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III. BEGINN EINER REISE 20 Vorläufiges Zuhause

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In Austin verflog die Freude schnell: Meine Freunde und Bekannten verbrachten den Jahreswechsel bei ihren Familien, im Urlaub oder waren anderweitig verreist. Und ich war allein, hatte keine Wohnung und fuhr herum im Wagen meiner Frau, der wie zehn Ambosse an den Füßen meiner Stimmung zog: Noch bis vor kurzem hatten die Kinder auf der Rückbank „gesessen“, wenn ich mit ihm durch die Stadt gefahren war. Nun fuhr ich mit mir alleine. War ich mit den beiden unterwegs gewesen, hatten wir gescherzt, geblödelt, Unsinn gemacht. Nicht so jetzt. Klar. Jetzt lärmte und kicherte und trötete nichts. Jetzt steckte mir niemand Finger in die Ohren oder blies mir nass ins Haar. Jetzt hörte ich bloß das steife Schlagen des Fahrtwinds und meine Haare scharf in diesem flattern. Die vor mir flirrenden Lichter verschwammen und ich ergänzte gedanklich:

Überhaupt war jetzt nichts mehr da von den Kleinen. Außer ihrem Geruch. Und der würde auch bald verschwinden.

Ich schloss die Scheibe und beschleunigte.

Nach etlichen Meilen – inzwischen roch ich nichts mehr – musste ich tanken. Ich fuhr zu meiner nahe der Uni gelegenen „Stamm–Tanke“, wo ich den Wagen neben der ersten Tanksäule stoppte. Als ich ausstieg, kam es mir fast warm vor. Ich inhalierte tief, denn die Luft roch nach „Texas“, einer Mischung aus schwerem Lehmboden, frischgeschnittenem Gras, heißem Öl und einer dezenten Abgasnote. Für mich hatte dieser Geruch etwas Kraftvolles und Ursprüngliches. Ich liebte ihn.

Als der Zapfhahn angenehm tief im maximalen Benzinstrom zu vibrieren begann, bemerkte ich Jim auf mich zu trotten. Jim war ein schwarzer Clochard, vermutlich vierzig, sah aber älter aus. Sein Gesicht und seine Arme waren ledern und von Narben übersäht. Er trug ein ehedem weißes Unterhemd und eine löchrige Jeans, die wie ein Ziegenstall roch. Jim war ein netter Bursche, immer fröhlich, immer zum Scherzen aufgelegt. Er fragte mich, ober er meine Scheiben putzen könne. Ich bejahte und er begab sich ans Werk.

Während ich, eine Hand am Zapfhahn und die andere in der Hosentasche, Sterne im schwarzen Himmel auszumachen suchte, erzählte mir Jim von Bruce, der ihn gestern übers Ohr gehauen habe. Ich nickte und ließ mich vom dichten Verkehr mesmerisieren. Jim informierte mich unterdessen, dass es um das Football Team der „Texas Longhorns“ gar nicht gut stehe im Moment, dass die Leute – Fucking Jerks! – keine Tips mehr gäben (ich gab ihm allerdings immer Trinkgeld, mindestens einen Dollar, also war ich kein „Jerk“!), und dass es Kelly vorletzte Woche erwischt habe. Ein Bus. Voll von vorne und aus die Maus. Ich hörte nicht richtig zu und bestätigte mit „hmhm“, „really?“ und „tough titties“. Jim nickte jeweils. Mein Zapfhahn klickte, die Benzinarterie war versiegt. Ich tippte ihn ab, sog noch einmal den Duft der Aromaten ein, und hakte den Hahn in seiner Gabel fest.

Jim war ebenfalls fertig. Er ließ den Handwischer zum Trocknen wie eine Machete durch die Luft zischen, was ich unlogisch fand, denn gleich würde er ihn in den Eimer mit der Waschlösung plumpsen lassen. Und dem war auch so. Nachdem sich Jim die Hände an seiner Ziegenhose abgetrocknet hatte, gab ich ihm zwei Dollar! (Nix „Jerk“! Ha! Ätsch!) Er bedankte sich und wollte weg schlurfen, hielt aber inne und sah mich mit zur Seite geneigtem Kopf an. Er kniff die Augen zusammen, als überlegte er, als glaubte er etwas nicht. – Merkte er, wie ich drauf war? – Er musterte mich von oben nach unten und zurück, bis er sagte:

„What’s going on, buddy?“

„Nothing“, entgegnete ich.

„Alles in Ordnung?“, schien er mir dies nicht ganz abzukaufen.

„Alles in Ordnung“, nickte ich, „Und bei dir?“

„Alles in Ordnung“, nickte auch er, zögerte einen Moment und sagte: „Dann mach’s mal gut.“

Er lächelte, wippte zweimal die Brauen aufmunternd nach oben, und verschwand hinter der Tankstelle.

Wieder auf den Highway, fiel mir ein, dass ich mir besser bald ein Hotel suchen würde. Ich musste ja irgendwo schlafen und das Haus war verkauft!

War der neue Eigentümer überhaupt schon eingezogen? Einen „Reserveschlüssel“ hatte ich noch!

Ich schüttelte den Kopf und entschloss mich, meinen „illegalen“ Impuls zu vergessen (ich war ein rechtschaffener Mann!) und mich auf Zimmersuche zu begeben. Diese war schnell von Erfolg gekrönt: Ich fand etwas an einem Service Way nahe der Uni. Es war ein zweigeschossiges Hotel, ein bisschen im Pueblo Style. Die Zimmer hatten kleine Küchen, waren also autarke Mini–Apartments. Meines lag im Erdgeschoss mit Terrasse auf einen Parkplatz.

Nachdem ich die Formalitäten an der Rezeption erledigt und den Koffer im Zimmer abgestellt hatte, machte ich mich auf in mein Labor, den Rest meiner Sachen – zwei Umzugskisten und mehrere Tüten – zu holen.

Es war kurz nach Mitternacht, als ich den Wagen auf dem Institutsparkplatz abstellte. Zügigen Schrittes näherte ich mich meinem Labor. Ohne Menschen auf dem weißen Flur sahen die Pflanzen auf den Blechaktenschränken noch grüner aus, als sie mir sonst schon vorgekommen waren. Hier unten gab es keine Fenster, nur künstliche Beleuchtung. Ich hatte mehrmals in die Blätter der Pflanzen gezwickt, um mich zu vergewissern, ob die Dinger echt waren. (Sie waren es!) Ihr intensives, geradezu ampelgrünes Grün resultierte vermutlich aus einem Kompensationsmechanismus der Pflanzen für insuffiziente Beleuchtung: mehr Chlorophyll für weniger Licht. Biologie war schon faszinierend! Nicht totzukriegen!

Ich lächelte, zückte meinen Schlüsselbund, und schloss die Labortür auf, vor der ich inzwischen stand. In mein Büro – meine Habseligkeiten standen dort – gelangte man nur über mein Labor oder über Lauras Büro. Mein Büro hatte zwar auch eine Tür zum Flur, aber die hatte ich entgegen den Feuervorschriften mit einem Aktenschrank verrammelt. Ich wollte „ungefilterten“ Besuch vermeiden, meine Ruhe zum Arbeiten haben. (War schon genug, dass ich in meinem eigenen Büro nicht rauchen durfte. Dann konnten mir auch die Feuervorschriften egal sein!)

Einen Meter vor meinem Büro blieb ich stehen, drehte mich um, und ließ den Blick über mein mit Geräten vollgestopftes Labor gleiten. Wie immer sah es aus, als zöge man gerade ein oder aus. Genüsslich inhalierte ich die reingefilterte, nur von zarten Xylol– und Diethylpyrocabonat–Duftschlieren durchzogene Luft. Ich konnte mich gar nicht sattriechen an diesem Laborbukett! Nie!

Auch sonst schien alles in Ordnung zu sein (nichts fehlte, keine Flaschen umgekippt, der radioaktive Müll war leer), wobei mich gewundert hätte, wenn es anders gewesen wäre, denn der Komplex war exquisit be– und überwacht.

Einzig meine Mitarbeiter fehlten!, seufzte ich. Na ja, musste ich eben von vorne anfangen. Oder fast von vorne.

Ich riss mich aus meiner Melancholie und sperrte die Tür zu meinem Büro auf. Meine Sachen standen auf dem Schreibtisch und wie erwartet konnte ich sie mit einer Fuhre auf meinem Laborkarren zu meinem Wagen transportieren. Ich fuhr zurück zu meinem Hotel.

Endlich dort und alles abgestellt, betrachtete ich meine Habseligkeiten. Wieder erfasste mich Melancholie.

Okay, wie es aussah, musste ich in mehrerlei Hinsicht von vorne anfangen. Ich runzelte die Stirn und nickte: Aber ich hatte noch meinen Beruf! Und in einem Moment äußerster Klarheit schloss ich lächelnd: Das Wichtigste also war mir geblieben!

Die Methode Cortés

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