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8.

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Einige Wochen später hatte ich durch Vermittlung von Mr. D. Gelegenheit, ein Praktikum bei der Firma Mico, einer Tochterfirma der Fa. Bosch aus Stuttgart, zu absolvieren, die in Bangalore mit 5000 Beschäftigten im Wesentlichen Dieseleinspritzpumpen fertigte. Für uns war klar, dass uns Raju auf die Reise in den Nachbarstaat Karnataka begleiten würde. Raju allerdings befürchtete, dass Mr. D. etwas dagegen haben könnte, und versteckte sich bei der Abfahrt im Auto. Es war für ihn die erste Autoreise und der erste Besuch in einem anderen Bundesstaat. Er war daher ziemlich aufgeregt.

Wir verließen die saftig grüne und heiße Küstenebene von Tamil Nadu, aus der immer wieder dravidische Tempelpyramiden ragten, und kletterten auf die kargere und kühlere Hochebene des Dekhan. Unterwegs gerieten wir in einen kleinen Ort, in dem gerade ein Volksfest stattfand. Unter ohrenbetäubendem Trommelklang und großem Geschrei jagte man Stiere mit prachtvoll bemalten Hörnern durch die Menge. Wir waren alsbald im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der Bürgermeister kam zu uns und wollte, wissen, warum Raju mit uns reiste.

In Bangalore hatten wir zunächst kein Quartier, weswegen wir die erste Nacht in einem Rest-House der Regierung übernachteten. Die Bungalows lagen in der Nähe des Parlamentsgebäudes der Staates Karnataka, das kurz nach der Unabhängigkeit Indiens gebaut und an Größe und Pracht alle Parlamentsgebäude der indischen Staaten und im Übrigen auch die entsprechenden Gebäude der meisten Länder der Welt übertrifft. Man hatte sich bei seinem Bau offenbar an den Maßstäben der abgelösten alten Herren orientiert. Wir machten abends einen Spaziergang um das Gebäude, das märchenhaft angeleuchtet war. Unwillkürlich musste man sich dabei aber fragen, ob Indien, bei aller Wertschätzung für die Demokratie, die ihnen die Engländer gelehrt hatten, seinerzeit nicht andere Probleme hatte, als einen solchen Prachtbau für ein bloßes Regionalparlament zu erstellen.

Bei unserem Spaziergang erwähnten wir gegenüber Raju, dass wir nun in einem Gebiet seien, in dem man nicht mehr Tamil spreche. Raju bestritt dies energisch und behauptete, man sehe doch auf den ersten Blick, dass es sich bei den Menschen, die hier wohnten, um "Tamil-men" handele. Da Raju von dieser Meinung nicht abzubringen war, suchten wir unser pädagogisches Heil in einer praktischen Lektion. Als wir an einem Getränkestand vorbeikamen, an dem ein paar Kinder standen, forderten wir Raju auf, mit ihnen zu sprechen. Raju tat dies und sah uns anschließend mit triumphierendem Blick an. Wir hatten das Pech, dass es sich bei den Kindern um Angehörige der tamilischen Minderheit in Karnataka handelte.

Nachts sollte Raju wie immer auf dem Boden neben uns schlafen. Er wurde jedoch, da es für ihn kein Moskitonetz gab, derart von Mücken attackiert, dass wir ihn schließlich unter Verletzung von mindestens tausend Kastengrenzen in Judis geschütztes Bett trugen.

Die folgenden Ereignisse müssen bei Raju endgültig den Eindruck erweckt haben, dass die üblichen Grenzen in den sozialen Beziehungen für uns nicht galten. Wir gelangten am nächsten Tag in einer Weise an ein Quartier, die merkwürdig an die Art erinnerte, in der wir zu Raju gekommen waren. Beim Einkaufen in der Stadt waren wir auf der Straße mit einer Frau aus Deutschland ins Gespräch gekommen, die in Bangalore lebte, wo vor allem wegen des angenehmen Klimas viele westliche Firmen residierten. Sie hatte uns auf unser deutsches Autonummernschild angesprochen. Als sie erfuhr, dass wir ohne feste Bleibe waren, meinte sie, sie kenne einen Deutschen, der ein Gästehaus besitze, welches zur Zeit leer stehe. Sie habe keinen Zweifel, dass wir darin wohnen könnten. Sie brachte uns zu diesem Deutschen, der in Bangalore die Zweigniederlassung eines mittelständigen schwäbischen Unternehmens leitete. Nach kurzer Unterhaltung über unsere Verhältnisse erklärte er uns, dass wir das Gästehaus der Firma bewohnen könnten. Raju muss angesichts dieses Verfahrens an unsere Allmacht geglaubt haben.

Bei dem Haus handelte sich um ein stattliches Anwesen mit einem gepflegtem Garten und allem Komfort, den man sich wünschen konnte. Es wurde offenbar nur selten bewohnt, im Wesentlichen wenn die deutschen Direktoren der Firma einmal im Jahr zu Besuch waren. Dennoch waren das ganze Jahr über Diener im Haus, die es versorgten und pflegten. Nachts wurde es darüber hinaus von einem Wachmann gesichert. Er sprang jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeilief, auf, warf die Decken, in die er sich angesichts der beträchtlichen Kühle der Nacht gehüllt hatte, ab, und rief unter stocksteifem Salutieren „Good evening, Sir!“.

Die Diener lasen uns jeden Wunsch von den Lippen ab. Mit jedem Handgriff, den wir selbst tun wollten, riskierten wir, dass sie beleidigt waren. Insbesondere der Koch machte sich ein Vergnügen daraus, uns mit den ausgesuchtesten europäischen Gerichten zu verwöhnen. Serviert wurden sie auf´s Eleganteste vom Butler auf einem Tisch mit einem blitzblanken weißen Tischtuch. Er verschwand nach jedem Gang im Nachbarraum, kam aber, als könne er durch die Wand sehen, pünktlich beim jeweils letzten Bissen wieder hervor, um abzuräumen und neue Köstlichkeiten aufzutragen. Für Raju gab es, wenn er es wünschte, zusätzlich indisches Essen. Nach all dem, was inzwischen passiert war, glaubte er vermutlich, dass ein solcher Gang der Dinge bei uns normal sei.

Das Haus ermöglichte uns, so etwas wie ein deutsches Familienleben zu führen. In der großen Wohnhalle gab es nicht nur eine kleine Bibliothek mit einer Schallplattensammlung und eine deutsche Sitzecke, sondern auch eine Reihe deutscher Gesellschaftsspiele, wie „Mensch ärgere dich nicht“ „Fang den Hut“ und „Halma“, mit denen wir die Abende verbrachten. Mit viel Witz hatte Raju alsbald den jeweils springenden Punkt herausgefunden und freute sich darüber, uns auf immer neue Weise hereinlegen zu können. Tagsüber spielte Raju mit den Kindern der Diener, die in kleinen, sauberen Häuschen auf dem Grundstück wohnten. Er erntete bei ihnen große Bewunderung, indem er mit erheblicher Geschicklichkeit auf die Bäume kletterte. Ungeschickterweise waren auch die Diener Tamilen, weswegen Raju in seiner Meinung befestigt wurde, dass alle Menschen Tamilen seien, die nicht wie Europäer aussehen. Im Übrigen malte Raju viele Bilder, wobei der Schwerpunkt bei Ansichten des Gartens lag. Auf einem Bild stellte er sich dar, wie er auf der Terrasse des Hauses beim Zeichnen von Bildern saß. Vor die Haustür wollte er nicht gehen, obwohl sich dort ein großer Spielplatz befand. Nachts schlief unter einem Moskitonetz, das über zwei Sessel gezogen war.

Ich selbst war tagsüber bei Mr. K, einem Advocate Supreme Court, den Mr. D. um meine Betreuung gebeten hatte. Er residierte in der Stadt in einem Büro von etwa drei mal drei Metern, dessen Ausstattung im Wesentlichen aus einem Blechtisch für ihn selbst, einem Gartentisch mit einem Bänkchen für die Klienten und einem Bücherregal bestand, in dem sich unter anderem die Werke der Weltliteratur in zig Bänden befanden. Mr. K. wusste nicht so recht, was er mit mir anfangen sollte. Er nahm mich mit zu Gericht, wo wir oft lange herumstanden, ohne dass mir recht klar wurde, worauf wir warteten. Diese Art der Beschäftigung machte offenbar einen wesentlichen Teil der Tätigkeit indischer Anwälte aus, was mir schon bei meinen Gerichtsbesuchen in Madras aufgefallen war. Auf dem Weg durch die diversen Gerichtsgebäude, wo mich Mr. K. kommentarlos von Saal zu Saal schleppte, wurde er einmal von einem Gerichtsdiener ungeniert um Geld angegangen. Er folgte der Aufforderung ohne zu zögern und gab dem Mann ein paar Münzen. Später erklärte er mir, dass er dies tagtäglich machen müsse, um sich die Gunst aller möglichen Leute zu sichern. Wenn man die Subalternen nicht besteche, bestünde kaum eine Chance, Akten in absehbarer Zeit an den entscheidenden Mann zu bekommen. Ansonsten brachte er mich mit einigen Anwaltskollegen zusammen, die sich bei Gesprächen mit mir, die oft Stunden dauerten, mächtig ins Zeug legten. Sie meinten offenbar, dass sie sich bei einem jungen Mann aus dem Land der Dichter und Denker unbedingt in philosophischen Höhen bewegen müssten.

In diesen Tagen kam auch Mr. D. nach Bangalore, um in der Ökumenischen Akademie, deren Vorsitzender er war, vor christlichen Schulleitern, College-Präsidenten und Krankenhauschefs einen Vortrag über Organisationsrecht zu halten. Dem Führungspersonal missfiel offenbar das Wirken der Gewerkschaften in ihren Institutionen. Mr. D. sprach jedenfalls lange darüber, wie die christlichen Führungskader lästige Vorschriften des Arbeitsrechtes umgehen können. Während wir uns die ermüdenden Ausführungen über die Fallstricke des indischen Organisationsrechts anhörten, saß Raju draußen im Auto. Die Sonne kletterte über das Haus, in dessen Schatten der Wagen zunächst gestanden hatte, und brannte unbarmherzig auf dessen Dach. Als wir gegen Mittag zum Wagen kamen, saß Raju noch immer darin und war vollkommen in Schweiß gebadet. Da er in Anwesenheit von Mr. D. auf keinen Fall auffallen wollte, hatte er nicht nur den Wagen nicht verlassen, sondern nicht einmal das Fenster geöffnet. Als Mr. D. Raju dann doch bemerkte, forderte er ihn auf, gemeinsam mit uns Mittag zu essen. Raju sträubte sich dagegen aber mit Händen und Füßen und wollte auf keinen Fall aus dem Wagen herauskommen. Schließlich konnten wir ihn dann doch dazu bringen, mit zum Essen zu gehen. Am Tisch verhielt er sich nun demonstrativ bescheiden. Er mühte sich zunächst mit Messer und Gabel ab. Dann bemerkte er, dass ein anderer Tischgenosse mit den Händen aß und tat er es ihm erleichtert nach. Leider musste er auch den Rest des Tages auf uns warten, was er aber wieder mit wahrlich asiatischer Geduld durchstand. Wahrscheinlich taten wir alles, um diese jedenfalls bei Kindern seltene Tugend zu unterminieren, als wir, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen, anschließend mit ihm ins Kino gingen. Wir sahen „African Safari“ mit wunderbaren Naturaufnahmen, Bildern von riesigen Tierherden, Löwenfamilien und allerhand sonstigem wild life. Abends wusch sich Raju den Schweiß des Tages mit großer Begeisterung unter einer warmen Dusche ab. Es dürfte die erste warme Dusche seines Lebens gewesen sein. Im tropischen Madras gab es keine warmen Duschen. Man war froh, wenn das Duschwasser einigermaßen erfrischend war.

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