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5 Closing Date

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Bei meinen Putz– und Aufräumarbeiten entdeckte ich in einem Wandschrank eine mannshohe Fotomontage, ein Werk meiner Frau, auf dem sie unsere Zeit bis zur Trauung verewigt hatte. Es war ihr Hochzeitsgeschenk für mich gewesen.

Meine Augen rasterten von Bild zu Bild, bis sie an unserem ersten gemeinsamen Urlaub hängen blieben. In die Bretagne war es gegangen. Das Foto zeigte meine Frau an einem breiten Strand. Ich hatte ein Loch gebuddelt gehabt und sie (mit den Beinen zuerst, natürlich!) hineingesteckt und bis über den Nabel in den Sand eingegraben. Und sie hatte die Erschütterte gespielt, mich angefleht, ich solle sie doch bitte, bitte wieder befreien.

Richtig babyspeckig war sie da!, grinste ich. Tatsächlich hatte meine Frau seinerzeit einige Pfunde mehr gewogen, was ihr gut gestanden hatte. Im Laufe der Jahre war sie schlanker geworden, hatte sich die Harmonien ihrer „Sphären“ aber an den entscheidenden Stellen bewahren können. Es war also nicht so, dass sie jetzt dürr gewesen wäre oder schlechter ausgesehen hätte. Nur anders. Reifer. Verführerischer. Verruchter.

Ich schüttelte den Kopf, fragte mich, warum sie abgenommen habe, doch ehe ich die Antwort suchte, verfingen sich meine Augen am nächsten Bild. Es zeigte mich, in der Nähe des Strandes, wie ich vor dem Picknick wie ein Wilder aus dem Gebüsch gestolpert kam (ich hatte meine Frau im Spaß erschrecken wollen, die Hände zu Krallenpranken gehoben und eine Fratze wie ein hungriger Wahnsinniger geschnitten).

Viel jünger hast du damals ausgesehen!, schnaufte ich. (In den Jahren meiner Ehe war ich nicht unwesentlich gealtert. Zur Zeit dieses Urlaubes hatte man erst hie und da graue Strähnen erkennen können. Inzwischen war ich grau! Na ja, ziemlich grau, um es nicht zu übertreiben.) Und in der Tat wie ein Indianer hast du ausgesehen!

Zu Zeiten dieses Urlaubes war ich Arbeitsgruppenleiter gewesen und hatte die Haare halblang getragen, eine richtige Mähne, die durchaus an einen Indianer hatte denken lassen. Während meiner Gymnasialzeit, in der mein Haar weit über den Schultern gewallt hatte, hatten sie mich sogar „Sioux“ genannt, ein Spitzname, der sich in dem Maße verloren hatte, in dem meine Haare kürzer geworden waren. Jetzt ließen sie die Ohren frei.

Soll ich sie wieder wachsen lassen?, lächelte ich.

Mein Lächeln verhärtete wie kristallisierender Gips, denn ich realisierte, dass meine Frau sicher nicht vergessen hatte, diese Fotomontage mit den anderen Sachen in unserem Container zu verstauen. Es hatte ihr also schon beim Packen klar gewesen sein müssen, dass sie sich von mir trennen würde! In diesem Augenblick wollte ich kein Aufheben um die Sache machen (meine Frau war sowieso nicht da!) und stellte das „Kunstwerk“ dorthin, wohin es gehörte. Zu dem anderen Müll, den ich gleich entsorgen würde.

Ich war zeitig fertig geworden, sodass ich meinen Wagen noch an diesem Tag bei der Heilsarmee abgeben konnte. Ich hatte mit meiner Frau vereinbart, dass ich ihren Wagen, den „Camry“, behielte (er hatte sich als zuverlässiger erwiesen als mein „Corolla“) und meinen der Heilsarmee überließe. Dies könne man von der Steuer absetzen, worauf ich ruhig auch einmal selbst achten solle, und zwei Wagen müsse ich jetzt ja wohl wirklich nicht mehr haben!

Am 15. Dezember war Closing Date. Ich musste ausziehen und nahm mir ein Hotelzimmer. Beim Ausräumen des Koffers fiel mir mein Flugticket in die Hände. Ursprünglich hatte ich mit meiner Frau und den Kindern nach Deutschland zurückkehren wollen, hatte mir sogar schon einen Flug besorgt. Als sich meine Frau aber wenige Tage vor dem Abflug von mir getrennt hatte, hatte ich mich entschieden, in den USA zu bleiben. Jetzt war ich überrascht, das Ticket in Händen zu halten. Offenbar hatte ich dieses „Detail“ verdrängt. Ich dachte:

Das hat sich erübrigt! Mich überkam ein merkwürdiges Gefühl, so etwas wie Ambivalenz, und ich ergänzte gedanklich: Sei froh, dass es sich erübrigt hat! So hast du noch deinen Beruf.

In diesem Augenblick schien mir klar zu sein, dass mein Beruf mir das Wichtigste war. In diesem Augenblick konnte ich mich klar erinnern, dass sich vor meiner Ehe alles bei mir um meine Forschung gedreht hatte – und ich glücklich damit gewesen war. Und in diesem Augenblick erinnerte ich mich, dass sich erst seit der Heirat dieses Nagen eingestellt hatte, Zweifel entwickelt hatten, die Familie mir wichtig und wichtiger geworden war.

Weil es besser für mich war? Weil meine Frau mich ständig „benagt“ hatte? Ich lachte durch die Nase auf und wollte das Ticket weglegen, da fiel mein Blick auf die Buchungsdaten: Ach, der Rückflug!

Und auf und ein fiel mir, dass ich mit meinem für den 19. Dezember geplanten Flug auch einen Rückflug nach Austin reserviert hatte, für den Achtundzwanzigsten. Damals war es günstiger gewesen, Hin– und Rückflug als nur ein One–Way Ticket zu buchen. Nach kurzem Überlegen entschloss ich mich, die Flüge doch wahrzunehmen. So konnte ich meine Mutter besuchen, abgesehen davon, dass es mir trostlos vorgekommen wäre, die Weihnachtszeit alleine in einem Hotel in Austin zu verbringen.

Und um den Wiederaufbau meines Labors konnte ich mich auch noch nach den Feiertagen kümmern!

Vor dem Abflug verstaute ich meine Sachen in meinem Office. Laura, meine Sekretärin, wollte sie im Auge behalten. Mein anderes Personal war zu diesem Zeitpunkt schon entlassen. Laura war die gemeinsame Sekretärin von John Snider, Mike Miller und mir, weshalb sie nicht von meinem fast vollzogenen Weggang betroffen war. Als ich ihr mitgeteilt hatte, dass ich nun doch bliebe, hatte sie gestrahlt und gemeint, da falle ihr ein Stein vom Herzen. Jetzt lächelte sie und wünschte mir einen guten Flug.

Die Methode Cortés

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