Читать книгу Die Methode Cortés - Klaus M. G. Giehl - Страница 9
5 Vidar
ОглавлениеDie Fahrt nach Dänemark zog sich wieder ewig. Doch auf meine Koffein–Taurin–Pastillen war Verlass. (Ich glaube, bereits erwähnt zu haben, dass ich bei meinen vielen Fahrten zwischen Kopenhagen und Mainz Koffein–Taurin–Pastillen als effiziente Muntermacher entdeckt hatte. Durch die Anwendung dieses Präparates hatte ich meine Fahrpausenfrequenz signifikant senken können.) Irgendwo an einer Autobahnraststätte schlief ich aber doch ein Stündchen. Mein Frühstück (Bacon mit Rührei, Bohnen und Toast. Ich liebe es!) nahm ich an einer Raststätte hinter der deutsch–dänischen Grenze.
Gegen Mittag kam ich in Skagen an. Der liebenswerte Herr von der Spedition hatte schon alle Papiere vorbereitet. Er benötige nur noch eine Kopie meines Passes, was wir gleich erledigten. Seine Bankverbindung hatte ich, wir bedankten und verabschiedeten uns, und zwar beieinander respektive voneinander, und er, der Herr, schloss, dass Kran und Tieflader um vier Uhr an die Mole kämen, neben der meine Smuk am Stege liege.
Ich flanierte in der Stadt umher, um würdig meine letzten Stunden hier zu genießen. Noch graute der Tag und Wind wehte nicht, weshalb der Ort nicht wie bei meinem letzten Besuch gänzlich in Verwünschung gebettet war (siehe Band I: „Das Zentrum der Mechanik“): Man sah Menschen auf der Straße und wurde nicht von kaltem Wind durch all die Kanäle der Leblosigkeit gezogen, unweigerlich, bis zum Zentrum der Mechanik. Ich genoss das Ambiente, das trotz „menschlicher“ Belebung etwas Märchenhaftes ausstrahlte, und fand das Zentrum der Mechanik auch ohne Wind gegen drei, als ich mich zu meiner Smuk begab, die mich schon freudig erwartete (hätte sie ein Schwänzchen gehabt, mit Sicherheit hätte sie gewedelt!). Ich fuhr meine Kleine zu dem Pier, an dem sie aus dem Wasser geholt werden sollte, und bereitete die Takelage1 vor, damit der Mast schnell umgelegt werden konnte.
Nach getaner Arbeit setzte ich mich ins Cockpit und rauchte eine von Vægters Zigarren. Gedankenverloren betrachtete ich Smuks Pinne und überlegte, ob sie vielleicht ihren vormaligen Besitzer vermissen würde. Ich musste schmunzeln, als ich an den alten dicken Mann dachte. Und auf einmal empfand ich die Verpflichtung, ihn über das Schicksal „unserer“ Smuk ins Bild zu setzen. Ich rief ihn an.
„Vægter“, schnaubte es mir ins Ohr. (Sein Herz musste ihm wieder zu schaffen machen!)
„Zucker“, meldete ich mich, „Guten Tag.“
„Ach!“, belebte sich seine Stimme, „Guten Tag Herr Zucker! Wie geht es meiner Smuk denn? Und Ihnen.“
„Prima. Wir sind in Skagen.“
„In Skagen?“, fragte er erstaunt, „Dann sind Sie ja schon weit gekommen! Da oben war ich noch nie mit dem Boot.“
„Ist hübsch hier. An und für sich rufe ich an, um Ihnen zu sagen, dass ich Smuk jetzt nach Südfrankreich trailern lasse.“
„Das ist schön! Im Mittelmeer wäre ich auch gerne mal gesegelt. Da muss es noch richtig warm sein.“
„Denke ich auch.“ Wir schwiegen uns an. Herr Vægter war am Telefon nicht gerade ein Meister der Kommunikation. „Also, ich hoffe“, nahm ich sie wieder auf, „Sie nicht gestört zu haben. Machen wir besser Schluss.“
„Nein, nein. Sie haben mich nicht gestört. Ich sitze hier mit meiner Frau bei Tee und Kuchen.“ Ich erinnerte mich an das mit Süßigkeiten überfüllte Wägelchen neben dem mit Süßigkeiten überfüllten Wohnzimmertisch in Vægters guter Stube. Vægter fuhr unterdessen fort: „Es hat mich sehr gefreut, dass Sie mich über die Smuk auf dem Laufenden gehalten haben. Rufen Sie ruhig noch mal an und erzählen mir, was sie so macht.“
„Werde ich tun“, war ich erstaunt über diesen „Redeschwall“, „Und bis dahin wünsche ich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin alles Gute und einen gesunden Appetit.“
„Den werden wir haben!“, lachte Vægter, „Danke. Und selbst auch alles Gute!“
Ich steckte mein Handy ein – und der Kran kam auf mich zu getuckert. Das Timing hätte besser nicht sein können! Ich trottete einige Schritte auf ihn zu und rief zum Kranführer hinauf, ich hätte meine Smuk so weit vorbereitet und wir könnten die Zeit, bis der Tieflader komme, nutzen, den Mast auf die Mole zu hieven. Er nickte.
Und nach dreißig Sekunden lag der Mast an Land und ich bot dem Kranführer eine Zigarette an. Rauchend warteten wir auf den Lkw, der schließlich mit etwas Verspätung eintraf und hinter dem Kran anhielt. Der Bock für meine Smuk stand schon festgebunden auf der Ladefläche.
Aus der Fahrerkabine aus stieg ein blonder Hüne. Er blieb stehen. Und schaute sich um. Die Wucht seiner Erscheinung wurde durch die weit hochgekrempelten Ärmel des Blaumanns unterstrichen, welche unter den Achseln dicht behaarte, vollkommen tätowierte und kraftstrotzende Arme freigaben. Der Koloss streckte sich, schritt grinsend auf mich zu, und schüttelte mir mit stählernem Griff die Hand.
„Vidar“, brummte es, dass es unter meinen Füßen bebte.
„Jakob“, antwortete ich, „still“.
„Wo ist das Boot?“, sagte er, und ließ meine Hand los, die ich erleichtert beblies.
Vidars Gesichtszüge waren hart und zerfurcht, aber seine hellblauen Augen strahlten Fröhlichkeit aus. Die Unterhaltung zeigte schnell, dass er ein rauer und einfacher Mann war. Ich mochte ihn. Wir begannen, das Schiff zu verladen.
Als es sich in seinem Bock befand, fing Vidar an, den Rumpf mit breiten Riemen zu verzurren. Ich half, indem ich auf dem Boot stehend die Riemen jeweils in die Position, die Vidar mir angewiesen hatte, brachte. Nachdem es fest verzurrt war, hievten wir den Mast auf das Deck. Ich sicherte ihn mit einigen Enden am Rumpf. Vidar kontrollierte, ob ich das auch richtig gemacht hatte. Er nickte zufrieden wie der gütige Vater, der seinem begriffsstutzigen Bengel gerade so mal wieder keine hatte kleben müssen, und resümierte, sich den Bauch reibend:
„So. Jetzt noch ein Fischbrötchen und es kann losgehen.“
Er fuhr den Tieflader zur Seite, wir verabschiedeten uns vom Kranführer, und gingen zu einem fischig riechenden Wellblech–Kiosk an der Hauptmole.
Vidar und ich waren die einzigen Gäste. Er bestellte zwei Fischbrötchen bei einer dicken Rothaarigen in weißem Kittel.
„Hier bekommst du die besten Fischbrötchen weit und breit!“, erklärte er seine Bestellung.
Ich nickte interessiert. Wir lehnten schweigend am Tresen.
„Du musst was in Südfrankreich abholen?“, störte ich die Stille.
„In Perpignan“, hob Vidar die Brauen, „Mach die Strecke öfter. Oder die nach Girona.“
Girona kannte ich. Es lag fünfzig Kilometer hinter der spanisch–französischen Grenze auf iberischem Boden. Ich sagte:
„Girona kenne ich.“
„Ach ja?“, neigte er angetan den Kopf, „Dann kennst du vielleicht auch Jonquera?“
La Jonquera war eine spanische Grenzstadt, die man, von Frankreich kommend, auf der Autobahn nach Girona passierte.
„Kenne ich.“
„Jonquera ist echt gut“, belebte sich Vidars Miene, „Mach da immer Pause. Da gibt’s die geilsten Nutten, die du dir vorstellen kannst!“
Vidar kannte sich offenbar nicht nur mit Fischbrötchen aus.
„Das ist mir bisher noch nicht aufgefallen“, gestand ich.
„Doch, doch“, versicherte er engagiert, „Geh einfach mal auf den Parkplatz, auf dem die ganzen Trucks rumstehen. Nicht zu verfehlen. Die Nutten auch nicht. Kann ich dir wirklich empfehlen. Fotzen wie Mördermuscheln!“
„Danke. Ich werde das nächste Mal, wenn ich dort vorbeikomme, an deinen Tipp denken.“
Unsere Vertraulichkeiten wurden durch die Bedienung des Kiosks unterbrochen, die wuchtig wankend die Fischbrötchen brachte. Der Begriff „Fischbrötchen“ entpuppte sich als Understatement für einen riesigen Fladen panierten Fisches zwischen zwei nicht minder riesigen Fladen Brot.
„Ahh! Endlich!“, kommentierte Vidar die vor uns auf der Theke abgestellten Teller. Mit leuchtenden Augen griff er zu und biss in die Fladen, als mampfte er um sein Leben. Die Fischbrötchen schmeckten in der Tat phantastisch. Sie waren offenbar aus frisch gefangenem Fisch bereitet. Ich esse für gewöhnlich schnell. Aber als ich gerade in der Mitte meiner Fladen angelangt war, wischte sich Vidar den Mund ab und rülpste aus den tiefsten Tiefen seiner geschätzten zwei Meter zehn. Der Kiosk wackelte! „Gut, nicht wahr?“, fragte er mit funkelnden Augen.
„Ja, ausgesprochen gut“, antwortete ich beeindruckt.
Meine Smuk musste bei Vidar bestens aufgehoben sein! Ich erkundigte mich:
„Wann kommst du mit dem Boot in Südfrankreich an?“
„In drei Tagen. Heute komme ich nicht weit. Morgen ist Dienstag. Den Mittwoch werd ich auch brauchen. Donnerstagmorgen müsst ich da sein. Wie heißt die Stadt noch mal?“
„La Grande Motte.“
„Ah ja. Motte. Dann treffen wir uns am Donnerstag in Motte.“
„Gut“, nickte ich, „Bleiben wir telefonisch in Verbindung und ich sage dir, wo genau du hinfahren musst. Ich muss mir selbst noch die Wegbeschreibung besorgen.“
Wir tauschten unsere Telefonnummern aus und ich zahlte.
„Danke“, grinste Vidar, „Das war aber nicht nötig.“
„Ach“, winkte ich ab, „Das mach ich doch gerne.“
Wir gingen nach draußen zu Vidars Tieflader und verabschiedeten uns voneinander. Er wuchtete sich in seinen Truck, winkte mir, und fuhr los. Mit einer gewissen Wehmut schaute ich meiner Smuk nach, bis sie hinter einer Abbiegung verschwand, und ging zu meinem Wagen. Am besten führe ich schon an diesem Abend zurück. Dann könnte ich morgen bei Tschaikowsky, meinem Bootszubehörhändler, die Sachen für Smuk besorgen (mittlerweile hatte ich mich mit Tschaikowsky nahezu angefreundet und bekam nun auch Prozente; auf die Begleitung meines Onkel Richards wollte ich trotzdem nicht verzichten). Und danach ginge es weiter in den Süden, sodass ich bequem bis Mittwoch in La Grande Motte wäre. Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Also los!