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Goethes allzu braver Schweizer Freund
Eine solide Biografie bringt uns Johann Heinrich Meyer näher

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Das erste umfassende biografische Porträt von Goethes fast lebenslangem Freund, dem Maler und Kunstkenner Johann Heinrich Meyer, ist eine erfreulich solide Sache, ganz im Gegensatz übrigens zu einer neuen Merck-Biografie aus dem gleichen Verlag. Sein Autor, der Germanist und Historiker Jochen Klauss, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Goethe-Nationalmuseum in Weimar und ein durch zahlreiche Goethe- und Weimar-Studien ausgewiesener Kenner der Materie, und er kann so lesbar, ja teilweise spannend schreiben, dass Übersetzungen aus dem Germanistischen ins Deutsche an keiner Stelle notwendig sind. Und flüssig, ja spannend zu schreiben ist kein geringes Kunststück bei einem so verdienten wie bedächtigen Mann wie dem »Kunschtmeyer«. Spannend ist auf jeden Fall die Epoche, die hier, manchmal ein wenig zu heimatkundlich auf Weimar fixiert, souverän vor Augen geführt wird. Klauss zitiert dabei ungewöhnlich viel, ohne dass dies den Fluss seiner biografischen Prosa groß störte, und was wirklich zu viel gewesen wäre, hat er in den umfangreichen, zur wissenschaftlichen Brauchbarkeit seines Buches ganz wesentlich beitragenden Anhang verbannt. Die Wissenschaftler dürften an dieser akkuraten Darstellung wenig auszusetzen haben und wohl hauptsächlich gerade das kritisieren, was das Buch für ein breiteres Publikum interessant macht – die beherzten Urteile des Biografen, die Farbe und Schwung in sein Werk bringen. Was dem »Kunschtmeyer« gewiss nicht schaden kann. Denn weshalb soll man sich ausgerechnet mit diesem am 16. März 1760 in Stäfa am Zürichsee geborenen und am 14. Oktober 1832 in Jena gestorbenen Künstler näher beschäftigen? Immerhin hat der Mann nicht den allerbesten Ruf, was Jochen Klauss gleich auf den ersten Seiten unter der Überschrift »Der Langweiler« aufgreift, ja aufgreifen muss, um uns dennoch für seinen Gegenstand einzunehmen. Er sieht in den teilweise gehässigen Vorurteilen gegen den »wichtigsten und verlässlichsten Freund und Berater« Goethes die Ursache dafür, dass es bislang keine umfassende Meyer-Biografie gibt, sondern nur ein paar Spezialstudien über den Maler und Kunsttheoretiker. Klauss hingegen verspricht, sich dem »Menschen« Meyer zuzuwenden, seine Rolle innerhalb der Weimarer Szene und vor allem seinen Anteil am Leben Goethes zu beleuchten und darüber hinaus den Wohltäter der Stadt Weimar sowie den Schweizer Kulturbotschafter gebührend zu würdigen. Dabei sollen, so verspricht der Autor weiter, Leben und Leistungen Meyers sachlich geschildert und individuell gewürdigt werden, damit dieser wackere Mann in Zukunft auch ohne den ständigen Seitenblick auf Goethe als bedeutende Persönlichkeit seiner Zeit gelten möge. Ein hoher Anspruch, den Klauss da in seiner Einleitung aufbaut. Ein zu hoher?

Kenntnisreich schildert Klauss die Kindheit und Jugend Meyers in Stäfa und Zürich – und das bei dürftigster Quellenlage. 1776 jedenfalls gibt seine Mutter Dorothea Billeter den zeichenbegabten Knaben bei dem Formenschneider und Maler Johannes Koella aus Stäfa in die Lehre, 1778 wechselt er zu Johann Caspar Füssli in die Kunst- und Gelehrtenmetropole Zürich, wo der junge Mann seine entscheidende geistige Prägung erfährt. Die Abschnitte über Zürich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, über die Lehr- und Gesellenzeit Meyers und über sein bildungshungriges Hineinwachsen in die griechische Kunstwelt Johann Joachim Winckelmanns gehören zu den besten und instruktivsten Teilen dieser Biografie. Ihr Fazit lautet: »Meyer war ein Kind seiner Zeit; seine charakterliche Entwicklung war abgeschlossen, bevor Goethe ihm begegnete.« Bald geht es zum ersten Mal nach Italien: »Die deutsche Künstlerkolonie in Rom hatte, als Meyer und Koella 1784 zu ihr stießen, schon feste Regeln und Traditionen entwickelt, in die sich die Neuankömmlinge glücklich einfügten.« Meyer widmet sich mit unerschütterlichem Ernst seinen Kunststudien und gilt den leichtsinnig-lebenslustigen Kollegen bald als ungeselliger Eigenbrötler. Dass er jedoch als disziplinierter Autodidakt konsequent seinen künstlerischen Zielen zustrebt, »immer fest, immer sachlich« – genau das bringt ihm die Bewunderung des 1786 nach Rom gelangten Goethe ein. Klauss bezeichnet dieses Zusammentreffen, dessen in der Italienischen Reise geschilderte Umstände nebenher ein wenig korrigierend, ohne Umschweife als »Glücksfall« und »Lebenswende«, und er hat damit vollkommen recht. Denn: »Das 1787 hier beginnende innige Verhältnis – seltener Fall in Goethes Leben – sollte über vierzig Jahre lang harmonisch und ungetrübt bleiben«. Zunächst freilich hofft Meyer auf Goethes gute Beziehungen, und er hofft nicht vergebens. Der Dreißigjährige erhält ein zwar bescheidenes, aber sicheres herzoglich-weimarisches Stipendium, das ihm den weiteren Italienaufenthalt und seine Kunststudien ermöglicht und eine solide Zukunft in Thüringen eröffnet.

Im November 1791 trifft Johann Heinrich Meyer in Weimar ein. Er wird sogleich in die Goethesche Familie aufgenommen und damit in die bessere Gesellschaft des Städtchens. Er erwirbt sich beim Umgestalten des Hauses am Frauenplan große Verdienste und ist auch später als kompetenter Bauleiter tätig. »Keine der bedeutenden klassizistischen Baumaßnahmen in Weimar wurde ohne ihn, ohne seine aktive Mitarbeit durchgeführt.« Der Hausfreund fungiert als beständiger und verlässlicher Beschützer Christianes und des kleinen August, wenn das Familienoberhaupt auf Reisen ist – und er zeichnet und malt, unter anderem das bekannte Aquarell Christiane und August. Er malt Goethe derart objektiv und naturgetreu, dass der Freund zusammenzuckt – so dick ist er und so grämlich schaut er drein? Außerdem betätigt sich Meyer als Kunstschriftsteller und wird Lehrer an der »Freien Zeichen-Akademie«, später gar ihr Direktor. Goethe schreibt am 14. September 1795 an Schiller: »Es ist ein herrlicher Mensch.« Ende 1795 geht es ein weiteres Mal nach Italien – ohne Meyer hätte Goethe seine Lebensbeschreibung Benvenuto Cellinis nicht verfertigen können. Aber Meyer wird schwer krank in Florenz und rettet sich im Sommer 1797 nach Stäfa, wo bald auch Goethe eintrifft. Was die beiden im Zürcher Gasthof »Zum Schwert«, auf Johannes Eschers Landgut bei Herrliberg, in der »Krone« zu Stäfa, am Gotthard und anderswo treiben, ist gut belegt, und Klauss erzählt es sehr anschaulich. Ende 1797 sind die beiden wieder in Weimar, und bald machen sie sich an die Vorbereitung der Kunstzeitschrift Propyläen, in der sie das umfangreiche Material ihrer italienischen Kunststudien publizistisch ausschlachten wollen – und sich dabei bald in jahrelange Querelen mit den Romantikern verstricken, deren heftigste anti-klassizistische Zornesausbrüche sich gegen Meyer richten werden. Doch Meyer bleibt, auch in den späteren Essays und Polemiken in der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung oder, nach 1816, in Ueber Kunst und Alterthum, fest bei seinen Grundüberzeugungen. Herzog Carl August betraut ihn mit der Aufsicht über die künstlerische Ausgestaltung des Residenzschlosses, und Meyer hat, wie Klauss hervorhebt, einen wesentlichen und meist unterschätzten Anteil am Zustandekommen dieser architektonischen Perle. 1803 heiratet er eine Adelige, Amalie Caroline Friederike von Koppenfels. Ihre zweiundzwanzig Ehejahre müssen sehr glücklich gewesen sein, auch ohne Kinder, und wenn es Meyer weniger gut geht, hilft stets die Heimatluft Stäfas. Er ist bis zu seinem Tod ein anerkanntes Mitglied der so ehrbaren wie klatsch- und intrigenreichen Weimarer Gesellschaft, die er mit lakonischen Äußerungen, trockenen Kommentaren und treffenden Aperçus zu unterhalten und bisweilen durch Kostproben seines Heimatdialekts zu entzücken weiß – Johanna Schopenhauer und andere Zeugen berichten oft Köstliches über den drolligen Humor des »Kunschtmeyer«, den Klauss auch als Vertrauten der jungen russischen Großfürstin Maria Pawlowna porträtiert, der Enkelin der Zarin Katharina II., die seit 1804 in Weimar residiert und sich mit Meyers Hilfe den humanistischen Geist des klassischen Weimar anzueignen sucht. Für ihre drei Mädchen entsteht unter Meyers Leitung der »Prinzessinnengarten« in Jena, und auch in Weimar tut Meyer viel Gutes, in künstlerischer wie auch in sozialer Hinsicht. Nach dem Tod der geliebten Frau gönnt er sich noch eine Reise in die Heimat und eine nach Karlsbad – nach dem Hinschied Goethes aber mag er nicht mehr so recht auf dieser Welt sein, und im Prinzessinnenschlösschen zu Jena tut er, dreiundsiebzigjährig, kurz danach seinen letzten Atemzug.

Ein erfülltes Leben, zweifellos. Und doch erinnert man sich, auch nach der Lektüre dieses verdienstvollen, eine grandiose Lebensleistung zu Recht ausführlich würdigenden Buches, an Johann Heinrich Meyer weiterhin nur in Bezug auf Goethe. »Er war die Inkarnation jener Goetheschen Idee vom Lehrer, Diener und Freund in einer Person«, meint sein Biograf, der seine in der Einleitung gemachten Versprechen fast alle einlösen kann – nur das mit dem Schweizer Kulturbotschafter wird, über das Reden im Dialekt hinaus, nicht recht deutlich. Dennoch scheint der Autor dem behaupteten Eigenwert seines Meyers nicht ganz zu trauen. Klauss endet sein detailreiches und auch sehr liebevolles Buch mit einem Satz, der seinen Protagonisten wiederum in den Schatten eines Größeren stellt, aus welchem er ihn doch eigentlich zu befreien gedachte: »Wahrscheinlich war Johann Heinrich Meyer in seiner Standhaftigkeit und Stetigkeit genau der Mensch, den der sich alle zehn Jahre wie eine Schlange häutende Dichter brauchte.«

Jochen Klauss: Der »Kunschtmeyer«. Johann Heinrich Meyer: Freund und Orakel Goethes. Weimar 2001: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger. 358 S.

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