Читать книгу Die Methode Cortés - Klaus M. G. Giehl - Страница 10
6 La Grande Motte
ОглавлениеDa ich in den nächsten Tagen viel fahren musste, besorgte ich mir an der ersten Raststätte einen Vorrat Koffein–Taurin–Pastillen. Alles lief nach Plan: Zehn am Morgen mit Richard zu Tschaikowsky, Kaffee bei Muttern, mit den beiden essen, weiter nach La Grande Motte, Mittwochmorgen halb neun da.
Zuerst suchte ich Frühstück. Ich mochte La Grande Motte, wie ich überhaupt Frankreich mochte. Und gerade La Grande Motte repräsentierte für mich, was mir an Frankreich so behagte: Der Stil. Und zwar der Lebensstil. Nicht, dass La Grande Motte ein bezauberndes Städtchen provenzalischen Stils gewesen wäre. Nein. In jedem anderen Land hätte man die zehn und fünfzehn Stockwerke hohen Touristenbetonburgen als ausnehmend hässlich bezeichnet. Nicht so in La Grande Motte. Hier strahlte das Geschmacklos–Sterile der Architektur Klasse aus, eben Stil. Französischen Lebensstil, in dem man sich schlicht wohlfühlen musste. (Zumindest ging es mir so. Aber wie gesagt: Ich liebe dieses Land!) Ich möchte mit dieser Beschreibung im Übrigen nicht ironisch sein. Nein. Ganz im Ernst: Mir gefällt’s! An diesem Tag allerdings dauerte mein Genuss französischen Flairs trotz aller Kurzweil nur eine kurze Weile, denn ich war hungrig und hoffte, in diesem öden, menschenleeren (es war Nachsaison!) Touristen–Internierungslager wenigstens irgendwo etwas zu futtern zu finden.
Endlich! Just am Hafen, unmittelbar neben einer Werft, fand ich einige barackenartigen Schuppen, die Läden und Cafés beherbergten, deren eines tatsächlich zu solch früher Stunde geöffnet war. Es hatte etwas von einem schwitzigen Gymnastikraum und war mit einer weitläufigen Terrasse ausgestattet, auf der ich unbedingt und geruchsunbelästigt mein Frühstück zu mir nehmen mochte. Ich setzte mich also nach draußen und bestellte Café au Lait und ein Croissant.
Mir fiel die aromatisch riechende, warme Luft auf. Die Sonne stieg schnell und summte mir wohltuende Wärme auf den Kopf, dass es vor Wonne knackte in meinen Nebenhöhlen. Es musste annähernd zwanzig Grad haben. Im Vergleich zu Dänemark war hier Sommer! Ich zog meine Jacke aus, faltete die Hände hinter dem Kopf zusammen und ließ genüsslich die Sonnenstrahlen auf meinem Oberkörper und meiner Stirn surren. – Göttlich! – Doch so schwer es mir fiel, mich loszueisen, zahlte ich nach einer gebührlichen Luxeinheit und spazierte zur Marina.
Der Hafenmeister gab mir ein Faltblatt mit einer Hafenübersicht, auf der er eingezeichnet hatte, wo der Travellift stand und das Boot zu Wasser gelassen werden sollte. Das Kreuzchen markierte das Werftgelände, neben dem ich gefrühstückt hatte (lustiger Zufall!). Hätte ich die Smuk im Wasser, solle ich sie zum Gästesteg der Hafenmeisterei bringen. Da könne ich liegen, bis ich weiterführe. Ich rief Vidar an, um ihm die Adresse zu geben, an die das Boot gebracht werden solle. Er war gerade auf der Höhe von Metz und meinte, er sei auf jeden Fall bis Donnerstagmorgen in „Motte“. Er melde sich, wenn er ankomme.
Den restlichen Tag hatte ich frei. Ich suchte mir ein Hotel für die Nacht, fuhr in der Gegend herum, und genoss das entspannt–heitere mediterrane Ambiente. Le Grau du Roi und Aigues Mortes waren in der Nähe. In memoriam an meine Höllenfahrt damals, kurz nach der Trennung (siehe Band I: „Versuchungen“), besuchte ich beides, wunderte mich, dass außer blassen Bildern nichts in meiner Erinnerung geblieben war, und aß in Arles zu Mittag. Beim Essen fiel mir ein, dass ich keine Seekarten von der Region hatte. Ich hatte mir Karten für die Nordroute bis auf die Kanaren, für das westliche Mittelmeer, die Karibik und Polynesien gekauft. Die Strecke zwischen Südfrankreich und der Costa Brava aber fehlte! Am ehesten bekäme ich das Material in La Grande Motte. Ich fuhr also nach dem Essen zurück und fand ein hervorragend sortiertes Geschäft für nautische Literatur und Seekarten, in dem ich mich eindeckte. Den Abend schließlich ließ ich besinnlich bei Picon–Bière ausklingen und begab mich zeitig zur Nachtruhe.
Am nächsten Morgen frühstückte ich in meinem Brutzelcafé. Nach meinem fünften Croissant klingelte mein Handy. Vidar meldete sich. Er sei gleich da. Ich bezahlte.
Als ich das Lokal verließ, kam er schon auf mich zugerast – meine Smuk war heil! –, und er hielt den Truck glücklicherweise vor dem Müllcontainer, hinter dem ich mich versteckt hatte, an. Ich kroch hervor und zeigte Vidar den Weg zu der Werft, auf der sich der Travellift befand.
Nachdem er aus seinem Führerhäuschen ausgestiegen war (in dieser Situation ließ er mich an einen riesenwüchsigen Clint Eastwood denken, beim Auftritt in der Schlüsselszene, kurz bevor er sein Eisen aus der Hüfte schwingt, und ..⁞::⁞∙∙꞉.), begrüßten wir uns.
„Hi Jakob.“
„Hi Vidar. Wie war die Fahrt?“
„Gut“, streckte er sich, und erläuterte: „Kein Arschjucken, keine Staus, nichts. Nîmes war auch prima. Kenne da einen Routiers, der ist echt klasse. Kann ich nur empfehlen, da kannst du die besten ...“
Vidar war ein lustiges Bürschlein. Er steckte immer noch in dem Blaumann, den er in Skagen getragen hatte. Seine raue Stimme klang aufgekratzt. Offenbar hatte er eine gute Nacht gehabt. Während er erzählte, begann er, die Gurte loszuschnallen, mit denen das Boot verzurrt war. Ich rief in der Marina an, „die Jungs vom Travellift“ könnten kommen.
Nach einer halben Stunde schwebte Smuk dem Hafenwasser entgegen. Wir richteten den Mast auf und ich fing an, das Rigg anzubringen. Vidar stand, die Hände in den Hosentaschen, an der Mole. Er zog die Nase hoch, dass ich Angst um meine Smuk bekam, spuckte auf den Boden, dass es klatschte (zum Glück hatte er keine Möwe getroffen; es wäre ihr Tod gewesen!), und meinte:
„Ich fahr dann mal.“
Ich wollte mich von ihm verabschieden und kletterte an Land.
„Vielen Dank, dass du meine Smuk sicher hierhergebracht hast. Hier: Ist für dich.“
Ich gab ihm ein gutes Trinkgeld, das er grinsend wegsteckte:
„Das wär aber nicht nötig gewesen. Danke.“
„Bitte. Mach’s gut. Vielleicht sieht man sich noch mal.“
„Ja, vielleicht“, nickte er, „Mach’s gut.“
„Und viel Spaß in La Jonquera.“
„Diesmal geht’s nur bis Perpignan!“
„Na, dann nächstes Mal.“
„Ja, nächstes Mal“, lachte er, verschwand in seinem Führerhaus, und fuhr los.
Die Leute vom Travellift fragten, ob ich noch etwas brauchte. Ich verneinte, gab auch ihnen ein Trinkgeld, und machte mich wieder an der Takelage zu schaffen. Inzwischen hatte ich Übung. Nach zwanzig Minuten war ich fertig und verlegte Smuk an den Gästesteg.
Die Formalitäten in der Hafenmeisterei erledigt, fuhr ich einkaufen. Diesen Abend wollte ich feierlich an Bord begehen, mit einer Flasche Champagner – und Lachs auf Kaviar, Olivenpaste, Kapern und geröstetem Baguette. Es würde vorzüglich munden!