Читать книгу Die Methode Cortés - Klaus M. G. Giehl - Страница 13
9 „Das ist nicht vergleichbar!“
ОглавлениеAm Montagmorgen, dem 19. Dezember 2005, fuhren wir beizeiten zu Richard, den „Renault“ abzugeben (für meine weitere Reise würde ich keinen Wagen benötigen). Wir waren mit zwei Autos unterwegs. Meine Mutter fuhr hundert Meter vor mir.
Als wir die Grenze überquerten und uns Wissembourg näherten, dachte ich an meinen letzten Besuch bei Richard. Das war im November gewesen, als ich den Außenborder für mein Beiboot in spe bei ihm abgeholt hatte. Auch damals hatte ich mich Richards Haus in hoffnungsvoller Stimmung genähert. Die Hoffnung jetzt war aber eine andere: Damals hatte ich, nur wenig Tage, bevor ich mit meiner Smuk in See gestochen war, gehofft, ich würde durch meine Flucht ein neues Leben finden und den Rosenkrieg endlich hinter mir lassen. Jetzt hoffte ich, eine neue Basis mit meiner Frau gefunden zu haben und meinen Kindern wieder Vater sein zu können – ohne Rosenkrieg, versteht sich. Mein Blick streifte den Bach, über den ich gerade fuhr. Wie schwarzes Gallert lag das Wasser in seinem Bett.
Ich schmunzelte: Ja, als ich damals hierher gekommen war, war nicht nur der Bach schwarz gewesen. Stockfinstere Nacht war es gewesen! Im Grunde wie in mir, da ich trotz „Hoffnung“ glaubte, die Kinder verloren zu haben. Noch ein Unterschied also zwischen damals und jetzt. Ich schaute in die schweren Wolken über mir. Na ja, richtiger wäre, was das Ambiente betrifft, dass es jetzt nicht ganz so duster ist wie seinerzeit!
Wir waren angekommen. Ich stellte den „Renault“ zwischen Mutters Wagen und der ausgetretenen Sandsteintreppe ab, die moosgerahmt zum Hauseingang führte (in diesem trüben Licht und umgeben von düstrem Wald hatte Richards „Bauernstube“ etwas von einem Gebeinhaus), und stieg aus.
Sekunden nach unserem Pochen öffnete uns Richard die Tür. Er grinste und hatte einen grünen Papageien auf der Schulter hocken. Mit seinem Vollbart, diesem bedrohlich wippenden „Flugsaurier“ auf der Schulter, seinem dicken Bauch und seinem grün–weiß gekringelten T–Shirt sah Richard aus wie ein Pirat (der Hang für die christliche Seefahrt war bei ihm ohnehin stark ausgeprägt). Er gab Mutter einen Kuss, klopfte mir auf die Schulter, und meinte, er habe heute frei. (Richard arbeitete nach wie vor als Banker und bei einer Versicherung, bei der er jüngst sogar die Leitung eines neuen Bezirks übernommen hatte). Und Elsa, fuhr er fort, habe eine Brotzeit bereitet, damit wir nicht hungrig weiterfahren müssten. Der Papagei fauchte und meine Mutter winkte ab, wir hätten es eilig, doch wusste ich um die rustikale Küche, die ich zu erwarten hatte, roch nun gar einen strammen Max, und so spät waren wir auch nicht dran, weshalb ich, den Vogel im Auge behaltend, vehement „zuwinkte“. Ich hätte wirklich Hunger! Der Papagei sah mich warm an.
„Dann kommt rein!“, rief Elsa aus dem Hintergrund.
Sie stand mit einem Kochlöffel in der Rechten in der Küchentür am Ende des Gangs und trug eine Küchenschürze (ungewohnt für sie, denn sie war eher der elegante Typ und kochte so gut wie nie). Sie kam auf uns zu, um uns mit ihrem obligaten französischen Begrüßungsgeknutsche zu überschütten. Den Nasenrücken gekräuselt bat ich sie, mich nicht mit dem fettigen Kochlöffel zu berühren, den sie noch in der Hand hielt. Sie schreckte zurück, was mir die Gelegenheit gab, mich schleunig in Richtung Esszimmer zu verkrümeln (ich mochte dieses Geknutsche nicht), in dem Richard schon mit leuchtenden Augen am Tisch saß. (Der Papagei hockte auf einer Stange und knabberte genüsslich an einem Wurstbrot, das er in der rechten Krallenhand hielt.)
Wie nicht anders zu erwarten, hatte die Brotzeit exquisit gemundet (der stramme Max: ein Traum!). Richard saß still in seinem Eck und hielt sich den Bauch. Auf einmal musste er aufstoßen, wischte sich die Stirn ab, und fragte:
„Klappt das jetzt eigentlich mit den Kindern?“
Ich tupfte mir einen Eispritzer vom Kinn, auf den meine Mutter mich aufmerksam gemacht hatte, und sagte:
„Ja. Wie am Schnürchen. Hab die beiden schon zweimal mit nach Höningen genommen und es gab keine Probleme!“
„Tja, vielleicht wird das ja was!“, nickte er zufrieden, zögerte und sprach: „Und Magnolia? Benimmt sie sich?“
„Einwandfrei! Sie ist scheißfreundlich. Ich bin wirklich baff!“ Richard lächelte, fast selbstgefällig, wie mir schien. Mein Misstrauen meldete sich und ich fragte: „Mal ehrlich: Wie hast du das damals hingekriegt mit ihr? Hast du ihr was ins Essen gemischt?“
„Ach Jakob“, grinste er, „Hab ich dir ja schon erklärt: Man muss einfach wissen, wie man die Leute anpackt.“
Er sah zu meiner Mutter, zwinkerte ihr zu, und schaute mich wieder an. Er lächelte. Sie auch. Was war hier los?, meldete sich mein Misstrauen erneut, was ich ad hoc ventilierte:
„Jetzt mal ohne Scheiß, Richard: Wie hast du das hingekriegt? Magnolia ist wirklich wie ausgetauscht. Irgendein Druckmittel musst du doch gehabt haben. Also!“
„Jakob!“, schüttelte Richard den Kopf, „Ich hab’s dir bereits gesagt. Das war pures Verhandlungsgeschick, von dem ich es nun einmal schöpflöffelweise in die Wiege gelegt bekommen hab!“
„Ach komm, erzähl doch nichts. Ich ...“
„Jakob!“, unterbrach mich mein Onkel mit erhobener rechter Braue, „Wenn ich dir etwas sage, kannst du mir das glauben!“
Wir sahen uns an. Meine Mutter intervenierte:
„Fangt jetzt nicht an zu streiten! Außerdem müssen wir langsam los, wenn du deinen Zug nicht verpassen willst!“
Zehn Minuten später waren wir auf dem Weg nach Straßburg. Die spannungsgeladene Situation mit meinem Onkel hatte mich gestört, wobei mich jetzt, im Nachhinein, weniger störte, dass ich Richard seine „Verhandlungsgeschick–Geschichte“ nicht so recht abnahm, sondern dass ich ihm überhaupt misstraute. Schließlich hatte er mir nie geschadet und schließlich hatte sein Handeln genau die Person „gezähmt“, die mir bisher am meisten geschadet hatte!
Als wir am Straßburger Bahnhof ankamen, blieb uns noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt meines Zuges. Wir nutzten diese Zeit zu einem Abschieds–Café au Lait in einem Bahnhofsbistro. Über unserem Kaffee plaudernd gab mir meine Mutter auf diverse Arten zu verstehen, dass ich auf mich aufpassen solle. Sie sorgte sich! Irgendwann wurde mir das zu bunt:
„Hör mal Mutter, du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen! Es ist nicht das erste Mal, dass ich segele. Ich war während meines Studiums x–mal segeln, monatelang. Glaube mir, ich weiß, was ich mache.“
„Ja“, seufzte sie, „Aber damals warst du mit Freunden unterwegs, nicht alleine.“
„Nun, in mancher Hinsicht ist das sogenannte Einhandsegeln etwas unbequemer, aber mit meiner Erfahrung nichts, das nicht zu meistern wäre. Alles machbar. Deine Sorgen sind unberechtigt.“
Sie kniff die Lippen zusammen, fixierte mich forschend, und sagte unvermittelt:
„Richard hat mir erzählt, dass du in einem Sturm warst.“
„Ach!“, schüttelte ich den Kopf, „Dieser Tollpatsch hat ja echt keinerlei Fingerspitzengefühl! Klar, dass du das in den falschen Hals bekommst! Schau: ich war in einem Sturm. Und? Da spritzt es ein bisschen und es ist nicht ganz so gemütlich wie sonst. Ist aber wirklich nicht so gefährlich. Und ein kleines Risiko hat man immer. Das ist Lebensrisiko. Theoretisch könnte mich auch ein Bus auf der Straße überrollen.“
„Das ist nicht vergleichbar!“, schoss es aus ihr heraus.
„Stimmt“, wiegte ich den Kopf nachdenklich, „Der Bus ist nicht so nass wie der Sturm. Aber es könnte regnen!“
„Jakob! Das ist nicht zum Scherzen.“
„Klar“, besänftigte ich sie, „Jedenfalls kann ich dir versichern, dass du dir um mich keine Sorgen zu machen brauchst. Außerdem versuche ich Stürme zu vermeiden. Kannst du dich jetzt beruhigen?“
„Ich werd’s versuchen.“
„Gut. Ich muss nämlich los. Mein Zug kommt.“
Wir gingen zusammen zum Bahnsteig. Ich stieg in den Zug ein und wir winkten einander bei der Abfahrt. Mir missfiel, dass meine Mutter sich sorgte. Doch dies war nichts Neues. Schon, wenn ich zu Studienzeiten segeln war, hatte sie sich gesorgt. Mutter hatte eben keinen Bezug zum Meer. Sie war eher der Bergtyp.