Читать книгу Die Methode Cortés - Klaus M. G. Giehl - Страница 23
22 Silvester
ОглавлениеIch traf spät ein im Hotel, damit meine „Silvesterfeier“ nicht zu früh begönne und ich noch Cava für Mitternacht hätte. Weil ich mit mir auf das neue Jahr anstoßen wollte, hatte ich zwei Sektgläser besorgt. Zur feierlichen Stunde eilte ich auf die Terrasse. Gläser und Flasche hielt ich bereit und betrachtete die Dächer der auf dem Parkplatz abgestellten Wagen und die umgebenden Gebäude, kalte Klötze, viel Beton, wenig Glas. Die dünnen Bäumchen zwischen den Parkreihen wirkten wie zur Dekoration in den Grund gehämmert.
Punkt Mitternacht war es soweit: Ich stieß mit mir an. Und lief auf dem Parkplatz umher, das Feuerwerk zu schauen. Ich kam mir – mit meinen Kelchen an den Wagen vorbei stapfend und in den tiefen Wolken die Explosionen der Feuerwerkskörper suchend – schon ein wenig lächerlich vor. Viel zu sehen war nicht von dem Geknalle. Meinen Hals reckend lief ich auf dem Parkplatz umher, eine Stelle zu finden, von der aus ich besser sehen könne. Es gab keine. Ich blieb auf dem Kies zwischen zwei Parkreihen stehen und sinnierte:
In einem ganz schönen Schlamassel steckte ich, alleine in der Silvesternacht mit meinen Kelchen inmitten Trucks und Coupés geparkt. Offenbar hatte ich einschneidende Änderungen vorzunehmen, um aus ihm herauszukommen.
Mir war klar, dass die schwierig werden würden, es zwar bergauf, aber eben gegen einen Anstieg gehe. Und momentan brach ich noch häufig ein. Doch einzubrechen hieße auch, dass ich mich, zumindest hin und wieder, besserfühlen musste, was Mut machte.
Mein bisschen Mut reichte gerade bis in mein Zimmer. Abwesend schloss ich die Terrassentür, stellte mich rücklings an den Tresen vor der Kochecke, lehnte mich an. Ich starrte auf die Wand. Sie erschien mir wie die Wand einer Gruft, in der ich begraben lag. Ich verspürte Ekel, zündete mir eine Zigarette an.
War mir doch schnuppe, dass man hier nicht rauchen durfte!
Ich trat die Terrassentür auf und schaute auf den Kies.
Überall dieser verdammte Kies. Wie ein hinterfotziger Büßer war ich zwischen den Kieselsteinen herumgeschlichen, als wären sie die verdorrten Tränen meines trägen Dumpfseins, dumpfe Tränen, die ich dieser parfümierten Verwesung nachschniefte. Scherben heulen sollte ich, und meine Visage so lange durch die Scherbenpfützen schleifen, bis es mir die Augen aufrisse und ich endlich sähe, dass mich Angst in diesem zersetzenden Schleim waten und bald ersaufen ließe.
Ich schlurfte ins Bad, sah in den Spiegel, in meine Augen, und spuckte mich angewidert an.
Loswerden musste ich diese verfluchte Angst. Wovor überhaupt hatte ich Angst? Zu verlieren, was ich längst verloren hatte? – Meine Frau? Meine Familie? – Zu verlieren, was ich verlieren müsste, um wenigstens den Kindern näher zu sein? – Meinen Beruf? ... Oder alles, damit endlich Ruhe wäre. Ich endlich frei wäre?
Ich musste an die Geschichte, die Gonzalo mir über Cortés erzählt hatte, denken. Und mit einem Male kam es mir:
Am besten würde ich meine Furcht verbrennen. So, wie Cortés seine Schiffe verbrannte hatte. Möglicherweise wäre das die einzige Chance, mich meiner Fesseln zu entledigen, und keine Kieselsteine mehr zu weinen. Dann müsste ich nur noch mein Näschen putzen. Und zwar gründlich.
Ich ging zurück in den Wohnraum, nahm die halbvolle Flasche Cava, ging wieder raus, setzte sie an, sog sie leer, rülpste aus vollem Herzen, und knallte die Pulle in den Kies. Ich liebte Scherben!
Wie es aussah, war ich in dieser Nacht erneut ein wenig überspannt. Zum Glück wurde ich müde, bevor ich auf dem Parkplatz zu randalieren begann, und übereignete mich frustriert meinem Schlummer. In dieser Nacht schlief ich unruhig und hatte einen fürchterlichen Traum: