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… herbstwärts das leben hinab. erdanziehung – Neue Gedichte von Wulf Kirsten

Kürzlich wurde Wulf Kirsten fünfundachtzig Jahre alt, und es gereicht der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung durchaus nicht zur Ehre, diesem eminenten Poeten den Büchner-Preis vorenthalten zu haben. Seit einem halben Jahrhundert schreibt er Gedichte, die sich in die europäische Tradition freirhythmischer Landschaftsdichtung einfügen lassen und dennoch, sozialethisch grundiert, nicht darin aufgehen. Der Echoraum von Brockes und Herder bis Bobrowski und Huchel bleibt auch in erdanziehung präsent, schiebt sich aber nirgends in den Vordergrund. Die Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts, »als die produktion von volksfeinden auf vollen touren lief, ab in den gulag«, schimmert überall durch, und die Gegenwart, unterwegs nach Absurdistan, lässt sich nicht ignorieren. Noch einmal zeigt Kirsten, was er kann: Dichtung auf der Höhe der Zeit.

Zeitkritik gerinnt zum prägnanten Sprachbild: »dunkelmanngemunkel« herrscht fast überall, »eurokrawalleristen von unergründlicher geistesbeschränktheit« machen sich breit, heftige »vertrauensschwindsucht bei sozialer schieflage« ist zu beobachten, und Kultur »degeneriert zur sättigungsbeilage«. Auch scheint eine gewisse Seinsvergessenheit um sich zu greifen: »… es fragt sich nur, wer noch wollte / und sollte das überirdische hören, wo / alle ohren verstöpselt, alle blicke / weltab gerichtet auf smartphones, / die dazu verhelfen, nicht mehr gewahr / zu werden die sie umfangende welt.« Dass der lyrische Blick öfter auf die eigene, alles andere als idyllische Kindheit fällt, darf nicht verwundern: »… allen unrat, den der krieg hinterließ / an stahlhelmen, gasmasken, feldspaten / in die steinbrüche geschaufelt / straßenrandgräber, biographien ausgelöscht … wer war denn ich, / der dies erlebt haben soll? …«. Auch treffliche Gedenkblätter enthält dieser Band, Hommagen an Lyonel Feininger, Joseph von Eichendorff oder den Erfurter Lyriker Johann Jeremias Kummer. Gedichte zum Immer-Wieder-Lesen entstanden zwischen 2011 und 2018 – bukowinisch heißt eines von denen, die man gewiss nicht mehr vergisst.


Wulf Kirsten: erdanziehung. Gedichte. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2019. 93 S.

HIPPIES, PRINZEN UND ANDERE KÜNSTLER

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