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Hieronymus Münzer in Westeuropa: Person, Reise, Bericht. Eine Hinführung 1. Student, Mediziner, Humanist und Reisender: Lebenslinien des Nürnberger Arztes Hieronymus Münzer

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„Schon im sechsten Jahr meines Doktorates in Pavia in der medizinischen Fakultät […], als in der schönen Handelsstadt Nürnberg in Oberdeutschland eine Epidemie ausbrach…“ So lautet einer der ersten Sätze Münzers im Itinerarium. Und er fährt – offensichtlich ganz Mediziner – fort:

Ich verdanke es meinem Glück und meinen medizinischen Kenntnissen, die Gesundheit bewahrt zu haben. Es war im Jahr des Heiles 1484. Ich fürchtete die Ansteckung und begriff schnell, dass derjenige weder im Krieg oder durch die Pest stirbt, der nicht in ihrer Nähe ist. Ich beschloss also zu fliehen, um nicht das Leben durch eine Unaufmerksamkeit zu verlieren.

Zehn Jahre später schreibt der Nürnberger Bürger ganz ähnlich: „Später, im Jahre des Heils 1494, als eine neue Pestwelle ausbrach, wollte ich zum alten Heilmittel der Flucht greifen“1.

Trieben also Pestwellen den Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer aus der fränkischen Reichsstadt auf den Weg, zunächst nach Italien, dann später nach Frankreich, Spanien und fast ganz Westeuropa? Nur weg aus dem Ort, wo Kontakte auch Ansteckung bedeuten konnten? Der Bericht – schon seit langem als Fundgrube kulturgeschichtlicher Beobachtungen geschätzt – zeigt aber, dass viel mehr als die Pest den Nürnberger Arzt seine Reise beginnen ließ. Deshalb seien zumindest seine Prägungen und sein Lebensweg ganz kurz skizziert.

Hieronymus Münzer – oder „Monetarius“, wie sich der Nürnberger Arzt latinisiert nannte – gehörte zum Kreis der Humanisten, die auch am Hofe Kaiser Maximilians (1493–1519) Ansehen genossen2. Geboren wurde Münzer 1437 (oder 1447) in Feldkirch als ältester Sohn des Heinrich Münzer († um 1463) und seiner Frau Elisabeth. Er studierte in Leipzig (1464–1474), später Medizin in Pavia (1476–1477), wurde dort 1479 promoviert und erwarb ein Jahr später das Bürgerrecht in der großen Handelsstadt Nürnberg, wo er sich schon nach seinem Leipziger Studium niedergelassen hatte. Zum Erwerb der Bürgerschaft war ein Mindestvermögen nötig. Gefestigt wurde Münzers Stellung auch durch eheliche Bande, denn er heiratete am 3. Juli 1480 Dorothea und schuf damit Verbindungen zur wichtigen Nürnberger Familie der Kiefhaber. Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor. Beruflich verfasste Münzer in der Reichsstadt verschiedene Gutachten und praktizierte mit anderen Medizinern zusammen wie Johann Cramer und Hermann Schedel. Später gehörten zu diesem Kreis auch Hartmann Schedel, Heinrich Geratwohl und Dietrich Ulsen. Nicht nur durch diese Gruppe blieb er auch nach seinem Studium vielfältig interessiert, dies lässt zum Beispiel seine Bibliothek mit fast 200 Titeln erkennen, deren Zusammensetzung deutlich macht, wes Geistes Kind Münzer war.

In Nürnberg begünstigten die vielfältigen Aktivitäten des Handels auch Forschung und Wissenschaft. Wichtig waren vor allem Mathematik und Astronomie, dann, darauf aufbauend, auch Kosmographie und Geographie. Regiomontanus kam 1471 aus dem fränkischen Königsberg nach Nürnberg, Hartmann Schedel kehrte 1484 nach Nürnberg zurück. Dessen Vetter, Hermann Schedel, starb am 4. Dezember 1485 in der Reichsstadt; aber schon er hatte einzelne humanistisch Interessierte wie Dr. Hieronymus Münzer, Dr. Sebald Mulner, Dr. Heinrich Geratwol, Dr. Lorenz Schaller sowie weitere Personen wie Johannes Löffelholz, Dr. Conrad Schütz, Johann und Georg Pirckheimer, den Prior der Nürnberger Kartause, um sich geschart. Aus dem Ägidienkloster trat Abt Johannes Radenecker hinzu. Obwohl es in Nürnberg keine Universität gab, blühte der gelehrte Austausch, der mit diesen Namen nur unvollständig charakterisiert ist.

Weiterhin dürfte Martin Behaim nach seiner Rückkehr aus Portugal 1491 das geistige Klima in Nürnberg entscheidend mitbestimmt haben. Er vollendete 1492 in Nürnberg seinen „Weltapfel“. Auf diesem Globus ist ein enormes geographisches Wissen erkennbar, an dessen Erarbeitung wohl – wie man schon früh vermutet hat3 – auch Schedel und Münzer beteiligt waren. Münzer schrieb sogar am 14. Juli 1493 an König Johann II. von Portugal einen Brief, in dem er diesen im Namen des Königs Maximilian zur Umsegelung der Welt aufforderte, um China zu erreichen. Für dieses Unternehmen empfahl er dem König Martin Behaim als kundigen Seemann und Begleiter4. Ob die Entdeckung der Neuen Welt – Kolumbus kehrte von seiner ersten Reise am 4. März 1493 zurück – in Nürnberg zu dieser Zeit schon bekannt war, scheint unerheblich, denn an zahlreichen geographischen Erkenntnissen waren wohl schon vorher Nürnberger Gelehrte beteiligt. Seine geographischen Kenntnisse stellte Münzer ebenso bei seinen Korrekturen am Blatt „Europa“ in der Schedelschen Weltchronik unter Beweis; auch an der Schedelschen Karte von Deutschland war Hieronymus Münzer wohl beteiligt5.

Da Münzer also schon früh zu jenem humanistischen Kreis gehörte, der am Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts das intellektuelle Leben in Nürnberg bestimmte, dürften diese Kontakte, seine Verwurzelung in einer Handelsfamilie, seine Frömmigkeit und seine medizinisch-anatomischen aber auch allgemein kulturgeschichtlichen Interessen seine Reisen mitbestimmt haben. War die Pest also – gemäß einer klassischen Unterscheidung – eher der Anlass, während die Gründe tiefer lagen? Münzer traf beispielsweise im Januar 1495 den spanischen König Ferdinand, worüber das Itinerarium ausführlich berichtet. Sollte er, wie man vermutet hat, den spanischen Herrscher zu einer Entdeckungsreise in ozeanische Gefilde überreden?

Nach 1495 scheint Münzer nicht mehr gereist zu sein; wichtig für ihn wurde die Hochzeit seiner Tochter Dorothea am 3. Juli 1499 mit dem Patrizier Hieronymus Holzschuher, die der sehr hohen Ausgaben wegen (600 Gulden) im Rechnungsbuch Münzers verzeichnet wird. Damit war der Anschluss an die großen Nürnberger Familien endgültig erreicht. Aus der Ehe seiner Tochter gingen Kinder hervor, drei überlebten. Der Tod seiner Frau Dorothea am 30. September 1505 traf Münzer sehr. Vielleicht errichtete er deshalb Anfang 1506 zwei Stiftungen: eine Studienstiftung sowie eine zweite in der Pfarrkirche St. Nikolai. Zwei Jahre später, am 27. August 1508 starb Hieronymus Münzer. Sein Epitaph, das von Schedel oder Holzschuher stammen könnte, hebt hervor, dass er fast ganz Europa bereist habe (totam ferme Europam peragrauit)6.

Wenn man sich verdeutlicht, in welcher Welt der Autor des Reiseberichtes lebte, erschließen sich auch die Interessensfelder in seinem Reisebericht. Seine Mitarbeit in Nürnberger humanistisch-kosmographischen Zirkeln, die Sorge um den Nürnberger und den Handel insgesamt, aber auch die Interessen eines Gelehrten, der die Artes und die Medizin studiert hatte, boten spezifische Voraussetzungen, um sich fremde Welten zu erobern. Recht wenig ist aus Nürnberger Quellen zu Münzers religiösem Hintergrund zu erfahren. Hier scheint es fast so, dass der Reisebericht selbst mit seinen zahlreichen Reliquienbeschreibungen, seinen Bemerkungen zu Pilger- und Devotionsstätten, aber auch zu anderen Religionen wie dem Islam oder dem Judentum die entsprechenden Facetten des Autors erschließt.

Der Reisebericht des Hieronymus Münzer

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