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II. AUS DEM ABGRUND 4 Abflug

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Am 14. Dezember 2003 verließen meine Frau und die Kinder die Vereinigten Staaten. Ich brachte die drei zum Flughafen, ungern, wie ich gestehen muss, denn ich hatte das Gefühl, sie zum letzten Mal in Austin zu sehen.

Ja, „sie“, hatte ich gedacht, und auch die Kinder, machte ich mir klar. Wieso dachte ich so etwas? Schließlich waren nur Magnolia und ich nicht mehr zusammen. Das hatte doch nichts mit den Kindern zu tun! Ich presste die Zähne aufeinander, konzentrierte mich auf die Straße, hielt nach der Abfahrt auf den Presidential Boulevard Ausschau, und führte mir vor Augen: Zu denken, Max und Moritz nicht mehr hier zu sehen, war also verfehlt!

Ich beruhigte mich und als ich auf den Boulevard einbog, versuchte ich, nicht mehr zu denken, damit ich die Einfahrt auf den Parkplatz nicht verpasste. Es war ein sonniger Tag. Langsam glitt der Wagen, ein hellblauer „Camry“ Kombi, über den Asphalt. Ich hatte meine Sonnenbrille zuhause auf der Küchenanrichte liegen lassen und kniff die Augen zusammen. Jetzt, von der klaren Wintersonne beschienen, wirkte das mächtige Konglomerat der Betonbauten des Flughafens wie organisch aus dem dürren Grund gewachsen. Endlich machte ich die Einfahrt aus.

Am Check–In mussten wir warten. Meine Frau war gereizt. Sie nörgelte an den Kindern herum, weil sie mit einem Koffer spielten. Die Kleinen ignorierten sie. Sie sagte, ich solle auch mal was sagen. Ich sagte nichts, sondern betrachtete die dicken roten Backen der Kleinen in einer Mischung aus Wehmut und Verzückung.

Max saß, „hochherrschaftlich“ grinsend, auf einem Koffer, als ritte er, der König, nun auf stolzem Rosse in die Schlacht. Seine hellbraunen Haare waren zerzaust und seine dunkelbraunen Augen funkelten listig in die Menge. Hinter ihm pustete Moritz, die Stirn zum Platzen rot und den Koffer nach Kräften schiebend – und diesen in der Tat schon einige Zentimeter über den Boden geruckelt habend. Seine blonden, strähnigen Haare klebten schweißig an der Stirn und den glühenden Schläfen. Die Brauen waren höchst angestrengt zusammengezogen, die Backen pumpten wie Blasebalge Luft durch das gespitzte Mündchen. Ich schmunzelte. Die Welt der Kleinen konnte mich immer aus meiner Welt reißen.

Bis jetzt!, dachte ich, und sah meine Frau an.

Die Arme verschränkt und ärgerlich die Brauen gesenkt, stand sie hinter den Kindern, beäugte sie. Die verschränkten Arme hoben die vollen Brüste leicht, doch anmutig, an. Sie nickte ihre langen blonden Haare nach hinten und ich musste an Claudia Schiffer denken (dieser ähnelte meine Frau tatsächlich und tatsächlich musste ich oft, wenn ich diese betrachtete, an jene denken). Mein Blick sank über ihren linken Oberarm auf die Lende, die Hüfte. Sie trug einen bordeauxroten Rollkragenpulli und eine hellgraue Stoffhose. Beides lag ihren reizvollen Rundungen eng an, doch verursachten diese nun eine unangenehme Spannung in mir.

Ich sah zu den Anzeigetafeln – Zahlen, Buchstaben, Punkte – und mir ging es besser. Nach wie vor aber war ich verkrampft. Fast fiel mir das Atmen schwer.

Nach einer Weile – Max und Moritz waren unterdessen schweißgebadet – mussten die beiden auf die Toilette. Froh, weg von meiner Frau durchatmen zu können, ging ich mit ihnen, Max an meiner Rechten, Moritz an meiner Linken.

„Trödelt nicht wieder rum“, rief meine Frau uns nach.

Ich drehte mich zu ihr um und versuchte einnehmend zu lächeln, was mir nicht so recht gelang. Gereicht hatte es wahrscheinlich nur zu einem unwilligen Grimassieren, denn meine Frau schüttelte den Kopf und sah in die andere Richtung. Ich wandte den meinen wieder nach vorne, weil die Kinder an meinen Händen zerrten und es galt, nicht auf einen Pfosten aufgelaufen zu werden. (Ich musste immer auf der Hut sein bei meinen Frechdachsen!)

Wir kamen langsam voran, unterhielten uns über die Flugzeugmodelle, die von der Hallendecke hingen. Jedes Modell war anders bemalt. So rätselten wir, ob das Affenflugzeug nur von Affen benutzt werde, ob das Papageienflugzeug sprechen könne, ob das Sternenflugzeug am höchsten fliege.

Auf dem Rückweg trug ich die Kinder auf dem Arm, wie gewohnt Max auf dem rechten und Moritz auf dem linken. Die Knirpse nahmen erneut das Flugzeugthema auf. Moritz betonte, dass er das Drachenflugzeug bevorzuge, während Max auf jeden Fall das Sternenflugzeug haben wolle. Sie fragten, ob sie die Flugzeuge nehmen und losfliegen könnten. Ich erklärte ihnen, das seien Modelle, die nicht fliegen könnten. Sollte ich allerdings ein richtiges Drachen– oder Sternenflugzeug finden, würde ich es ihnen schenken.

Mir wurde hundeelend. Das Gefühl war wieder da. Stärker, brennender. Ich hatte Angst, meine Kinder zu verlieren. Mir fiel schwer, Fassung und Haltung zu bewahren. Letzteres wurde erleichtert durch das stabförmig harte Glühen, das mir senkrecht im Leib steckte. Bis in den Rachen! Glücklicherweise entdeckten die beiden einen Snackautomaten. Das lenkte ab. Dankbar kaufte ich ihnen einen Beutel Chips.

Sie Chips–knabbernd auf meinen Armen, näherten wir uns der Warteschlange, in der ich die blonden Haare meiner Frau ausmachte. Sie war ein gutes Stück vorangekommen und schaute auf ihre Armbanduhr. Sie musste einen Stringtanga tragen, denn der glatt spannende Stoff ihrer Hose setzte ihren prallen Hintern hervorragend und ohne störende Nahtstrukturen in Szene. Ich war erstaunt, dass sich meine Augen auch in dieser Situation – so unmittelbar nach der Trennung! – fast unweigerlich an ihren Hintern hefteten.

Und dies, ohne dass ich mich jetzt zu ihr oder ihm hingezogen fühlte! Eigentlich fühlte ich mich gar nicht mehr zu ihr hingezogen. Obwohl ich sie noch liebte! In diesem Moment empfand ich diese Gefühle widersprüchlich, und das umso mehr, weil ich absolut nicht hätte sagen können, warum ich meine Frau noch liebte. Gewohnheit!, nickte ich gedankenversunken, und wunderte mich erneut: Konnte ich überhaupt sagen, warum ich sie je geliebt hatte?

In meiner Überlegung unterbrach mich Moritz, der mir einen Chip in den Hemdkragen gesteckt hatte. Ich setzte die Kleinen auf den Boden ab und schüttelte die Krümel aus meinem Hemd. Und meine Frau schüttelte ihren Kopf (wir hatten zu ihr aufgeschlossen) und meckerte, warum ich den Kindern wieder irgendwelchen Blödsinn gekauft hätte. In diesem Moment war ich krümelfrei – und erleichtert, dass sie bald gehen würde. Wir kamen an die Reihe.

Nachdem das Gepäck eingecheckt war, verabschiedete ich mich mit je einem Kuss von Max und von Moritz und einem Winken von meiner Frau. Sie erwiderte dieses nicht, sondern sagte, gehetzt und die zappeligen Kinder immer wieder zu sich zerrend:

„Ach Jakob, du musst unbedingt mal in den nächsten Tagen checken, ob die Rückerstattung von der Homeowners Versicherung schon da ist. Da müssen wohl noch zweitausend Dollar kommen.“

„Das hattest du vorhin bereits erwähnt“, nickte ich.

„Wollte dich nur daran erinnern!“, hob sie streng die Braue.

„Ist gut“, schnaufte ich, „Ich mach das. Don’t worry.“

„Schön. – Und vergiss auch nicht, regelmäßig bei Juanita nach der Post zu schauen. Mindestens einmal pro Woche. Da müssen wohl auch noch andere Schreiben kommen. Und ich kann mich jetzt halt nicht mehr selbst um die ganzen Sachen kümmern und hab wirklich keine Lust auf Chaos!“ Und sie ergänzte mit einer Miene, die Besorgnis wie Mitleid auszudrücken schien: „Also schau halt, dass die Sachen halbwegs laufen und nicht alles den Bach runtergeht.“

„Ich werde mich bemühen“, seufzte ich, fokussierte kurz, und meinte ruhig und ohne mir wirklich etwas zu wünschen: „Aber ich denke, du musst langsam los, sonst fliegt dein Flieger ohne euch.“

Meine Frau fixierte mich. Ihre schönen, hellblauen Augen drückten wie immer nichts aus. Leute, die meine Frau nicht mochten, hatten ihre Augen als kalt bezeichnet. „Wie Eiswasser“, hatten manche gar gesagt. Ich hatte ihre Augen (wie meine Frau selbst) als geheimnisvoll empfunden und diese Leute nie verstanden. Sie antwortete nach einem Moment:

„Hast recht. Dann mach’s mal gut.“

Die drei begaben sich auf den Weg zu ihrem Gate. Ich schon in der Drehung, den Parkplätzen zuzueilen, blieb mein Blick an den Kindern hängen und ich stehen. Sie „wackelten“ jetzt brav an der Hand meiner Frau. Max links. Moritz rechts.

Konnte ich auch hier sagen „wie üblich links“ und „wie üblich rechts“?

Ich wusste es nicht, konnte mich nicht erinnern, konnte ja noch nicht einmal sagen, ob sie „wie üblich“ von ihrer Reise zurückkehren würden. Da war es wieder, dieses Gefühl! Und diese Angst, die beiden nie mehr hier in den Staaten zu sehen. Es schüttelte mich, aber ich riss mich zusammen und meinen Blick von den Kindern und eilte meinem Ziel, den Parkplätzen, entgegen.

Schließlich musste ich mich beeilen! Ich hatte nur diesen Tag, das Haus zu putzen und die Restmöbel zu entsorgen. Morgen war Closing Date. Dann musste ich ausziehen.

Die Methode Cortés

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