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Kunst und Lebensklugheit
Die Aphorismen von Johann Heinrich Füssli

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Die deutsche Übersetzung der Aphorisms, Chiefly Relative to the Fine Arts erschien erstmals 1944. In dem achtundsechzig Jahre später vorgelegten unveränderten Nachdruck ist die damalige, immer noch sehr lesenswerte Einführung des Übersetzers und Herausgebers Eudo C. Mason (1901–1969) ebenso enthalten wie seine Anmerkungen, und auch die Tafeln wurden in für ein Taschenbuch akzeptabler Qualität übernommen. Neu ist das Nachwort von Matthias Vogel, der den vornehmlich als Dichter, Maler und Zeichner bekannten Johann Heinrich Füssli (1741–1825) als »eminente Mehrfachbegabung« vorstellt. Kunsttheoretiker war der seit 1779 in London lebende Schüler von Bodmer und Breitinger jedenfalls auch, und diese im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts begonnene Tätigkeit galt ihm gleich viel wie sein künstlerisches Schaffen. Seine Aphorismen sind in Ton und Stil keineswegs einheitlich. Seitenlange ernsthafte Essays sind darunter, aber auch prägnante Zweizeiler. Darunter bedenkenswerte Lebensweisheiten: »Die Wirklichkeit steckt voller Enttäuschungen für den, dessen Freudequellen im Elysium der Fantasie entspringen.« Oder: »Ein durch keine Auswahl beschränktes Trachten nach Vollkommenheit führt unfehlbar zur Mittelmäßigkeit.« Was darf man heute von »Das Genie kennt keinen Mitarbeiter« halten? Und manchem Zeitgenossen, vielleicht auch manchem Unternehmen, möchte man doch einmal deutlich sagen: »Keine Vortrefflichkeit der Ausführung kann Niedrigkeit der Konzeption aufwiegen.« Immer weiter möchte man zitieren – Füsslis Sprüche sind gewiss nicht allein für Kunsthistoriker interessant.

»Füssli ließ nie einen Zweifel daran, dass für ihn die griechische Kunst in ihrer großen Zeit einsame künstlerische Höhen erklommen hatte, die selbst die Renaissance nie ganz erreichte«, schreibt Matthias Vogel. Die klassizistische Grundprägung, für die unter anderem seines Vaters Freunde Johann Joachim Winckelmann und Anton Raphael Mengs gesorgt hatten, hat er bis an sein Lebensende beibehalten. In seiner eigenen, nicht nur auf dem Gebiet der Kunst ungewöhnlich turbulenten Zeit, so legt der 1801 zum Malereiprofessor an der Royal Academy berufene Zürcher Künstler nahe, verliere man das Klassische und Große zunehmend aus den Augen. Wenn Füssli allerdings darauf besteht, dass sich das Wesen der Kunst nicht in deren Gegenständen offenbart, sondern im unmittelbaren Ausdruck der Gefühle, die in ihnen zum Ausdruck gelangen, dann weist das nicht nur auf die Romantik hin, sondern fast schon auf den Expressionismus voraus. Dazu wäre manches zu sagen – Matthias Vogel fasst es so zusammen: »Aus einer starken Verankerung in den Diskursen seiner Zeit weisen gerade seine Aphorismen in vielen Punkten über diese hinaus und sind deshalb nicht nur als historische Quelle, sondern auch als Beitrag zur gegenwärtigen Debatte zu rezipieren.« Das sollte man unbedingt versuchen, und die naturgemäß zeitgebundene Sprache dieser Aphorismen sollte niemanden davon abhalten. Denn Füsslis Reflexionen haben meist mehr Substanz als manche Theorieluftblase von heute.

Johann Heinrich Füssli: Aphorismen über die Kunst. Basel 2012: Schwabe Verlag. 187 S.

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