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I. WAFFENSTILLSTAND 1 Der Plan

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Höningen im Pfälzerwald, Freitag, 9. Dezember 2005

Am Morgen nach dem Gespräch mit meiner Frau saß ich mit nahezu leerem Kopf am Esszimmertisch meiner Mutter und frühstückte. Draußen war es trüb und kalt, drinnen warm. Und in mir? Ich wusste es nicht. Dürr vielleicht. Oder absent. Im Grunde hätte ich über einiges nachzudenken gehabt, doch ich fühlte mich wie gelähmt.

Hatte ich geträumt? Oder hatte ich mich tatsächlich mit Magnolia geeinigt – und konnte meinen Kindern wieder Vater sein?

Mir war unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Auch störte mich, dass meine Mutter ständig um mich herumstrich.

Ahnte sie etwas von der Vereinbarung mit Magnolia? Und war diese Vereinbarung soweit ernst zu nehmen, dass ich Mutter davon erzählen konnte? Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken!

So sehr ich mich auch mühte, meine Überlegungen kamen nicht voran, weshalb ich mich nach meiner fünften Frühstückszigarette entschied, in „meinem“ Wald spazieren zu gehen. Wald tat meinen Gedanken gut.

„Mein“ Wald lag auf einer Bergkette in der Nähe des Hauses meiner Mutter. Er gefiel mir, besonders im November. Mittlerweile war Dezember, aber das Wetter war mir gewogen und schenkte mir noch einmal einen dieser Novembermorgen, die ich so liebte:

Die Dunstsuppe hinter mir gelassen habend, erreichte ich die Gipfelregion, wo die Sonne schien und die Luft klar, kalt und trocken war. Die tiefer liegende Landschaft war gefüllt mit Nebel, der von hier oben anmutete wie ein gefrorenes Meer, aus dem vereinzelt Bergkuppen wie Inseln ragten. Mindestens zwei Stunden spazierte ich und dachte über die Vereinbarung mit meiner Frau nach.

Würde sie sich daran halten, wäre der Rosenkrieg beendet. Dann könnte ich meine Kinder wieder sehen und würde mir am besten in der Nähe eine Stelle als Arzt suchen. Oder auf Torben zurückkommen! Vor einem Monat hatte er mir ja angeboten, meinen Vertrag zu verlängern. Außerdem hatte Torben nur wenige Tage vor meiner Abreise gemeint, dass es mit der Gruppenleiterstelle für mich ab März klappen könne, wahrscheinlich in der Molekularbiologie. (Er hatte wirklich alles darangesetzt, mich umzustimmen, mir ein Bleiben in Kopenhagen schmackhaft zu machen!) Aber inzwischen war ich „weg“, und das war Fakt! ... Und wenn schon: Vielleicht bestand ja noch die Möglichkeit, in meine Forschung zurückzukehren!

Dieser vage Ausblick ermutigte mich fast so, wie der konkrete mit meinen Kindern. Doch bei all diesen Aussichten kam ich immer auf einen Punkt zurück: Ich hatte Schwierigkeiten, meiner Frau zu glauben, ihr – und sei es nur mit unserer Vereinbarung! – zu vertrauen. Und wesentlich: All die schönen Aussichten hingen einzig davon ab, dass sie sich fair verhalten würde, ich ihr tatsächlich – mit zumindest unserer Vereinbarung! – trauen konnte. Auf jeden Fall musste ich zu der Entscheidung stehen, die ich in Kopenhagen getroffen hatte: den Rosenkrieg nicht weiter mitzumachen, denn der würde mir und den Kindern nur schaden. Zurück also zu diesem einen Punkt, diesem rätselhaften:

Warum der plötzliche Gesinnungswechsel meiner Frau? Die Absichten, die sie jetzt formulierte (sie wolle die Streitigkeiten beenden, wolle, dass ich Umgang mit den Kindern hätte!), standen in diametralem Gegensatz zu dem, was ich in den letzten Jahren mit ihr erlebt hatte. Außerdem: War das überhaupt ein wirklicher Wechsel? Ein Wechsel ihrer Gesinnung? Oder hatte Richard schlicht ein Druckmittel zur Hand, mit dem er sie „gefügig“ gemacht hatte? (Onkel Richard bestand zwar darauf, dass er sie mit reinem Verhandlungsgeschick herumbekommen habe. Aber ich kaufte ihm das nicht ganz ab.) Und hätte er ihr die Daumenschrauben angelegt, stellte sich eine weitere Frage: Würden diese Schrauben genügen für eine dauerhafte Lösung? Konnte Druck überhaupt als Lösung funktionieren? Bei mir nie, und so wie ich meine Frau kannte (in der Hinsicht musste ich ihr Respekt zollen!), auch nicht bei ihr. Für sie wie für mich würde jeder Druck rein „physikalisch“ funktionieren: Er würde Gegendruck erzeugen!

Ich schnaufte genervt, zündete mir eine Zigarette an, und stieß den Rauch aus, dass er in bizarren Fetzen schockgefrorenen Seelen gleich durch die kalte Luft schwebte.

War es also nicht der ersehnte Friede? War es nur ein Waffenstillstand? Eine Verschnaufpause, die morgen vorbei wäre? Oder war es Anlass zur Hoffnung? Was, verdammt, war es?

Nach einigem Gedankenkreisen sah ich ein, dass es keinen Sinn machte, über die „wahre“ Ursache des Einlenkens meiner Frau zu kontemplieren. Das wäre Spekulation! Fest standen nur zwei Punkte: Ich hatte ihre Zusage, dass sie einen nach meinem realen Gehalt berechneten Unterhalt akzeptieren würde (und nicht mehr auf der „hypothetischen“ Berechnung anhand meines vormaligen texanischen Salärs bestünde). Und ich würde auf dieser „realen“ Basis Umgang mit den Kindern haben können, auch oder gerade, weil ich ihn mir jetzt leisten konnte! Auf dieser Basis. Welche Konsequenzen ergaben sich für mich aus dieser Entwicklung?

Für den Fall, dass meine Frau zu unserer Abmachung stünde, wären die Konsequenzen klar. Ich könnte meinen Kindern Vater sein und alles wäre gut. Na ja, alles Übriggebliebene wäre gut. Aber das wäre wegen des dann Erreichten eine durchaus positive Bilanz! Sollte sich meine Frau hingegen nicht an die Absprache halten, würde ich mit Smuk weitersegeln. Würde ich mein „Unternehmen Smuk“ – und wäre es nur ob verringerter Reserven! – gefährden, wenn ich mich tatsächlich auf die Vereinbarung einließe?

Solange wir auf dieser agierten, entstünden keine neuen Anwalts– und Gerichtskosten. Aus der Ecke reduzierten sich meine Reserven also nicht. Gleichwohl müsste ich Unterhalt bezahlen. Dessen jetzt vereinbarte Höhe verursachte jedoch für die nächsten sieben bis acht Monate keine übermäßigen Kosten. Keine akute Gefahr also für mein „Unternehmen Smuk“.

Anders sähe dies aus, wenn ich den Prozess gegen meinen Schwiegervater verlöre. Dann müsste ich ihm die dreißigtausend Euro bezahlen, die er Magnolia geliehen hatte, meine Rücklagen wären fast weg, und ich könnte mir mein „Unternehmen Smuk“ abschminken. Ich säße in diesem Falle in der Falle. Auf alle Fälle also musste ich mich der Zahlung dieser dreißigtausend Euro „enthalten“, was hieße, dass ich mich bis zu einem Urteil in der Sache besser nicht auf Verpflichtungen wie ein Arbeitsverhältnis einließe, denn die würden eine eventuell notwendig werdende „zügige Abreise“ behindern. Mein Lebensunterhalt wäre somit bis zu diesem Urteil zwangsläufig aus meinen Reserven zu bestreiten. Aber selbst das könnte ich mir – ob der geringeren Unterhaltszahlungen – für die nächsten drei bis vier Monate erlauben. Folglich war es möglich, mich bis April auf eine Art „Probezeit“ einzulassen, in der ich die Verlässlichkeit der Abmachung mit meiner Frau testete.

Also erst einmal warten! Ließe ich allerdings währenddessen mein Boot in Skagen liegen, verringerten sich meine Reserven, ohne dass ich meinem Reiseziel näher gekommen wäre. Und das liefe dem zentralen Anliegen meines „Unternehmens Smuk“ zuwider, mir in einem Tourismusgebiet eine neue Existenz aufzubauen. (Relevante Gegenden waren hier Mittelmeer, Kanaren und Karibik. Nicht relevant hingegen war der kühle Norden.) Und mehr: beließe ich Smuk in Skagen, könnte das meinen Existenzgründungsplänen zum Verhängnis werden! Meine Frau brauchte sich nur zu einem „seglerisch“ ungünstigen Zeitpunkt von unserer Vereinbarung zu distanzieren – z.B. im April. Dann müsste ich eine eventuell nötig werdende Atlantiküberquerung für ressourcenverschlingende acht Monate aufschieben! (Diese Fahrt würde ich, um die Hurrikan–Saison zu vermeiden, zwischen Dezember und April von Gibraltar oder den Kanaren aus angehen müssen.) Demnach war es notwendig, meine Smuk bis spätestens März nach Gibraltar zu überführen. Sonst hätte ich keinen Spielraum für Eventualitäten!

War diese Strecke im Rahmen unserer Vereinbarung überhaupt bis März zu schaffen? Aus dieser ergab sich, dass ich die Kinder jedes zweite Wochenende sehen würde, was mir gefiel, aber Engpässe in der Reiseplanung verursachte: Für diese Wochenenden müsste ich jeweils vier bis fünf Tage mit An– und Abreise rechnen. Bis März ergäben sich somit vierzig Tage, die ich nicht segeln könnte. Und die Route über Nordsee und Atlantik bis Gibraltar betrug zweitausendzweihundert Seemeilen. Dafür benötigen würde ich – ohne Komplikationen! – wenigstens sechzig Tage. (Wegen des dichten Schiffsverkehrs auf dieser Strecke hätte ich nur Tagestouren segeln können, da dieser mir Schlafen verbieten würde!) Insofern war schon rein rechnerisch kaum machbar, Smuk über die Nordroute bis März nach Gibraltar zu schippern und parallel jedes zweite Wochenende die Kinder zu besuchen!

Gab es andere Möglichkeiten zur Überführung? Der Weg über die Kanäle nach Südfrankreich und weiter nach Gibraltar war kürzer, schied aber aus, da die Kanalfahrt noch zeitaufwendiger wäre. Zu dumm, dass mein Boot nicht in Südfrankreich lag. Von da aus wäre es ein Katzensprung! Ich stockte – und erkannte: Die Idee war klasse! Ich könnte das Boot mit einem Tieflader nach Südfrankreich bringen lassen und von dort aus meine Reise fortsetzen. Damit hätte ich ein, zwei Monate gespart, könnte Smuk segeln – und hätte geringere Kosten für die Kinderwochenenden, denn von den mediterranen Tourismuszentren aus wären Billigflüge nach Deutschland immer zu finden.

Eine kurze Überschlagsrechnung zeigte mir, dass ich bei dieser Route – im Vergleich zur Nordroute – mindestens eintausend Euro Reisekosten für die Kinderwochenenden sparen würde. Eintausend Euro entsprachen einem Drittel der zu erwartenden Kosten für den Tieflader. Und zweitausend Euro Mehrkosten sollte mir der Versuch mit meiner Frau schon wert sein!

Die Lösung war optimal. Ich würde bis März nach Gibraltar segeln und der Abmachung mit meiner Frau eine Chance geben, ohne die Option auf mein „Unternehmen Smuk“ zu verlieren. Überdies würde ich die Fröstelgrade der Nordroute meiden. Stünde meine Frau zu unserer Vereinbarung, müsste ich das Boot billig nahe Gibraltar lagern. Meine Smuk sicher „geparkt“, könnte ich mich um einen Job in der Republik oder eine Stelle bei Torben kümmern und hätte ab dann nahezu „Kostenneutralität“ für die Konservierung meines „Unternehmens Smuk“ erreicht. Und zuvorderst: Ich könnte es problemlos und jederzeit reaktivieren, falls nötig. Auch wäre – für mein „Unternehmen Smuk“ – nicht schlimm, wenn meine Frau schon demnächst unsere Vereinbarung bräche. Ich hätte in dem Fall gegenüber meiner vorherigen Planung sogar ein bis zwei Monate Spielraum gewonnen und könnte mich in Ruhe im Mittelmeerraum oder auf den Kanaren nach einer Existenzgrundlage umtun und ohne Eile abwägen, ob ich vorerst in der Gegend bliebe oder weiter in die Karibik segelte.

Ich machte mich auf den Rückweg. Der Entschluss war jetzt reif. Jetzt konnte ich mit Mutter über die neue Entwicklung sprechen.

Die Methode Cortés

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