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7 Abendessen mit Flora
ОглавлениеMeine Mutter hatte etwas zu essen für mich vorbereitet. Ich hatte keinen Hunger, aß aber, um sie nicht zu kränken. Anschließend unterhielten wir uns bei einem Glas Wein oder besser gesagt nahm sie ein Wasser und ich einen Wein. Das war ungewohnt für mich. Früher hatten wir gerne „ein“ Glas Wein miteinander getrunken. Jetzt ging das nicht mehr. Seit ihrer OP war ihr Alkohol zuwider.
Auf Nachfrage erzählte ich Mutter, was geschehen war und wie ich mich fühlte. Die Art und Weise, wie ich erzählte, war allerdings sonderbar. Gewöhnlich war Reden über ein Problem für mich wie eine fruchtbare Enthüllung meines Fühlens vor mir selbst: Mit dem Erstaunen über das, was ich von mir gab, zeigten sich neue Emotionen und Ideen zur Lösung des Problems. Nicht so jetzt. Jetzt ließ ich mein „Leiden“ wie einen reißenden Müllstrom aus mir quellen. Und mein Ich (oder das, was zu diesem Zeitpunkt davon übriggeblieben war) verschwand im Strudel von Sinnlosigkeit und Endzeitstimmung. Ich schien vergessen zu haben, wie meine Frau mit mir verfahren war. Sie hatte mich wie einen Deppen auflaufen lassen, um sich einen schadfreien Abgang in die alte Heimat zu verschaffen, und mir hierbei beruflich hemmungslos geschadet. Doch das blendete ich jetzt aus, fand sogar alle möglichen Gründe, die mein angebliches Versagen und meine gemutmaßte Schuld am Scheitern unserer Ehe belegen sollten. Während ich redete, war mir zuweilen, als sei es gar nicht ich, der da spreche, sondern meine Frau. Interessanterweise gab mir das ein Gefühl der Vertrautheit, das mich beruhigte. Und munter führte ich diese debile Selbstdemontage fort. Meiner Mutter (sie schnaufte immer genervter) wurde das (aus gutem Grund, muss ich inzwischen sagen!) bald zu viel.
„Ich kann dir nicht mehr zuhören!“, fauchte sie plötzlich.
„Bitte?“, schaute ich verdutzt aus meiner finstren „Leidensgrube“ auf.
Als kröche ihr ein Käfer über das Zahnfleisch verzog sie das Gesicht und erläuterte:
„Du geißelst dich hier wie ein mittelalterlicher Mönch. Das ist zum Kotzen. Wer bist du überhaupt? Ein Stück Dreck? Hast du dich denn komplett vergessen?“
„Das denke ich nicht“, sank mein geschundener Nacken zwischen die gekrümmten Schultern, „Ich versuche bloß, meinen Anteil am Scheitern der Familie wahrzunehmen. Nur so kann ich mich ändern und eventuell noch was retten.“ Schwach griff ich nach meinen Zigaretten und meinem Feuerzeug und ergänzte schlaff: „Wenn noch etwas zu retten ist.“
„Was willst du retten?“, zischte sie, beugte sich auf mich zu wie die Schlange zum Mäuschen, und wetterte: „Ich war während deiner gesamten Ehe erstaunt über dich, hab allerdings nie was gesagt. Wollt mich nicht einmischen. Aber du hast dich Magnolia so was von unterworfen, dass es mir peinlich war! Wie ein Eselchen hat sie dich vor sich hergetrieben. Und wenn du mal gewagt hast, zu widersprechen, hat sie dich abgeputzt wie einen dummen Schuljungen. Mir tat das weh, zu sehen, wie mein eigener Sohn seine Persönlichkeit quasi an der Ehegarderobe abgibt. Du warst nämlich mal stark und hattest Ausstrahlung. Jetzt bist du – ein Häuflein Elend. Das finde ich schade.“
„Ach Flora!“, winkte ich ab (mit ihrem Vornamen sprach ich Mutter nur an, wenn mir schien, sie habe Unvernünftiges gesagt), „Das siehst du falsch. In einer Ehe muss man zu Kompromissen fähig sein. Sonst funktioniert das nicht.“
„Ich höre Magnolia sprechen!“, schüttelte sie den Kopf, reckte ihren Hals zur Seite, schaute mir ins Ohr, als suchte sie etwas darin, und erkundigte sich, in dieses „hineinrufend“: „Bist du noch irgendwo da?“ Ich musste lachen und steckte mir die Finger in die Ohren. „Schon besser!“, grinste Mutter, und ergänzte: „Mann Jakob, kämpf doch!“
„Ich versuche ja zu kämpfen“, zuckte ich die Schultern, „entkorkte“ meine Ohren, und erläuterte mit traurigen Augen: „Um meine Familie.“
„Ich frage dich noch mal“, richtete sie ihren Zeigefinger wie ein Zuchtstöckchen auf mich, „Was willst du retten? Deine Gefangenschaft? Als Nutzvieh? Sieh’s doch ein: Aus irgendeinem Grund hast du Magnolia in den Kram gepasst. Kann ich verstehen. Bist ein hübscher Kerl, lieb und intelligent, hast einen tollen Beruf, und sie hatte es durch dich verdammt bequem und konnte die Madame spielen. Aber jetzt passt du ihr nicht mehr ins Konzept und sie hat dich aufs Übelste abserviert. Und da suchst du die Schuld bei dir? Ich kenne meinen Sohn nicht mehr! Wo ist der Kämpfer, der sein Ding durchzieht, bis er hat, was er will? Vergiss die Hirnwäsche, die Magnolia dir verpasst hat! Erinnere dich an dich, an deine Prioritäten!“
„Meine Prioritäten kenne ich“, unterbrach ich sie matt.
„Daran habe ich meine Zweifel!“, schüttelte sie ihren Kopf, „Zumindest im Augenblick. Früher, ja, da war das klar. Da gab’s nur deine Forschung für dich. Da warst du noch du selbst! Und jetzt? Jetzt plapperst du nur den Müll nach, den Magnolia dir eingeflüstert hat. Ich erinnere dich an deine Entscheidung, deine Professur in Austin zu kündigen! Damit Madame mit trivialen Kunsthistörchen bei Oma und Opa rumprotzen kann?“ (Meine Frau hatte Kunstgeschichte studiert und in diesem Bereich eine Stelle an der Uni Mainz angenommen.) „Du hast sie doch nicht mehr alle! Dafür wolltest du deinen Beruf hinschmeißen, deine Forschung? Dafür wolltest du Assistenzarzt werden und dich mit Dingen abgeben, die dich überhaupt nicht interessieren?“
„Ach Quatsch!“, winkte ich ab, „So war das doch nicht! Wir haben das geplant, um als Familie ...“
„Familie!“, unterbrach mich Mutter laut lachend, und detaillierte ernst: „Nein! Das war nicht die Familie! Nie war sie das gewesen! Abserviert hat dich Magnolia! Und vorher hat sie dir über Jahre hinweg deine Forschung madig gemacht. Um sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Und damit du vielleicht doch mal einen ‚anständigen‘ Job machst – geldmäßig – und sie besser prassen kann! Ob dieser Job allerdings was für dich ist, das hat sie nie interessiert. Mann, sei froh, dass dieses Trauerspiel vorbei ist! Steh endlich auf und kämpfe! Aber gib dich nicht auf.“
Ich hörte, was meine Mutter sagte, verstand es. Aber es drang nicht in mich ein. Es kam mir vor, als seien ihre Worte für jemand anderen bestimmt. Im Grunde hörte ich auf, ihr zu antworten. Zwar sagte ich noch etwas, verlor indes den Bezug zum Geschehen.
Nach einer Weile wurde ich müde und wollte schlafen. Wir beendeten die Unterhaltung. Ich trotte nach unten in mein Zimmer. Es lag im Kellergeschoss des Hauses. Passte also: Ich zog mich in mein Verließ zurück. („Ach herrje!“, schnaufte ich.)
In meinem Bett starrte ich die Decke an, und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Bei jeder Zigarette, die ich anzündete, nahm ich mir vor, eine Lösung zu finden. Doch wofür, wusste ich nicht. Und hatte ich die Zigarette zu Ende geraucht, hatte ich das Gefühl, vergessen zu haben, worum es überhaupt ging. Also zündete ich mir eine neue Zigarette an und nahm mir vor, eine Lösung zu finden. Wofür? Nach vielen gleichen Fragen schlief ich ein.