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Ihm war auf Erden nicht zu helfen
Heinrich von Kleist – ein fremder Zeitgenosse

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Ob Der zerbrochene Krug, Penthesilea, Das Käthchen von Heilbronn oder Prinz Friedrich von Homburg – Heinrich von Kleists Dramen werden gespielt, und zwar nicht nur im deutschsprachigen Raum. Seine Erzählungen gelten als Meisterwerke deutscher Prosa, und sie werden auch gelesen, Michael Kohlhaas vor allem, Die Marquise von O … und Das Erdbeben in Chili. Die Figur des 1777 in Frankfurt an der Oder geborenen und 1811 am Berliner Wannsee zusammen mit Henriette Vogel aus dem Leben geschiedenen Dichters ist, auch durch Film und Populärkultur, zur Ikone romantischer Zerrissenheit und Rastlosigkeit geworden. Reden wir nicht vom Literaturunterricht an Schulen und Universitäten – Kleist ist so präsent wie Goethe, Schiller oder Hölderlin, und womöglich wird sein Werk freiwilliger, öfter und intensiver rezipiert als das der Weimarer Klassiker oder das des genialen Außenseiters aus Württemberg.

In der Germanistik spielt die Kleist-Forschung seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle, und wie es sich für Germanisten gehört, waren sich die Forscher keineswegs immer grün. Dass es durchaus unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten gibt, führt ein vornehmlich für Experten belangvoller Sammelband vor Augen, der gerade wegen seiner meist brillant formulierten Heterogenität hochinteressant ist – und uns hier nicht weiter beschäftigen darf. Was auch für Klaus Müller-Salgets Buch gilt. Seine konzise und solide Einführung in die Materie fasst das heutige Wissen um Kleists Biografie und die Erkenntnisse zu seinen Werken sehr gekonnt zusammen und gewinnt nicht zuletzt durch die Bibliografie an Format. Trotz dieser beiden gelungenen Publikationen muss man aber die lang erwartete Biografie in den Vordergrund stellen, in der Rudolf Loch, zu DDR-Zeiten ein unermüdlicher Initiator der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte in Frankfurt an der Oder und bis 1994 deren Direktor, sein lebenslanges Bemühen um den Dichter auf spannende Art und Weise ausgebreitet hat.

Loch schreibt ein elegantes, angenehmes und eingängiges Deutsch, das dem erfolgreichen Genre der wissenschaftlich fundierten und doch mühelos zu lesenden Künstlerbiografie optimal entspricht. Im Gegensatz zu Müller-Salget trennt er die Darstellung des Lebens nicht von der Charakterisierung und Deutung der Werke, ohne die Sphären des Biografischen und des Poetischen zu vermischen. Der Biograf lässt dem Dichter wie auch den Werken ihr Geheimnis – er zeigt auf, wägt ab, fragt, vermutet, stellt infrage. Der Gestus des Behauptens ist diesem Buch fremd, übrigens auch das modische Sicheinbringen nach dem Motto »Ich und Er«, wie man es von Peter Härtling, Dieter Kühn und anderen Literaten kennt. Loch erzählt, getragen von beneidenswert stupender Sachkenntnis, angenehm unaufgeregt und gerade deshalb überzeugend. Und er weiß, wie weit er gehen darf. Beispiel: Kleists durch Albrecht von Haller und Jean-Jacques Rousseau entflammte, damals durchaus nicht ungewöhnliche Schweiz-Begeisterung. Loch erzählt von den rastlosen Reisen durch das Land, von den Schweizer Freunden, von den hier erfahrenen und weitreichenden Impulsen für sein dichterisches Schaffen, von Kleists Versuch einer Existenz als Landwirt und Dichter auf der nachmals berühmten Insel im Thuner See, und er macht ganz deutlich, dass wir darüber nur manches und nicht alles wissen. Punkt. Loch betont, dass Kleist ein sensibler, kluger, zupackender und zugleich zögerlicher Preuße und Europäer in einer widerspruchsvollen Epoche war, nicht nur ihr unglückliches Opfer. Der Dichter, dem »auf Erden nicht zu helfen« war, gilt erst seit hundert Jahren als Zeitgenosse der Moderne – zu Recht, wie Rudolf Lochs uneingeschränkt lesenswerte Biografie beeindruckend verdeutlicht.

Rudolf Loch: Kleist. Eine Biographie. Göttingen 2003: Wallstein Verlag. 540 S.

Klaus Müller-Salget: Heinrich von Kleist. Stuttgart 2002: Reclam Verlag. 359 S.

Anton Philipp Knittel / Inka Kording (Hrsg.): Heinrich von Kleist. Neue Wege der Forschung. Darmstadt 2003: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 299 S.

DERMALEINST, ANDERSWO UND ÜBERHAUPT

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