Ostsee verbracht hat. Auch bekannte Becker-Motive wie der Schnee, die Vögel, die Felder und Gehöfte, das Autofahren, der Bahnhof von Erfurt oder der Hafen von Ostende fehlen nicht. »Um was geht es dir denn?«, wird Jörn gefragt. »Es gibt kein Konzept, sagt er, aber ich möchte herausfinden, was ich noch sagen kann, was ich noch weiß.« Er weiß noch viel, sehr viel, und er kann es sagen, auch im Alter.
Jürgen Becker: Jetzt die Gegend damals. Journalroman. Berlin 2015: Suhrkamp Verlag. 162 S.